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Sehnsuchtsort Wohngemeinschaft

  • titanja1504
  • 24. Okt. 2023
  • 11 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 8. Nov. 2023

(DE) „Der Horizont war so weit, damals“, stellt Fips, mein Freund aus früheren Zeiten und ehemaliger Mitbewohner, sinnierend fest, als wir uns fast 50 Jahre nach unserer gemeinsamen Zeit in der Studenten-WG wieder treffen. Fips, seine Frau Hanne und ich sitzen an einem heißen Sommernachmittag im Garten seines Atriumhauses und sortieren unsere Erinnerungen an die gemeinsame WG-Zeit im Regensburg der 70er Jahre. Ich hatte um dieses Gespräch gebeten, weil mir beim Schreiben meines Beitrags zum Thema Wohngemeinschafts-Erfahrungen die Erinnerungen an meine erste Wohngemeinschaft so schön vorkamen. Zu schön! Ich hatte mich in Verdacht zu beschönigen. Also wandte ich mich an ein Gründungsmitglied, um der Wirklichkeit etwas näher zu kommen.

Vier Freunde für ein gemeinsames Leben

Wir waren damals zwei Studentenpaare, die sich entschlossen, gemeinsam eine Wohnung zu suchen und als Gemeinschaft irgendwie in einer neu zu gestaltenden Lebensform zusammenzuleben. Es gab keinen großartigen ideologischen Hintergrund und wir litten auch nicht unter Wohnungsnot. Jeder von uns hatte eine kleine bezahlbare Wohnung. Aber zumindest Fips, seine damalige Partnerin Ingrid und ich waren schon seit Jahren enge Freunde, die Reisen, Beziehungsprobleme und dergleichen mehr miteinander geteilt hatten. Unsere letzte große Unternehmung, eine mehrmonatige Reise auf dem Landweg nach und durch Indien, hatte meinen damaligen Freund Heinz mit ins Spiel gebracht. Wir kannten uns gut. Wir mochten uns. Wir wollten unsere Studentenzeit gemeinsam verbringen.


Die erste Herausforderung war, einen Vermieter zu finden, der vier Studenten eine Wohnung vermieten wollte. In den 70er Jahren gab es einerseits durchaus schon etliche WGs in Regensburg, aber andererseits orientierten sich die Vorurteile der eher konservativen Regensburger Bürgerschaft an den Berichten über das unmoralische, drogenverseuchte Revoluzzermilieu in den Wohngemeinschaften großer Städte wie Berlin. Bilder und Reportagen von der berühmten Kommune 1 in Berlin hatten es in die Wohnzimmer der anständigen Leute geschafft und regten deren Phantasie hinsichtlich dessen, was sich in so Wohngemeinschaften abspielen könnte, natürlich an. Einerseits fürchtete man, sich „Gammler“ in die altehrwürdigen Mietshäuser zu holen, andererseits wollten die meisten jungen Familien lieber in die wesentlich besser ausgestatteten Neubauten am Stadtrand ziehen und standen für sanierungs- oder wenigstens renovierungsbedürftige Altbauwohnungen ohne Zentralheizung nicht gerade Schlange.


Warum wir damals den Zuschlag für eine wunderschöne Altbauwohnung in der Von-der-Tann-Straße, am Rand der Regensburger Altstadt, erhalten haben, wussten wir beide 50 Jahre später nicht mehr zu sagen. Vermutlich war unsere Bereitschaft zu renovieren ausschlaggebend. Wir kratzten uralte Zeitungen unter den Tapeten ab und freuten uns sogar noch darüber, was da alles zum Vorschein kam. Dass es keine Zentralheizung gab, sondern einzelne Ölöfen, für die das Öl in schweren Kannen regelmäßig aus dem Keller in den ersten Stock geschleppt werden musste, tat unserer Freude an dieser Wohnung keinen Abbruch.

Wir teilten die vier ungleich großen Zimmer so auf, dass jedes Paar auf insgesamt die gleiche Größe kam. Ein Zimmer konnte man nur wahlweise über eines der anderen beiden Zimmer erreichen, was zwar ein Manko war, uns aber nicht wirklich anfocht. Es war letztendlich kein Problem. Bei einem konnte man immer durch und die Türen waren eh meist offen.

In unserem Badezimmer hing ein riesiger Boiler und wir hatten Platz für eine Waschmaschine, mussten allerdings den Abflussschlauch in die Badewanne hängen. An die Regel, „Dusche niemals, wenn die Waschmaschine läuft!“, hat sich jeder immer gehalten.


