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Pandemiejahre 2020/21 - Teil 3: Chaos auf allen Ebenen

  • titanja1504
  • 8. Dez. 2022
  • 15 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 18. Juni 2023

Frühling bis Spätherbst 2020

(DE) Als Mitte April 2020 die Infektionszahlen langsam fielen, wurden Lockerungen gewährt. Dass Geschäfte jenseits des täglichen Bedarfs wieder öffnen durften, war eine Sache, dass der Außenbereich von Gaststätten und später auch der Innenbereich wieder genutzt werden konnte, war wirklich sehr erfreulich, aber dass auch Friseure öffnen und dem Wildwuchs auf den Köpfen nun ein Ende machen durften, führte fast zu euphorischen Gefühlsausbrüchen.

Ordnung auf den Köpfen

Typisches Erscheinungsbild im Frühling 2020: Wuschelhaare und eine selbst genähte Maske.

Ich machte im Mai 2020 das erste von insgesamt zwei Selfies mit meiner Coronafrisur. Fast schulterlange, strähnige glanzlose Haare kleben, selbst im frisch gewaschenen Zustand, am Kopf. Sogar der rundgeföhnte Pony hing nach kürzester Zeit glatt, formlos und zu lang über die Augen. Grauslig! Ich sah entsetzlich alt und, noch schlimmer, ungepflegt aus. In den letzten Jahren habe ich meine zunehmend demente Mutter permanent gedrängt, doch ihre schulterlangen zotteligen Haare schneiden zu lassen. Sie sehe fürchterlich aus, teilte ich ihr schonungslos mit. Half aber nichts. Mein Spiegelbild hatte nun eine gewisse Ähnlichkeit mit dem verwirrten Aussehen meiner alten Mutter.

Das bin ich nicht, das will ich nicht sein! Andererseits wären die Haare jetzt schon mal lang und man könnte auf eine schicke Langhaarfrisur hinarbeiten? Lange Zeit wusste ich nicht, was ich wollen sollte und hatte folglich kein Problem damit, dass man beim Friseur eh keinen Termin bekam. Schließlich saß ich dann doch beim Friseur vor dem Spiegel und hörte mich sagen: „Kurz bitte!“

Ich musste irgendetwas Radikales nach dieser Zeit des Stillhaltens und Erduldens machen. Ein Reflex? Eine Ersatzhandlung? Eine Protestaktion gegen das Zeitgeschehen? Ein sichtbares Zeichen für Neubeginn? Ich weiß es nicht!

Aber bis heute frage ich mich auch, wie es sein kann, dass mich das Grauen über das Leid der schwer an Covid Erkrankten, der Tod so vieler tausend Menschen und das Mitgefühl für all diejenigen, die um ihre Lebensgrundlage, um ihre Existenz bangen müssen, gleichermaßen bewegten, wie die Frisur auf meinem Kopf.

Chaos in den Köpfen

Bei mir und auch bei anderen machte sich außerdem Verwirrung in den Köpfen breit, die nicht durch einen Friseurbesuch wieder in den Griff zu bekommen war.

Meine Intention ist, dass ich nicht blind sein möchte, wie man es als Zeitgenosse oftmals ist, ich möchte wachsam und informiert sein in dieser Krisensituation.

Meine Generation und alle jüngeren Generationen hatten noch nie derart massive Grundrechtseinschränkungen erlebt. Freiheit der Person, Versammlungsfreiheit, freie Religionsausübung, Freizügigkeit im Bundesgebiet waren temporär außer Kraft gesetzt. Auch der zu anderen Zeiten geheiligte Datenschutz stand zur Debatte.

Dass die Bundesregierung und die bayerische Landesregierung im Rahmen des Infektionsschutzes Grundrechte einschränkte, kann man nicht auf die leichte Schulter nehmen und mit Sicherheit ist darauf zu achten, dass Einschränkungen, auch des Datenschutzes, nicht über die Pandemie hinaus erhalten bleiben, so mein Gedankengang.

