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Zeitgeist - Bauchgefühl vor Verstand! 

  • titanja1504
  • 8. Mai
  • 6 Min. Lesezeit

(DE) Bei einer Auktion für Antiquitäten und alte, gut erhaltene Möbel aus allen möglichen Zeiten komme ich mit einer Dame ins Gespräch. Sie ist eigentlich unterschiedslos von allen Möbelstücken komplett begeistert und fragt mich, wie ich denn einen dunklen Wohnzimmerschrank aus den 50er Jahren fände. Obwohl ich durchaus eine gewisse Vorliebe für alte Möbel habe, sonst wäre ich ja nicht auf diese Auktion gegangen, ist dieses wuchtige Möbelstück nun wirklich nicht mein Fall, was ich auch sage. „Ach“, meint die Dame daraufhin indigniert, „Sie mögen wohl keine alten Möbel, sondern nur so moderne IKEA-Teile.“ 

Sie wandte sich von mir ab, denn ihrem Empfinden nach war wohl jemand, der nicht ausnahmslos alle alten Möbelstücke toll findet, ein IKEA-Möbel-Liebhaber und damit aufgrund seines Geschmackes definitiv kein adäquater Gesprächspartner mehr für sie. 

Schubladendenken 

Dieses Erlebnis erscheint mir wie eine Parabel, die den derzeit herrschenden Zeitgeist der Polarisierung, der Ausschließlichkeit widerspiegelt. Es wird mehr empfunden als gedacht, mehr abgegrenzt als geöffnet, mehr interpretiert als gefragt.

Schubladendenken greift um sich.
Schubladendenken greift um sich.

Wes Geistes Kind jemand ist, also welche Gesinnung er hat, glaubt man an bestimmten Merkmalen zu erkennen oder auch nur zu spüren. Kategorien! Schubladen! Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Abgrenzung und Aufteilung in wir, die Guten und Wissenden, und ihr, die Bösen bzw. Naiven und Irregeleiteten!  


Spätestens auf den Wellen der Pandemie wurde dieses Phänomen in unsere Kommunikationsstrategien, in die Medien und in die politische Auseinandersetzung getragen. Schwarz-weiß-Malerei, Schubladendenken, Stigmatisierung von Andersdenkenden und eine unumstößliche moralisch begründete Meinung zu haben, wurden in einem schleichenden Prozess zur Norm. Wer anders denkt, wird gecancelt. Eine gesunde Auseinandersetzung mit anderen Meinungen findet nicht mehr statt. 


Differenzierung, Ausgewogenheit, Meinungsbildung in einem Prozess des Austausches, das Äußern von Zweifeln und das Stellen von Fragen, auf die man nicht schon von vornherein die Antwort weiß, geriet in Misskredit. Diese Werte und Verhaltensweisen werden heute, im Jahr 2025, als bloße Zögerlichkeit, Unentschlossenheit, Feigheit oder Hilflosigkeit abgewertet. 


Auf die Gesinnung kommt es nämlich an und erst in zweiter Linie auf den analytischen Verstand! Das Bauchgefühl dominiert und erstickt oft sachlich kontroverse Debatten im Keim. 

Floskeln, die Gesinnung ausdrücken als politisches Konzept 

„Wir stehen fest an der Seite von …!“, ist ein typischer Politiker-Satz der 2020er Jahre, der zu Beginn der großen Konflikte dieser Zeit, nämlich Ukraine-Krieg und Nahost-Krieg, als erstes geäußert wurde. Ein Ausdruck von Solidarität ohne Wenn und Aber und ohne festzulegen, wer mit „wir“ gemeint ist. Die Regierung eines Landes? Eine bestimmte Partei? Das ganze Volk? 


Dieser Satz fragt nichts und erklärt nichts. Er stellt keine Handlungen in Aussicht und blickt weder in die Vergangenheit noch in die Zukunft. Aber dieser Satz legt ein ganzes Land übergriffigerweise darauf fest, auf welcher Seite es zu stehen hat und das auch noch fest, also unerschütterlich, also egal, was diese Seite tut. 


Das ist „gefühlige“, ja pathetische Gesinnungspolitik und diese Art von Politik grenzt sich stärker gegen andere oder auch nur in Teilen abweichende Gesinnungen oder Meinungen ab. Es steckt ein gewisser missionarischer Eifer darin. 


In Deutschland kam es im Hinblick auf den Ukrainekrieg sowohl in der Politik wie auch innerhalb der Bevölkerung zu heftigen emotionalen Verwerfungen, wenn es um Diplomatie oder Waffenlieferungen ging. Besonders die Befürworter der Aufrüstung sahen das Heil der Ukraine, Europas, ja der Welt in der Lieferung schwerer Waffen. Argumente? Fehlanzeige! Moralischer Druck, die Ukrainer nicht im Stich zu lassen? Ja! 