Ein Badezimmer zu haben, war zu dieser Zeit in den von Studenten bewohnten Altbauwohnungen Regensburgs keine Selbstverständlichkeit. Fips erinnert sich, dass Hannes Schwestern noch Ende der 70er Jahre regelmäßig zum Duschen in der WG auftauchten, weil sie kein eigenes Bad hatten.

Extrem komfortabel war auch die separate Toilette. Bei einer Bewohnerzahl von 4 plus x weiß man solche Kleinigkeiten sehr zu schätzen.


Und wir genossen es, die mühsam renovierte Wohnung im Zeitgeist und Geschmack der 70er Jahre zu gestalten. Die Wände wurden sehr farbig in modischen Grün-Braun-Orange-Tönen gestrichen oder tapeziert. Als Sitzgelegenheiten gab es nichts Besseres als mit grünem oder braunem Cord überzogene Matratzen auf dem Boden, die zum Schlafen ausgebreitet werden konnten. Korblampen, damals sehr modern, spendeten ein etwas gedämpftes Licht und wer es besonders kuschlig haben wollte, wie beispielsweise unsere WG-Mitbewohnerin Ingrid, legte überall im Zimmer noch Flokati-Teppiche aus.

Die Leichtigkeit einer WG-Atmosphäre

Das Allerbeste aber war die Wohnküche mit kleinem Balkon zum Innenhof. Eine Einbauküche war natürlich keine Option. Im Gegenteil! Wir stöberten in Kleinanzeigen nach gebrauchten Einrichtungsgegenständen aller Art, nützliche und gemütliche, Herd und Kühlschrank, aber auch ein altes Küchenbuffet und eine Couch.

Einer Wohngemeinschaft kann nichts Besseres passieren, als so eine gemütliche, große Küche zu haben.

Da es in den 70ern noch keine Selfie-Kultur gab, existieren nur wenig Fotos. Dem Zeitgeist entspricht es auch, dass alle auf dem Küchenfoto rauchen.

In diesem Raum fand das Gemeinschaftsleben statt.

„Es war immer jemand da“, meinte Fips bei unserem Gespräch, „wenn man in die Küche kam, um mit jemandem zu reden.“ Das deckt sich auch mit meinen Erinnerungen. Wer Kontakt wollte, ging in die Küche, wer seine Ruhe wollte, blieb in seinem Zimmer und machte einfach die Tür zu.


„Ich war ja der Erste in der WG, der sich auf den Marsch durch die Institutionen machte, indem ich das Referendariat antrat“, erinnert sich Fips. „Das bedeutete, dass ich viel früher als alle anderen aufstehen und daher auch viel früher schlafen gehen musste. Aber da die Küche weit weg von meinem Zimmer war, störten mich die Küchengespräche und -gesänge nicht. Ich konnte ruhig schlafen. Den WG-Mitgliedern war allerdings morgens um 7:00 Uhr, also zu nachtschlafender Zeit, nicht unbedingt Ruhe gegönnt, wenn meine Ente im Winter wieder einmal nicht ansprang. Ich holte sie dann zum Anschieben aus den Betten. Meist waren meine Mitbewohner sogar zum Murren und Maulen noch zu müde, aber sie schoben, bis die Ente in Fahrt kam.“

Heute noch denke ich immer wieder wehmütig an diese Option einer völlig zwanglosen, unkomplizierten Form von Gemeinschaftsleben.

Hinzu kam, dass die unterschiedlichsten Besucher auftauchten. Jedes WG-Mitglied hatte ja auch einen eigenen Bekannten- und Freundeskreis oder Geschwister oder Partner usw. und die waren alle willkommen - stundenweise, tageweise oder wochenlang.

Manche waren auf der Durchreise von Berlin nach Bologna, um dort, in der Stadt der Linken, zu studieren. Nicht nur Studenten und Studentinnen aller möglichen Fachbereiche tauchten bei uns auf, auch Berufstätige, Globetrotter, Mutter mit Kind… Ein Platz zum Schlafen für ein paar Nächte oder ein Platz auf dem Küchensofa für ein paar Stunden war immer drin.

Ich erinnere mich noch gut daran, als eines Abends am Wochenende Fips vom Zweigschuleinsatz in einer anderen Stadt nach Hause kam und uns kurz darauf in der Küche mit spitzen Fingern eine gräuliche Feinrippunterhose für Männer präsentierte, die er in seinem Bett vorgefunden hatte. „Ich hab ja nix dagegen, dass jemand in meinem Bett schläft, wenn ich nicht da bin, aber seine Unterhosen sollte derjenige schon mitnehmen!“, teilte er uns leicht ärgerlich mit. Dieses Anliegen konnten wir angesichts dieser Unterhose sehr gut nachvollziehen.