Andererseits war mir auch klar, dass diese Maßnahmen ihren Zweck, die Gesundheit der Menschen zu schützen, erfüllten. Ich hielt mich ja auch bewusst und überzeugt von der Sinnhaftigkeit an alle Regeln.

Dennoch fühlte ich immer den Stachel des Misstrauens und die Notwendigkeit von Achtsamkeit in dieser Zeit.

Ich hatte immer schon bei politischen Ereignissen nach den tiefer liegenden Hintergründen gesucht, denn meine Großmutter hatte mich schon frühzeitig gelehrt, dass es in der Politik immer zwei Ebenen gebe, nämlich die allgemein sichtbare und die der wahren Gründe und Ursachen. „Frag immer, wem`s nützt!“, war ihr Mantra.

Also recherchierte ich im Internet über die Ursprünge der Pandemie in China und stellte fest, dass dieses Land sich außerdem bereit machte, an Unternehmen und Konzernen aufzukaufen, was eventuell coronabedingt in Schwierigkeiten gekommen war. China hatte den Schaden angerichtet und stellt sich nun weltweit so auf, dass es davon profitierte. Die chinesische Propagandamaschine kehrte den Spieß sogar um und behauptete, der Ursprung der Pandemie liege eventuell in Europa, genauer gesagt in Italien. Außerdem habe die chinesische Regierung alle Informationen rechtzeitig an die WHO und die anderen Staaten weitergegeben. Diese jedoch hätten, im Gegensatz zur chinesischen Regierung, versagt und wollten nun die Schuld China zuschieben.

Es ist nicht zu fassen. War es möglich, dass die chinesischen Machthaber die Pandemie billigend in Kauf genommen hatten, da sie die Chancen auf politische und wirtschaftliche Expansion Chinas erhöhten?! Ein unerhörter Gedankengang, aber ist er auch abwegig?!

Ich schaute aber auch genau hin, welcher deutsche Politiker sich gerade womit profilierte und welche Unternehmen oder Wirtschaftszweige an den Maßnahmen verdienten. Wurden vielleicht Maßnahmen getroffen, die für manche nützlich, aber nicht unbedingt notwendig waren?

Die Wissenschaftler unterstützten die Maßnahmen, ja sie forderten sie sogar. Argumente wurden in den Medien dargelegt und ausgetauscht, was mich durchaus überzeugte.

Allerdings waren sich die Experten auch nicht immer einig. Man konnte Statistiken lesen, die bewiesen, dass diese Pandemie äußerst bedrohlich für die gesamte Bevölkerung war, aber auch das Gegenteil. Nur ein geringer Prozentsatz würde erkranken! Nur alte Menschen mit Vorerkrankungen seien, ähnlich wie bei der alljährlich vorkommenden Grippe, gefährdet.

Und es wurden Stimmen laut, die die Kollateralschäden zur Sprache brachten: psychische und physische Auswirkungen bei Kindern und Jugendlichen wie beispielsweise Depressionen, Angstzustände und Übergewicht, auch die komplett isolierten Alten fühlten sich traurig und verlassen, wirtschaftliche Schäden in den besonders betroffenen Branchen, Aufbau von Staatsschulden und Wachstumsrückgang der Wirtschaft usw. wurden prognostiziert.

Ich machte die Erfahrung, dass es mir nicht möglich sein würde, die hundertprozentige Wahrheit herauszufinden. Ich musste mich bewusst dafür entscheiden, den einen mehr zu glauben und zu vertrauen als den anderen. Auch eine Erfahrung!

Dennoch blieb ich als kritische Beobachterin am Ball.

Dass der bayerische Ministerpräsident sich als Macher präsentierte, um eventuell von der CDU/CSU als Kanzlerkandidat für die Bundestagswahl im Herbst 2021 aufgestellt zu werden, war für jeden erkennbar. Dazu brauchte es keine Verschwörungstheorie und auch keine großartigen Recherchen. Ihm kam die Pandemie eigentlich zupass.

Dass online-shops und Lieferdienste Hochkonjunktur hatten und dieses Auftragslevel wahrscheinlich über die Pandemie hinaus retten würden, war auch nicht überraschend.

