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WG-Geschichten - Zusammenleben muss gelernt werden

  • lisaluger
  • 26. Dez. 2022
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 30. Mai 2023

(DE) In einer Wohngemeinschaft während meiner Studienzeit in Berlin ging es oft hoch her. Ich erinnere mich noch heute gern an die Partys, die wir feierten. Und wir veranstalteten große Essen in unserer Wohnküche, zu der immer viele Gäste auftauchten. Wir hatten offensichtlich einen guten Ruf als gastfreundliche Gourmet-WG. Sogar an Weihnachten fuhren wir nicht nach Hause zu unseren Familien. Wir wollten mit Freunden feiern, ganz anders als früher! Allerdings gab es auch bei uns die traditionelle Weihnachtsgans. Darauf wollten wir nicht verzichten. Diese Barriere wurde selbst von noch so revolutionär denkenden WG-Mitgliedern und -Freunden nicht überschritten. Ist ja nicht alles schlecht am Spießertum!


Zusammenleben muss gelernt werden
Zusammenleben muss gelernt werden

Offenheit, Toleranz und Grosszügigkeit

Aber ansonsten legten wir schon Wert darauf, dass größtmögliche Offenheit, Toleranz und Großzügigkeit bei uns herrschte.


Eigentlich waren wir zu viert in dieser WG. Aber durch eine Reihe von Ereignissen waren wir einige Monate auch schon mal doppelt belegt. Mein Freund hatte sich das Bein gebrochen und musste versorgt werden, ein Mitbewohner hatte eine neue Freundin, die in der Phase der ersten Verliebtheit nun mal gern bei ihm zu Besuch war und eigentlich mit uns wohnte. Eine weitere Mitbewohnerin hatte ihren Freund aus dem Ausland zu Besuch, der natürlich bei uns Unterschlupf fand. Die einzig allein verbleibende Mitbewohnerin fühlte sich wie das 5. Rad am Wagen und lud ihrerseits so oft wie möglich ihren Freund zu Besuch ein.

Wir hatten eine gute und interessante Zeit miteinander, die manches Mal auch recht anstrengend war. Es gab beispielsweise kaum mehr Rückzugsmöglichkeiten. Wenn man in der Küche mal in Ruhe eine Tasse Tee trinken wollte, saß da jemand am Küchentisch, tippte auf der Schreibmaschine und rauchte und wollte seinerseits nicht gestört werden. Die gemeinsame Nutzung der Küche war ja noch ein kleineres Problem. Schwierig wurde es am Morgen, wenn alle acht Bewohner dringend in das einzige Bad mussten. Da auch die Toilette im Bad integriert war, stand man manchmal mehr oder weniger verzweifelt in der Schlange.

Haushaltsaufgaben werden auf alle verteilt

Wie in jeder Familie muss auch in einer WG Organisatorisches abgearbeitet werden. Man muss Wäsche waschen, Geschirr spülen, Lebensmittel und andere Dinge des täglichen Bedarfs einkaufen, kochen usw.. In der Familie hat diese Rolle meist die Mutter, die all das selbst erledigt oder etwas an die Kinder delegiert. Eine WG hat keine Mama! Folglich muss alles besprochen, ausgehandelt und verbindlich zugeteilt werden. Zu Beginn unserer WG genügten noch Absprachen, später musste ein Plan für die Aufgabenzuteilung erstellt und ausgehängt werden. Es hat geklappt. Meistens jedenfalls!

Trotz all dieser kleinen alltäglichen Schwierigkeiten liebte ich es, mit vielen Menschen zusammenzuleben. Und ich liebte es Besuch von Freunden und Familienmitgliedern zu haben, die ich bekochen konnte.

Ich erinnere ich noch gut, dass zu meiner großen Freude mein Bruder für ein paar Tage zu Besuch war. Selbstverständlich sollte er in diesen Tagen mit gutem Essen versorgt werden. Ein bisschen wie daheim sozusagen! Das bedeutete jedoch für mich, dass ich Gemüse für uns beide und die sieben anderen Wohngemeinschaftsmitglieder schnippeln musste. Meist kam dann zur Essenszeit noch ein Mitbewohner mit einem Zufallsgast an, der auch noch am Tisch Platz fand. Ein Stuhl dazu gestellt, noch ein Teller mehr auf den Tisch und die Soße mit geheimen Hilfsmitteln gestreckt! Geht alles!

Eigentlich mochte ich genau dieses unkomplizierte Verhalten. Alle fühlten sich wohl dabei, am großen Tisch zu sitzen, zu essen und zu diskutieren.