Wir, die WG-Ureinwohner sozusagen, waren dennoch immer neugierig auf die Geschichten und Pläne und Erfahrungen Anderer. Beispielsweise kam für ein paar Wochen ein Tierarztpärchen in unserer WG unter. „Das waren hochinteressante Gespräch in unserer Küche oder in unserer Stammkneipe „Schwedenkugel“ über deren Praktikumserfahrungen im Schlachthof und über dieses ganz andere Berufsfeld“, erinnert sich Fips noch Jahrzehnte später sehr genau.


Diese Vielfalt war anregend, manchmal aufregend, zwischendrin auch mal nervig, aber immer hoch interessant. Unser aller Horizonte erweiterten sich und das gab uns ein Gefühl von Freiheit. Alles war in Bewegung.


Das betraf natürlich auch die Mitglieder der WG. Beziehungen gingen in die Brüche und neue wurden geknüpft, was Aus- und Umzüge nach sich zog. Wer wann in welchem Zimmer wohnte, konnten wir bei unserem Wiedersehen nicht mehr zuverlässig rekonstruieren. Von den Gründungsmitgliedern blieb jedenfalls nach drei Jahren im Herbst 1977, als auch ich die WG verließ, um in Berlin zu studieren, nur noch Fips übrig. Allerdings gab es bei uns nie Fremdbewerbungen, sondern stets waren es Leute aus dem Freundeskreis, die das vakante Zimmer wollten und auch bekamen.

Die gute Küche unserer WG

Ob es teilweise daran lag, dass wir eine gute Küche zu schätzen wussten, vermag ich nicht zu sagen. Aber das könnte durchaus sein, denn wirklich gutes Essen stand bei uns hoch im Kurs.

Und wir hatten so unsere Tricks und Glücksfälle hinsichtlich der Beschaffung guter Lebensmittel trotz unseres kleinen Haushaltsbudgets.


Fleisch und Wurst bezogen wir von der Freibank, wo die Produkte wesentlich billiger waren, weil sie von notgeschlachteten Tieren stammten. Überhaupt achteten wir schon darauf, gute Produkte auf den Tisch zu bringen, im Rahmen unserer Möglichkeiten natürlich. Wegen der Ausgaben für Essen und Trinken gab es nie Spannungen. Das Leben war großzügig zu uns, also waren wir es auch.


Der Höhepunkt unserer kulinarischen Ausstattung war jedoch die Rückkehr unseres WG-Mitglieds Heinz aus dem jährlichen Sommeraufenthalt in Sorrent, wo seine Schwester mit Familie lebte. Sein Schwager war ein Gourmet erster Güte und daher brachte Heinz in seinem Fiat 650 lauter süditalienische Spezialitäten mit, wie sie auch eine italienische Mama ihrem figlio mitgegeben hätte: selbst eingemachte Oliven, Tomaten und Auberginen, Tomatensugo aus eigener Herstellung, Olivenöl und Rotwein in großen Glasbehältern, mit Olivenöl am Hals haltbar gemacht. Heinz füllte diesen Wein kunstvoll in kleinere Flaschen um und so hatten wir einen hervorragenden Wein auf dem Tisch. Das war schon etwas anderes als die üblichen WG-Hausweine wie Lambrusco, Valpolicella oder Chianti Fiasco in Zwei-Literflaschen. Heinz teilte mit uns großzügig seine italienischen Schätze und ließ uns auch an seinen außergewöhnlichen Kochfähigkeiten teilhaben.


Zu der Zeit als Heinz WG-Mitglied war, aßen wir manchmal richtig exquisit. „Sein Gulasch ist nach wie vor unübertroffen“, konstatierten Fips und Hanne einmütig, als wir unsere Erinnerungen zusammentrugen. Ich habe meinerseits nie wieder ein Filet Wellington vorgesetzt bekommen, wie das von unserem WG-Mitglied Heinz. Das war schon ganz schön anspruchsvoll.


Hannes Spezialität waren Spaghetti Vongole, mit Muscheln aus der Dose und kurz aufgeschlagener Sahne. Wir liebten es, auch weil wir uns in dem Alter um Cholesterinwerte noch nicht scheren mussten.