Es gab tatsächlich „Kriegsgewinnler“.

Und ich fragte mich auch, wie sehr diese Pandemie die Zukunft mitgestalten würde, selbst wenn sie längst abgeklungen wäre.

Würde sich das Arbeiten im Homeoffice, wo immer möglich, durchsetzen?Könnte das zu weniger Konzentration der Menschen in den teueren Städten führen und im Gegenzug ein gesundes Wachstum in den ländlichen, z. T. abgehängten Regionen bringen? Würde sich das Kauf- und Freizeitverhalten der Menschen grundsätzlich ändern? Welche Bedeutung und Atmosphäre würden Innenstädte dann haben? Man konnte zur Zeit des Lockdowns erstmals leere und tote Innenstädte während des Tages sehen. Irgendwie gespenstisch! Wie viele Existenzen in der Gastronomie, Reisebranche, im Einzelhandel, in Kunst und Kultur würden wohl für immer verschwinden?

Ich hatte, wie viele andere auch, das Gefühl, den Beginn großer gesellschaftlicher Umwälzungen zu erleben. Es würde nach der Pandemie nie wieder so sein wie vor der Pandemie. Davon war ich überzeugt. Aber handelte es sich hierbei um eine organisch wachsende oder eine gesteuerte Entwicklung? So ganz ließ mich diese Frage nicht los.

Beinah auf den Leim gegangen!

Und dann schickt mir eine vertrauenswürdige Freundin, die ich als intelligente, vernünftige Frau kenne, ein Video, in dem ein Moderator die Gefährlichkeit des Coronavirus Covid-19 stark relativiert, in dem davon die Rede ist, dass Bill und Melinda Gates mit ihrer Stiftung Millionen für Impfungen scheffeln würden und außerdem über heimliche Nebenmedikation Einfluss auf das Bevölkerungswachstum nehmen wollten.

Naja, Bill Gates hat sich ja nicht unbedingt als philanthropischer Menschenflüsterer in seiner Zeit als Geschäftsmann hervorgetan. Ich traue ihm schon allerhand zu. Aber diese überspannten Theorien dieses Bloggers sind mir nicht geheuer.

Also recherchiere ich weiter und lande jetzt tatsächlich bei Beiträgen, die so absurd sind, dass einen schwindlig wird. Pädophile Kreise um Hillary Clinton würden Kinder in unterirdischen Räumen gefangen halten usw… Das Virus gebe es gar nicht… Eine Grippe sei gefährlicher… Besagte Politiker wie Bundeskanzlerin Angela Merkel und Mediziner wie Christian Drosten von der Charité würden eine Diktatur errichten wollen…

Querdenker - eine Bewegung?

Tatsächlich gehen immer mehr Menschen auf die Straße und wollen über die sogenannte Corona- und Pandemielüge aufklären. Sie nennen sich Querdenker.

Und jetzt bin ich wirklich sauer. Querdenken war für mich immer ein positiver Begriff, denn es bedeutet, dass man keine Schere im Kopf hat, dass man kritisch hinterfragt, sich viele Optionen und Szenarien vorstellen kann und die nicht tragfähigen wieder verwirft, dass man nach Informationen über Hintergründe und Motive forscht, nach Belegen und Beweisen sucht. Ich habe mich in diesem Sinne immer als Querdenkerin in Abgrenzung zur Verschwörungstheoretikerin verstanden.

Aber all das ist bei den Anti-Corona-Querdenkern nicht zu finden. Nun ist der Begriff für jeden ernsthaft quer denkenden Menschen verbrannt. Sehr schade.

Ziemlich verständnislos sehe ich im Fernsehen Querdenker-Demos, in denen Schilder mitgeführt werden, die Deutschland mit der Nazi-Diktatur vergleichen, in denen zum Widerstand aufgerufen wird und sich Demonstranten gelbe Sterne an die Kleidung heften, um sich als Querdenker im Deutschland des Jahres 2020 mit den verfolgten Juden des Dritten Reiches zu vergleichen. Und es kommt zu Gewaltaktionen gegen Journalisten und Andersdenkende. Rechte Gruppierungen springen auf diesen Zug auf und bringen ihre Ideologie erschreckend erfolgreich an den Mann bzw. an die Frau.