Im Gegenzug wurden die Anhänger der Friedensdiplomatie als Putin-Freunde abgestempelt, eine argumentative Auseinandersetzung fand kaum statt. Nicht einmal ein Sowohl-Waffen-wie-auch-Diplomatie-Vorschlag konnte die Emotionen glätten. „Mit Putin kann man nicht reden!“ oder „Putin kann man nicht trauen!“ waren Entgegnungen, die lediglich ein Empfinden äußerten. 


Das ganze gipfelte letztendlich in dem Gefühl, dass du ein emphatischer, also mitfühlender Mensch bist, wenn du für Waffenlieferungen in die Ukraine eintrittst. Und dass du ein gefühlloser Mensch bist, wenn du diplomatische Verhandlungen mit Russland für einen Lösungsansatz hältst. Dass man Zerstörung und Tod doch vermeiden müsse, wollten die „kriegerischeren“ Bürger und Politiker nicht gelten lassen. 


Die Intention, die Wahrheit zu verkünden und das Heil zu bringen, bewegt die Menschen mehr, als die Funktionsweise des Weltgeschehens, die Ursachen sowie die Konsequenzen von Kriegen zu verstehen und die jeweiligen Strippenzieher im Auge zu haben. 


Fast will man den Menschen, frei nach Kant, wieder zurufen, sie mögen doch den Mut haben, ihren Verstand zu gebrauchen. 


Aber es ist das moralische Empfinden, das sich in der Gesinnung ausdrückt, das die Oberhand hat. Daher auch die klammheimliche Vorliebe für Pathos und Heroismus, sogar im eigentlich dagegen immun geglaubten Deutschland. 

Die Klimaaktivistin Greta Thunberg und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sind nur die jüngsten Beispiele dafür. Der jugendlichen Aktivistin wurde auch in Deutschland Verehrung entgegen gebracht und es schauderte die Menschen wohlig, als das Mädchen die Politiker der Welt anklagte: „How dare you…!“ 

Und ebenso brachten Wolodymyr Selenskyj pathetische, emotionale Worte und nicht Argumente vor dem Bundestag und vor dem Europaparlament Standing Ovations ein.  

Die Tendenz zum Pathos ist schon länger erkennbar. 

„Je suis Charlie“, machte 2015 nach dem islamistischen Terrorangriff auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo die Runde. Diese Art von Solidarität geht noch weiter, ist noch intensiver, noch vereinnahmender als das An-der-Seite-Stehen. Trotzig verschmelzen die Nicht-Betroffenen mit den Betroffenen. 


An wen ist diese Botschaft eigentlich gerichtet? An die Opfer, nach dem Motto, „Ihr seid nicht allein!“? An die Täter, nach dem Motto, „Wir lassen uns den Mund nicht verbieten und wir sind viele!“? 

Wer fragt danach, ob die Satire dieses Magazins vielleicht Kritik verdient hätte? Nicht Tod, nicht Zerstörung, aber die Frage, ob Satire wirklich alles darf. Kaum jemand wagte das nach dem Terrorakt und der globalen emotionalen Solidaritätskampagne zu thematisieren. 


Wie auch immer, der Geist dieser Parole hat die Menschen ergriffen und erschien auch bei anderen Anlässen wie beispielsweise bei der Tötung des US-Amerikaners George Floyd durch US-amerikanische Polizisten 2020. 


Anstatt wie Martin Luther King den Rassismus der US-amerikanischen Gesellschaft anzuklagen, einen Traum von Gleichheit und Gerechtigkeit einzufordern, versucht man den Gedanken der Gleichheit, einem Menschenrecht, mit dieser schlichten Parole auszudrücken. 


Das ist emotional und man fühlt sich gut dabei, den Gerechten zugehörig, da man die moralisch richtige Gesinnung zeigt. Aber nachhaltig ist das nicht, denn die Bewegung ebbt ab, sobald ein neuer, ähnlicher Fall auftaucht, der genauso individuell emotional behandelt wird. Ursachen, Lösungsstrategien und Zusammenhänge werden kaum thematisiert. Zu komplex? Nicht emotional genug? Zu sachlich und zu wenig moralisch überheblich? 


Sowohl „Je suis Charlie“ wie auch „I am George Floyd“ landeten jedenfalls auf T-Shirts und dienten dem Kommerz, wogegen niemand protestierte.  

Gesinnungs- und Betroffenheitspolitik führen in die Irre! 