In einem Jahr hatten wir das Geld für eine Weihnachtsgans beim Kartenspielen zusammengespart und füllten sie am Heiligen Abend mit Kastanien, bevor wir sie in den Backofen schoben. WG-Mitglied Gertrud war die federführende Köchin. Und es war ein Genuss! Wer von unseren Freunden kein Zuhause hatte oder nicht nach Hause wollte, kam zu uns. Wir mischten einfach traditionelles Weihnachtsessen und Anti-Weihnachtskitsch-Protest. Man sah das alles nicht so eng damals.


Auch nicht ideologisch und politisch. Natürlich wurden in unserer Küche Grundsatzdebatten geführt. Es gab schließlich innerhalb der linken Studentenschaft unterschiedliche Gruppierungen, die ihre Analysen für die einzig wahren hielten und ihre Lösungsansätze auch. Wir alle bewegten uns in dieser Szene an der Universität. Aber es wäre uns nicht im Traum eingefallen, irgendeinen Absolutheitsanspruch an unserem Küchentisch durchzusetzen. Ich weiß sogar von einer Freundin aus dem Fachbereich Mathematik und Physik, die der CSU nahe stand. Mehr als ein Schulterzucken war uns das aber nicht wert. Fanatiker und Fundamentalisten tauchten bei uns nicht auf. Wir mochten interessante, vielleicht auch ein bisschen schräge, aber auf jeden Fall offene Menschen.


Und weil wir das Dinieren so liebten, veranstalteten wir des öfteren größere Essen mit mehreren Gängen, wozu ich meist meinen Apfelstrudel als Nachspeise beisteuerte.

Das waren gigantische Gelage mit einer Menge Leute, besserem Wein und mit Gitarrenklängen von Heinz und John bzw. Ziehharmonika-Musik von Richard. Wir sangen Songs der Beatles, Stones, Kinks, Balladen von Biermann und anderen. Richard war mit seinem Akkordeon ein Quell vielseitigen Liedgutes. Von Bella ciao, über deutsche Volkslieder bis zu Opernarien war alles drin. Herrlich! Für uns jedenfalls!

Für die Nachbarn oft eine Zumutung

Für unsere Nachbarn waren wir aber bestimmt eine Plage. Die Tür zum Küchenbalkon stand ja aufgrund der Wärme und auch des Zigarettenrauches meist offen und so ein Hinterhof hat eine gute Akustik. Die Nachbarn standen vermutlich alle senkrecht in ihren Betten, wenn wir es so richtig gemütlich hatten. Es war bestimmt nicht böse Absicht und eigentlich auch nicht Gleichgültigkeit, sondern einfach die Unerfahrenheit der Jugend, die sich für den Nabel der Welt hält und nicht verstehen kann, dass das, was ihr guttut, nicht allen zum Genuss gereicht.


Beispielsweise liebten wir unsere Clogs. Das waren klobige Schuhe aus Holz und Leder. Wenn wir damit den langen Flur in unserer Wohnung entlang liefen, hatten die Nachbarn unter uns das Gefühl, eine Kuhherde trample über ihren Köpfen dahin. Die Mieterin unter uns machte eines Tages ihrem Ärger Luft und ich denke, dass wir uns um Besserung bemüht haben.


Auch dafür, dass ein Freund, der einige Monate im Ausland studieren wollte, seinen geliebten Schrank bei uns unterstellte und zwar im Hausflur neben unserer Eingangstür, hatte die Nachbarin kein Verständnis. Fips kam die Sache zwar auch komisch vor, aber andererseits…. Was die WG mit dem Schrank dann anstellte, weiß heute keiner mehr.


Ich denke, dass wir mindestens einmal sogar dem ganzen Viertel gehörig auf die Nerven gingen. Dieses glückselige Ereignis ist Fips und mir gleichermaßen in Erinnerung geblieben.


Wie schon öfter hatten wir eines dieser großartigen Essen veranstaltet und hatten uns entschlossen, danach noch in die Spätvorstellung ins Kino am Ostentor, das mehr oder weniger um die Ecke lag, zu gehen. Nach der Vorstellung entdeckten wir beim Nachhause-Schlendern und vielleicht inspiriert von dem Film, die Straßendekoration für den Fronleichnamsumzug am nächsten Tag. Aufgrund unserer erzkatholischen Kindheit kannten wir die Rituale dieses Feiertages ganz genau und stiegen in unsere eigene Inszenierung ein. Einer hielt irgendetwas als Monstranz hoch. Wir anderen schnappten uns die Birkenzweige, die den Weg schmückten, und bildeten eine Prozession. Einer lief voraus und kniete am Wegesrand, damit die Prozession auch Gläubige hatte, die sich bekreuzigten. Waren wir vorbeigezogen, überholte er uns und gab wieder den knienden Gläubigen. Und, das dürfte den Bewohnern des Viertels vermutlich endgültig den Schlaf geraubt haben, wir sangen voll Inbrunst Fronleichnamslieder wie „Meerstern ich dich grüße“ in Begleitung eines Akkordeons, vermutlich durch Richard.