Das ganze wirkt auf mich total absurd und ich komme nicht dahinter, was diese Leute antreibt. Eine kritische Haltung ist das nicht mehr. Hysterie? Ja! Sachliche Auseinandersetzung? Fehlanzeige.

Ich beruhige mich erst wieder, als ein Historiker darlegt, dass dieses Phänomen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als die Spanische Grippe wütete, ebenfalls aufgetreten war.

Offensichtlich gehen viele Menschen mit einer Krise, die sie hilflos macht, so gespenstisch hirnlos um. Vielleicht steckt auch ein Kalkül dahinter.

Ich habe in diesen Tagen der Pandemie „Gebrandmarkt. Die wahre Geschichte des Rassismus in Amerika“ von Ibram X. Kendi, auf Deutsch erschienen bei C.H. Beck 2017, gelesen und fand darin eine interessante Passage. In Boston wüteten um 1721 die Pocken. Kendi beschreibt, dass zu Beginn des 18. Jahrhunderts einflussreiche Bürger der amerikanischen Kolonie durch einen Sklaven von einer Art Vorform der modernen „Impfung“ erfuhren, die in Afrika seit Jahrhunderten zur Immunisierung gegen die Pocken angewendet wurde. Die Heilkundigen Westafrikas entnahmen eine winzige Dosis Eiter aus einer Pockenbeule und ritzten damit die Haut eines Gesunden. Diese Methode wurde Inokulation genannt. Europäische Mediziner untersuchten mit den damaligen Mitteln diese Methode und empfahlen sie ihren Landsleuten in der Kolonie. Rassistischen europäischen Wissenschaftlern widerstrebte der Gedanke, dass primitive Wilde in Afrika größeres medizinisches Wissen entwickelt haben könnten. Der hoch angesehene Arzt Dr. William Douglass in Boston sah seine Reputation in Gefahr und setzte daher erfolgreich die Verschwörungstheorie in die Welt, dass die afrikanischen Sklaven gedachten, ihre Herren mit dieser Methode umzubringen. Die Zeitungen brachten diese Theorie unter die Leute und so forderten die Pocken weiterhin regelmäßig viele Todesopfer. (s.o. „Gebrandmarkt“, Ibram X. Kendi, S. 83/84)

Wiederholen sich manche Situationen in der Geschichte auf so fatale Weise?


Ich muss sagen, ich habe die Auswirkungen dieser Querdenker- und Verschwörungstheoretiker-Bewegung in unserer Zeit unterschätzt. Im Herbst 2021 wird sich eine vierte Welle an Infektionen, ausgehend von Süddeutschland, aufbauen, die sich anschickt, die ersten drei Wellen in den Schatten zu stellen. Und das alles, obwohl es inzwischen einen Impfstoff gegen Covid-19 gibt. In Oberbayern und auch in Sachsen und Thüringen sind Esoteriker, Verschwörungstheoretiker, Querdenker und teilweise auch der rechte Anhang stark. Sie haben außerdem noch eine in diesem Fall verheerende Überzeugung: Sie sind Impfgegner. In den Landkreisen, besonders im südlichen Oberbayern, liegt die Impfquote bei ca. 53 Prozent, dafür die 7-Tage-Inzidenz pro 100 000 Einwohner im November 2021 bei ca. 1200. Die Intensivstationen in der Gegend sind vollgelaufen.

Staatliches Versagen

Anstatt die Pandemie zu leugnen und der Politik diktatorische Gelüste anzudichten, hätte man im Laufe des Jahres 2020 den zuständigen staatlichen Organen vielmehr mangelndes Krisenmanagement vorwerfen können.

  • Maskenpflicht und Mangel an Masken

Als nach langen Diskussionen zwischen Medizinern, Virologen und Experten für medizinische Schutzkleidung sowie Politikern über Nutzen oder Schaden von Nasen-Mundschutz schließlich die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln, Läden, Arztpraxen, Restaurants usw. eingeführt wurde, gab es schlicht und ergreifend gar nicht genügend Masken zu kaufen.