Der deutschen Außenministerin Anna-Lena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) erschien wohl die klassische Solidaritätsbekundung, man stehe fest an der Seite Israels nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 07. Oktober 2023 nicht ausreichend gefühlsbetont. 


Sie gedachte die pathetische Fackel der Brüderlichkeit erneut zu entzünden und sagte: „In diesen Tagen sind wir alle Israelis.“ Nicht Wenige waren äußerst überrascht von diesem merkwürdigen Bekenntnis einer deutschen Ministerin. 


Dass der Funke nicht übersprang und die Massen erfasste, liegt vielleicht daran, dass dieser Ausspruch etwas mit Staatsbürgerschaft zu tun hat und nicht mit individuellen Opfern. 

Vielleicht erkannten die Menschen auch instinktiv die Unsinnigkeit, ja vielleicht sogar die Übergriffigkeit dieser Parole. 

Dem Staat Israel kann man zwiespältig gegenüber stehen wie jedem anderen Staat auch. Israelis sind als Staatsangehörige gesichts- und namenlos wie alle anderen Staatsangehörigen auch. 


Die Terroropfer aber haben Gesichter sowie Namen und mit ihnen fühlt man mit, in erster Linie als Menschen und nicht als Staatsbürger. 

Diese israelischen Opfer stehen auch nicht für einen bestimmten Wert wie etwa Meinungsfreiheit, wie die Redakteure von Charlie Hebdo das für sich in Anspruch nahmen. 

Die getöteten, gefolterten, verschleppten und gedemütigten Israelis hatten bestimmt ganz unterschiedliche Lebensläufe, Ansichten und Einstellungen. 


Und es war in den folgenden Monaten von Seiten der deutschen Außenministerin und auch von keinem anderen Politiker weder der Satz, „Wir stehen fest an der Seite des palästinensischen Volkes in Gaza!“, noch die Behauptung, wir seien nun alle Palästinenser, zu hören. 


Gründe für emotionale Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung hätte es zehntausendfach gegeben und gäbe es im Jahr 2025 immer noch. 

Aber in diese Richtung führt kein offizieller Weg zu Betroffenheitsbekundungen der politisch Verantwortlichen. 

Was ist denn nun die Gesinnung, die beispielsweise die Außenministerin emotional zur Israelin werden lässt, aber nicht zur Palästinenserin? 

Ist das nicht eine fragwürdige Gesinnung, die Menschenleben unterschiedlichen Wert beimisst? 


Das allein macht schon deutlich, wie sehr Gesinnungspolitik in eine Sackgasse führt, in ein Messen mit zweierlei Maß. Das Bauchgefühl, das einer Gesinnungs- und Betroffenheitspolitik zugrunde liegt, ist keine belastbare Grundlage für Einschätzung, Bewertung und Handlung, also für Politik. 


Um mitzufühlen, solidarisch zu sein, sich gegen Gewalt und Terror zu wenden, muss man wahrlich nicht die Staatsbürgerschaft wechseln, wenn auch nur im Geiste. Man muss auch nicht in die Rolle des Opfers schlüpfen, was reichlich übergriffig anmutet, sondern es ist menschlich und angemessen, Empathie, Menschlichkeit, Trauer und Entsetzen zum Ausdruck zu bringen. 


Aber parallel dazu ist jeder Politiker, jeder Mensch aufgefordert, seinen Verstand zu benutzen, um Hintergründe, Motive, Zusammenhänge usw. zu erkennen, und mit dessen Hilfe das Geschehen einzuordnen und Lösungen zu finden. 


Die Außenministerin, 1980 geboren, ist eine Gesinnungs- und Betroffenheitspolitikerin, wie man sie häufig in ihrer Partei „Bündnis 90/Die Grünen“ findet. Und sie ist ein Kind ihrer Zeit, unserer Zeit! Man trägt in dieser Zeit seine Gesinnung, auch in Form von floskelhafter Betroffenheit, gut sichtbar vor sich her. 


Wenn jedoch die Verantwortlichen unserer Gesellschaft, auch die Medien und damit letztendlich die gesamte Gesellschaft im Emotionalen verharren, wird das Handeln nach rationalen Kriterien immer schwieriger bis unmöglich. Es bilden sich die oft zitierten Meinungsblasen, in denen sich alle gegenseitig in ihrem Bauchgefühl bestärken, unerreichbar für Andersdenkende oder -fühlende. Und an gewissen Merkmalen erkennen sich dann die Gleichgesinnten. Wer gendert und ein Lastenfahrrad fährt, ist gegen Corona geimpft und tritt für Waffenlieferungen an die Ukraine ein. So einfach ist das dann! Überspitzt ausgedrückt! (TA) 

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