Ich kann mich nicht erinnern, dass uns jemand beschimpft hätte. Die Polizei hat jedenfalls niemand gerufen, um die nächtliche Ruhestörung zu ahnden. Warum, verstehe ich bis heute nicht. Vielleicht waren es die Kirchenlieder, weswegen die Bewohner nicht wussten, ob man das als Ruhestörung bezeichnen kann oder nicht.


Wir machten jedoch nicht nur Unsinn.

In unserer Küche wurde auch diskutiert, gefachsimpelt und gearbeitet. Wir erfuhren von den Inhalten anderer Studienfächer und setzten uns damit auseinander. Germanisten, Historiker, Pädagogen und Physiker, angehende Ärzte und Veterinäre hatten sich durchaus etwas zu sagen! Fips` erste Lehrprobe wurde am Küchentisch besprochen und Alois Computer gesteuertes Physikprojekt für sein Diplom, ein absolutes Novum zu dieser Zeit, war auch Gesprächsgegenstand an unserem Küchentisch.

Das hatte schon was!

Missklänge und Streit?

Nachdem wir an diesem Nachmittag 2023 ausreichend in unseren schönen Erinnerungen geschwelgt hatten, versuchte ich dennoch ein paar Wermutstropfen in dieser Wohngemeinschaftsidylle auszumachen. Aber für meinen ehemaligen Mitbewohner und alten Freund gab es nichts, was ins Gewicht gefallen wäre. Über die Ausgaben in der Gemeinschaftskasse gab es nie Streit. Der Putzplan, der Küche, Bad und Toilette umfasste, wurde mehr oder weniger eingehalten.

Ich erinnere mich allerdings schon, dass es mir immer wieder gegen den Strich ging, wenn sich in dem Eimer im Waschbecken der Küche das Geschirr stapelte, sodass man an den Wasserhahn gar nicht mehr richtig heran kam. Grantig maulend habe ich wohl öfter das Geschirr gespült, weil meine Mitbewohner noch keine Notwendigkeit für so eine Aktion sahen, ich aber schon.


Und dass Fips mit den Fäusten gegen die Badezimmertür schlug, weil er für die Prüfung lernen wollte und ich aus vollem Hals im daneben liegenden Bad unter der Dusche sang, ist mir auch in Erinnerung geblieben. Man muss wissen, dass ich definitiv nicht singen kann. Daher leuchtete mir sein Anliegen auch sofort ein und führte zu keinerlei weiteren Verwerfungen.


Es stimmt wohl, diese Zeit in der Studenten-Wohngemeinschaft in Regensburg war eine gute Zeit und hat mich geprägt. Allerdings denke ich, dass ich bedürftiger war als die anderen WG-Mitglieder. Ich brauchte die Geborgenheit und Zuverlässigkeit einer Ersatzfamilie, denn meine Familie war in zwei feindliche Lager zerfallen und für mich gab es kein Zuhause mehr jenseits unserer Wohngemeinschaft. Da war das Kommen und Gehen von Mitgliedern und eine gewisse emotionale Unverbindlichkeit nicht wirklich hilfreich. Jederzeit konnte jeder auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Das war mein wunder Punkt. Verlust drohte überall und immer! Vielleicht um dem zuvor zu kommen, ging ich mit meinem neuen Freund Günther im Herbst 1977 weg von Regensburg, nach Berlin und lebte das, was ich eigentlich gar nicht wollte: Zweierbeziehung, soziale Isolation und emotionale Abhängigkeit von einem einzigen Menschen. Aber so sollte es nicht bleiben.


Ich habe nämlich, im Gegensatz zu Fips, immer wieder versucht, dieses Erlebnis eines wirklichen Gemeinschaftslebens zu wiederholen und noch zweimal eine Wohngemeinschaft gegründet.

Aber dieser offene Geist der weiten Horizonte stellte sich nicht mehr ein. Das Zusammenleben war viel kleinkarierter, enger und ernster.


Die Regensburger WG in der Von-der-Tann-Straße löste sich im Juli 1981 auf, als Fips mit seiner Frau Hanne als Auslandslehrkraft an die Amani-Oberrealschule in Kabul / Afghanistan ging. Die Vermieterin vermietete die Wohnung wieder an eine Kleinfamilie. (TA)

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