Ich habe ja den Verdacht, dass dieser Mangel der wahre Grund für die merkwürdig kontroverse Diskussion um den Nutzen von Masken war. Zeit gewinnen!!!

Die Gegner der Maskenpflicht führten beispielsweise an, dass die Menschen sich aufgrund der Scheinsicherheit durch das Tragen einer Maske nicht mehr an Hygiene- und Abstandsregeln halten würden. Beim unsachgemäßen Gebrauch einer Maske werde das Infektionsrisiko sogar erhöht. Außerdem sei der Schutz ja nur indirekt und minimal. Der Maskenträger entlasse weniger Aerosole in die Luft und reduziere dadurch die Ansteckungsgefahr für andere. Er selbst hingegen atme Aerosole nahezu ungefiltert ein.

Beim Ausatmen filtert also die Maske, beim Einatmen nicht?

So ganz verstand ich die Diskussion nicht. Aber wie mir schien, nützte es einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, wie herum auch immer. Man konnte halt grad keine kaufen, was die Diskussion um den Nutzeffekt schon etwas seltsam erscheinen ließ. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Aber der Mensch wird ja in solchen Situationen immer recht erfinderisch.

Ich recherchierte also im Internet, aus welchem Material und wie ich mir selbst einen Mund-Nasen-Schutz schneidern könnte. Und ich kaufte mir Kaffeefilter, weil ein Arzt in einem Video diesen Maskenersatz empfohlen hatte und zeigte, wie man so ein Ding leicht anfertigen konnte. Allerdings fehlten mir die notwendigen Gummis für die Ohrenhalterung und ich konnte diese Teile auch nirgends auftreiben. Also schnappte ich mir ein Geschirrtuch und schneiderte einen gigantischen Nasen-Mund-Schutz. Mein Nähtalent ist ja sehr bescheiden und so griff ich letztendlich dann doch auf die Stoffmasken begabterer Zeitgenossinnen zurück, die man bald im Bioladen und auch sonst überall kaufen konnte.

Streng nach Anweisung durch Virologen fasste ich die Stoffmaske nach Gebrauch nur seitlich an, stecke sie in eine Tüte und kochte sie regelmäßig aus. Wenn ich aber die benutzte Maske außen nicht anfassen sollte und auskochen musste, weil sich darauf Viren gesammelt haben könnten, dann hätte ich mich ja eigentlich auch selber auskochen und nicht nur die Hände drei Minuten lang waschen müssen. So ganz verstand ich das in meiner Pingeligkeit nicht, aber ich machte halt mit und kochte nicht mich, sondern die Maske aus. Man weiß ja nie und schaden tut`s auch nicht. Vermutlich!

Parallel zu unseren Versuchen alle möglichen Arten von Masken herzustellen, kurbelten Regierungsvertreter und Abgeordnete der Länder und des Bundes den Einkauf sowie die Produktion von professionelleren OP- und FFP2-Masken an. Aus China kamen zwar jede Menge Angebote, aber man wollte mittelfristig unabhängig sein und Qualität sichern.

Wer dabei welches Geschäft witterte, ahnten die Menschen im Sommer 2020 noch nicht.

Erst 2021 erfährt die Öffentlichkeit, dass sich u.a. CSU-Politiker wie der Bundestagsabgeordnete Georg Nüsslein und der Landtagsabgeordnete und ehemalige bayerische Justizminister Alfred Sauter als bezahlte Vermittler in das anlaufende Maskengeschäft eingeklinkt und Millionen an Vermittlungsgebühren daran verdient hatten.

Andere, wie der Freie-Wähler-Chef und bayerische Wirtschaftsminister sowie stellvertretender Ministerpräsident in Personalunion, Hubert Aiwanger, schanzten mit ihnen befreundeten Unternehmern Aufträge zu und ließen kompetentere Produzenten mit Expertise in der Produktion medizinischer Produkte außen vor.