Haushaltskosten werden gemeinsam bestritten

Auch den finanziellen Aspekt hatten wir stets im Auge, ganz pragmatisch. Es gab wenig Fleisch, meist Gemüse! Wir waren keine Vegetarier und da steckte auch keine Philosophie dahinter. Gemüse war halt am billigsten und so konnten wir mit unserem Geld auskommen. Wir hatten eine Haushaltskasse, in die wir jede Woche einen vereinbarten Betrag einzahlten. Davon wurden alle Gemeinschaftskosten von Essen, über Toilettenpapier und Waschmittel etc. beglichen. Manchmal auch Alkohol, wenn gemeinsame Feste organisiert wurden. Aber meist bestritten wir das aus unserer privaten Kasse. Mit diesem Prinzip der gemeinsamen Haushaltskasse war jedoch nicht jeder Gast vertraut. Hier gab es manchmal Missverständnisse. Einmal hatten wir Besuch vom Freund eines Freundes aus Spanien. Er sah, dass wir zum Einkaufen die Haushaltskasse mitnahmen. Ja, dachte er wohl, wie praktisch, das mache ich auch. Er ging mit unserer Gemeinschaftskasse zum Bäcker und kaufte nur für sich ein Brötchen. Danach legte er die Kasse wieder an ihren Platz zurück und aß zufrieden mit sich und dieser neuen Welt sein Brötchen. Wir waren das allerdings nicht. Es ging uns nicht um das Brötchen, das sei ihm vergönnt, sondern ums Prinzip. Jeder von uns hätte die anderen gefragt, ob sie auch Brötchen wollten. Jeder von uns hatte natürlich, im Gegensatz zu unserem Gast-Mitbewohner, vorher eingezahlt. Es dauerte eine Weile, bis wir verstanden, was wahrscheinlich in ihm vor sich ging: Als Gast ist man eingeladen und wird mit Frühstück und anderen Mahlzeiten versorgt. Wenn mal nichts zu essen da ist muss man sich das in einer WG selbst besorgen, aber dafür gibt es ja die Gemeinschaftskasse, die man als Gast benutzen kann. Dieses Missverständnis konnten wir ausräumen. Künftig brachte er für alle Brötchen mit. Das Leben in einer WG will nun einmal gelernt sein! Kein Missverständnis sondern rigorosen Egoismus erlebte ich ein paar Jahre später in einer anderen WG. Ich hatte mich schon öfter gewundert, dass am Montagabend immer so wenig Geld in der Haushaltskasse war, obwohl wir doch alle am Sonntagabend unseren wöchentlichen Beitrag geleistet hatten. Der Inhalt im Kühlschrank rechtfertigte den Schwund in unserer Kasse keineswegs. Einmal kam ich am Montag mittags nach Hause, weil ich etwas vergessen hatte, und fand meinen Mitbewohner in der Küche vor. Er hatte eingekauft und aß genüsslich ein paar Brötchen mit teurem Rosmarinschinken von dem Delikatessenladen um die Ecke, wovon er schnell die letzten Reste verdrückte, als ich in die Küche kam. Für uns, die restlichen Mitbewohner, hatte er im Discount nur die viel billigere Fleischwurst eingekauft.

Beim Zusammenwohnen lernt man den Charakter der einzelnen Mitbewohner ganz gut kennen, sowohl die guten wie auch die weniger guten Seiten. In einer Wohngemeinschaft wohnt man eng zusammen und bekommt sowieso viel voneinander mit. Um miteinander auszukommen braucht man daher Toleranz und eine gewisse Gelassenheit. Mit Grausen erinnere ich mich noch an die Zeiten, wenn ich morgens in die Küche kam und eine Tasse und einen Teller aus dem Abwaschberg der letzten Woche ziehen und abwaschen musste, damit ich frühstücken konnte. Oder wenn ich als Nichtraucher die herumstehenden überquellenden Aschenbecher meiner Mitbewohner ausleeren musste weil keiner sich verantwortlich fühlte…. Aber ich habe viel auch über mich selbst gelernt während meiner Wohngemeinschaftszeit. Ich liebte und liebe auch heute noch die Erinnerung an dieses Gemeinschaftsgefühl, obwohl ich mittlerweile mehr Wert auf Rückzugsmöglichkeiten lege und mehr Zeit für mich brauche. Und mir ist noch sehr präsent, wie oft meine Gelassenheit, Toleranz und Offenheit im WG-Leben getestet wurden. Die Frage beim WG-Vorstellungsgespräch, ob man wohngemeinschaftserprobt und flexibel sei, mag aufgesetzt klingen, ist aber wichtig. Denn Zusammenleben muss gelernt werden. (LL)



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