Ein niederbayerisches Autozulieferunternehmen, das in der Nähe des Aiwangerschen Gehöfts seinen Sitz hat, erhielt den Auftrag für die Massenproduktion an Masken. Ein Unternehmen aus der Umgebung Augsburgs, das bereits Expertise in der Maskenproduktion besaß und sich auch um einen Auftrag bemüht hatte, wurde kaum berücksichtigt.

Menschen und Medien zeigten wenig Verständnis für derartige Deals und es mussten sich die Gerichte damit beschäftigen. Es stellte sich jedoch heraus, dass diese Geschäftstüchtigkeit gegen keinerlei Rechtsgrundsätze verstoßen würde. Es handelte sich weder um Korruption noch um Bestechung. Moralisch, da waren sich alle einig, sei dies für einen Volksvertreter verwerflich gewesen, aber strafrechtlich irrelevant. Alfred Sauter verließ mehr oder weniger freiwillig die CSU, verlor jedoch nicht sein Mandat.

Man kann als normaler Teil der Bevölkerung gar nicht begreifen, dass gewählte Volksvertreter bei all dem Elend, der Hilflosigkeit und dem dringenden Bedarf bei gleichzeitig großem Mangel eine Chance wittern, sich privat zu bereichern. Die einen verlieren ihre Existenz oder sogar ihr Leben und die anderen, deren Job es wäre, die Bevölkerung zu schützen, raffen Millionen.

  • Testchaos

Problematisch war auch die Erfassung und Auswertung der Tests von Reiserückkehrern nach den Sommerferien. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder versuchte sich dadurch zu profilieren, dass er an der bayerischen Grenze zu Österreich Tests für Reiserückkehrer anbot. Wer aus einem Risikogebiet kam, musste sich sowieso testen lassen, alle anderen konnten dies freiwillig tun.

Bayern und mit ihm Markus Söder sollten als Bollwerk gegen die Rückkehr des Virus mit den Reiserückkehrern fungieren.

Dieses Prestigeprojekt ging aber ordentlich in die Hose und kostete die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml ihr Amt.

Binnen weniger Tage wurden mehrere Teststationen an Grenzübergängen und Autobahn aus dem Boden gestampft. Das Bayerische Rote Kreuz stellte das Personal, das z. T. ehrenamtlich tätig war. Allerdings fehlte es an einer entsprechenden Software, mit der man ohne Zwischenschritt eine funktionierende Datenbank hätte aufbauen können. Die vielen Testwilligen mussten Formulare händisch ausfüllen, die zum Eintragen der Daten ins System an Mitarbeiter weitergereicht wurden. Ein sehr zeitaufwendiges und fehleranfälliges System.

Das BRK war bald überfordert mit der Datenfülle, wie auch die Labors und das Bayerische Landesamt für Gesundheit schafft es nicht einmal, die positiv Getesteten binnen kürzester Zeit zu verständigen. So wurden über eine Woche 44 000 Getestete nicht verständigt. 900 davon waren positiv getestet worden.

Sie gingen folglich nichtsahnend ihrer Wege, trafen Freunde, Verwandte und Kollegen und gaben das Virus weiter. Ein Fiasko!

An den Flughäfen in Deutschland soll der Ablauf effizienter und zuverlässiger gestaltet worden sein. Aber wer weiß!

Dennoch stiegen zum Ende der Reisezeit die Infektionszahlen wieder an. Eine zweite Welle baute sich auf und noch wagte kein Politiker einen erneuten Lockdown ins Auge zu fassen.

Man hatte fast das Gefühl, als würden die im Wahlkampfmodus denkenden und agierenden Politiker darauf warten, dass einer die Nerven verliert und als Erster dem Wahlvolk einen Lockdown zumutet.

Kontaktbeschränkungen in Pflegeheimen – eine Tragödie für meine alte demente Mutter

Nach wie vor wurden jedoch die Bewohner der Pflegeheime rigoros durch Kontaktbeschränkungen geschützt, was mich persönlich stark betraf, denn meine demente 86-jährige Mutter konnte seit dem Frühling 2020 im Pflegeheim nicht mehr besucht werden.

Die Situation war fatal, denn ein Telefon konnte sie schon länger nicht mehr selbständig bedienen.

Da ich nicht in derselben Stadt wohnte wie meine Mutter, hätte ich sechs Stunden hin und zurück in vollen Zügen verbringen müssen, um sie vielleicht durch eine Glasscheibe oder am Fenster sehen zu können. Hotelübernachtungen waren ja aufgrund des Infektionsschutzgesetzes nicht möglich und wohl auch nicht zu empfehlen.

Ich schrieb also lustige Karten an sie und nutze die Einrichtung des Heimes, über eine Vermittlerin wenigstens ab und zu ein Telefongespräch mit ihr führen zu können, sodass ich auch von ihr hörte und nicht nur sie von mir. Es war aber offensichtlich, zu telefonieren strengte sie an. Und natürlich verstand sie nicht, was los war. Sie, die jeden Tag in den Straßen ihres Viertels unterwegs gewesen war und Leute gnadenlos angequatscht hatte, durfte nun das Haus nicht mehr verlassen. Sie verstand es nicht, sie glaubte nicht, dass es alle gut mit ihr meinten, sie wurde unleidlich und schließlich sehr böse. Als sie Ende des Sommers 2020 einen Mitbewohner bedrohte, wurde sie in die Psychiatrie des Bezirksklinikums gebracht, wo man hoffte, sie medikamentös einstellen zu können. Telefonisch erfuhr ich nun, dass sie wohl schon lange an Alzheimer litt, eine Diagnose, die mir so durch ihren Hausarzt nicht mitgeteilt worden war. Aber nun fügten sich die z. T. verstörenden Verhaltensauffälligkeiten zu einem Krankheitsbild.

Überraschenderweise durfte ich sie im Bezirksklinikum in der Psychiatrie besuchen.

Im Spätsommer 2020 waren zwar die Läden und Gaststätten mit Einschränkungen wie Maskenpflicht, Begrenzung der Besucherzahlen, Hygienekonzepten wieder geöffnet, die Anzahl der Infizierten war noch gering, aber die Pandemie war definitiv nicht vorbei. Es gab noch keinen Impfstoff und keine Medikamente zur Therapie.

Also war es eine große Sache, einen Ort zu betreten, an dem kranke und besonders zu schützende Menschen lebten. Ich war zwar im Alltag vorsichtig, aber ich hatte große Angst, das Virus womöglich bei den Alten und Kranken einzuschleppen.

Mein Sohn fuhr mich hin, durfte aber nicht mit hinein, da der Zutritt nur einer Person erlaubt war. Ich war sehr aufgeregt, denn der Ablauf war für mich damals ganz neuartig und daher sehr einschüchternd.

Ich musste an der Tür klingeln und selbstverständlich meine Hände desinfizieren und eine Maske aufsetzen. Nach einiger Zeit kam eine Betreuerin und maß Fieber und händigte mir das obligatorische Formular aus, auf dem ich meine Kontaktdaten eintragen und versichern musste, dass ich keine Krankheitssymptome und auch keinen Kontakt mit einer erkrankten Person gehabt hätte.

Soweit so gut!

Dann wurde ich zu einem Glaskabinett geleitet und gleichzeitig wurde auch meine Mutter dorthin geführt. Sie erkannte mich und freute sich. Diese Freude war aber schnell wieder vorbei, denn wir durften uns nur per zuwinken auf Abstand begrüßen und saßen uns an einem großen Tisch auf Abstand mit Masken im Gesicht gegenüber. Es kam mir vor, als würde ich meine Mutter im Knast besuchen. Die genehmigten 20 Minuten waren dann schnell vorbei und meine Mutter war sehr traurig darüber, dass wir uns nicht einmal zum Abschied die Hände reichen durften, geschweige denn uns umarmen konnten. Das wäre ihr halt wichtig gewesen, denn Erinnerungen konnte sie nicht mehr im Kopf behalten. Sie konnte nur noch den Moment der Nähe einen Augenblick lang spüren.

Nach einer Woche wurde sie wieder ins Pflegeheim zurückgeschickt. Es war inzwischen September geworden, ein milder Herbst kündigte sich an, aber auch eine neue Infektionswelle.

Mein Sohn, meine Schwiegertochter und ich durfen nicht ins Pflegeheim, aber aufgrund des milden Wetters, konnten wir meine nun bewegungsunfähige und vor sich hin dämmernde Mutter im Rollstuhl im Park spazieren fahren. Sie schenkte uns nur noch einige lichte Minuten beim zweiten Besuch. Eigentlich sollten wir sie nicht berühren und umarmen, aber ein bisschen streicheln erlaubten wir uns dennoch.

An der Tür des Pflegeheimes wurde sie uns übergeben und wir gaben sie dort schlummernd wieder ab. Die gesamte Situation war absurd und traurig. Wir fühlten uns sehr hilflos.

Dann, Anfang Oktober, stiegen die Infektionszahlen wieder regional rasant an und das Herbstwetter erlaubte keine Outdoor-Treffen mehr. Noch war es mir alleine erlaubt das Pflegeheim zu betreten, aber wie lange noch?! Mein Wohnort entwickelte sich gerade zum Hochrisikogebiet, weswegen weitere Kontakt- und Bewegungseinschränkungen zu erwarten waren. Also plante ich meinen nächsten Besuch bald möglichst und sehr akribisch.

Ich fuhr mit dem Zug in der ersten Klasse, um Abstand halten zu können, damit ich nur ja keine Coronaviren ins Pflegeheim einschleppte. Vom Bahnhof lief ich zu Fuß, um nicht im Bus etwas aufzuschnappen. Wahrscheinlich war das hysterisch, aber meine Angst, für den Tod der alten Menschen verantwortlich zu sein, war riesig.

Meine Mutter war zu diesem Zeitpunkt kaum ansprechbar. Sie verweigerte das Essen und hatte während meines Besuches nur einen kurzen hellen Moment. Als ich ging, sah sie mir aber traurig hinterher. Wir beide spürten, dass wir uns nicht wiedersehen würden.

Und so kam es dann auch. Mein Wohnort wurde im Oktober zum Hochrisikogebiet, weswegen ein Besuch oder gar eine Begleitung mit Übernachtung in einem Hotel nicht machbar war. Es war klar, dass meine Mutter im Sterben lag und das Heim hätte mir einen Abschiedsbesuch sogar erlaubt, aber ich hatte keine Chance das sicher für mich und das Heim zu organisieren. Als meine Mutter am 23. Oktober starb, waren wir nicht bei ihr.

An ihrem Totenbett standen dann auch nur mein Sohn und ich, meine Schwiegertochter, die von meiner Mutter sehr geliebt wurde, durfte nicht mit hinein. Nur zwei Personen! Aber meine Mutter war sowieso nicht mehr anwesend. Das spürte ich ganz deutlich.

Vieles spricht dafür, dass ich in dieser Situation falsch gehandelt und sie im Stich gelassen habe. Vieles spricht aber auch dafür, dass meine Mutter mein Handeln gut geheißen hätte, wenn man sie noch hätte fragen können. Letztendlich werde ich es nie wissen, mich aber den Rest meines Lebens genau das fragen.

Die Beerdigung fand aufgrund der Kontaktbeschränkungen im kleinsten Kreis statt und war dennoch sehr stimmig. Mein Sohn, meine Schwiegertochter, meine Freundin aus Kinder- und Jugendtagen, die meine Mutter natürlich noch als junge Frau erlebt hatte, und ich durften, weil nur aus zwei Haushalten stammend, gemeinsam in einem Trauerraum Abschied nehmen.

Als wir drei, mein Sohn, meine Schwiegertochter und ich, gemeinsam im Auto nach Hause fuhren, ahnten wir, dass wir einem Herbst und Winter mit hohen Infektionszahlen und tiefgreifenden Einschränkungen entgegenfuhren. (TA)


Links zum Thema Pandemiejahre 2020/21:

Pandemiejahre 2020/21 - Teil 3

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