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`S Christkindl kommt!

  • Autorenbild: anon
    anon
  • 20. Nov. 2022
  • 8 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 2. Juni 2023

(DE) Das jüngste Mitglied in meinem Freundeskreis, der dreijährige Bobby, platzt fast vor Aufregung beim Warten auf den Weihnachtsmann. Und dann, am Abend des 24. Dezember 2021, kommt die Erlösung in Form von Lichtern am Weihnachtsbaum und darunter liegenden Geschenken.

Weihnachtstraum des Jahres 2022
Weihnachtstraum des Jahres 2022

Wünsche gehen in Erfüllung und man bekommt sogar Spielzeug, das man sich gar nicht gewünscht hat. Die ganze Familie ist freudig erregt. Jeder packt etwas aus und ist ehrlich oder theatralisch überrascht. Es gibt gutes Essen und Süßigkeiten und alle scheinen bei weihnachtlichen Klängen glücklich und zufrieden zu sein.

Das wird Bobbys Erinnerung an Weihnachten prägen, Jahr für Jahr.

Meine Weihnachtserinnerungen der Kindheit liegen über 60 Jahre zurück, in den 50er und 60er Jahren. Die Aufregung und das Fiebern auf den Heiligen Abend, an dem das Christkindl kommt, war auch in meiner Kindheit ganz wunderbar, aber ansonsten gab es kleine aber feine Unterschiede.

Das Christkind war der Star – niemand kannte den Weihnachtsmann
1953: Erstes Weihnachten
1953: Erstes Weihnachten

Weihnachten war mystisch für mich, denn zu uns Kindern der 50er Jahre kam das Christkindl. Wer das war und wie es aussah, wusste niemand so recht. Eine Mischung aus Jesuskind und Engel? Es ging die Mär, dass es angeflogen käme, praktischerweise durchs Fenster, und die Geschenke geschwind unter den Weihnachtsbaum lege. Wenn neugierige Kinder vor der Tür des Weihnachtszimmers, was ja meist das Wohnzimmer oder in unserem Fall die Wohnküche war, durch das Schlüsselloch schauten, um einen Blick aufs Christkindl zu erhaschen, nahm es die Geschenke wieder mit. Eine ganz üble Drohung. Ich hab beim Warten aufs Christkindl daher die Augen sogar ganz fest zugezwickt, damit ich ja nicht aus Versehen das Christkindl erblickte.

Krippenspiel im Kindergarten

Dabei hatte man zumindest als Kindergartenkind das Christkindl längst schon gesehen.

Beim Krippenspiel nämlich, das jeder Kindergarten, der auf sich hielt, veranstaltete. Da lag das neugeborene Christkindl in Gestalt einer Babypuppe oder Wachsfigur in der Krippe und hieß Jesuskind. Weihnachten war in den 50er Jahren in Bayern ein christliches Fest. Die Herbergssuche von Maria und Josef sowie die Geburt Jesu im Stall und die Anbetung durch die Hirten, das Auftauchen des Sterns von Bethlehem und der Besuch der heiligen Drei Könige aus dem Morgenland Kaspar, Melchior und Balthasar wurde als alljährliches Theaterstück für Eltern und Kinder im Kindergarten, in der Schule und in der Kirche inszeniert. Fast jedes Kind konnte eine Rolle ergattern. Wenn das schauspielerische Talent für Maria und Josef nicht reichte, dann wenigstens für Ochs und Esel. Die mussten wenigstens keinen Text lernen.


Der Sinn des Festes wurde einem Kind so bewusst. Es war halt der Geburtstag vom Jesuskind und an Geburtstagen bekommt man Geschenke, in dem Fall sozusagen stellvertretend für Jesus.

Einen Weihnachtsmann, der völlig grundlos Geschenke verteilt und nicht einmal fragt, ob man sie sich durch Bravsein verdient hat, gab es nicht.

Besonders der Heilige Nikolaus, der mit seinem Knecht Rupprecht am Abend des 05. Dezembers durch die Straßen zog, legte großen Wert auf die Versicherung, dass man das Jahr über brav gewesen sei und seine Schwächen wie exzessiven Schnullergebrauch oder Essensmäkeleien nicht nachgegeben habe. Es kam sogar zu Zeugenbefragungen im Familienkreis, denn Knecht Rupprecht schickte sich immer wieder an, Kinder in seinen mitgebrachten Sack zu stecken. Wohingegen der Nikolaus bereit war, jede Menge Süßigkeiten rauszurücken, wenn man ihn überzeugt hatte. Dieser bärtige Mann mit einer Bischofsmütze war der Vorbote des Christkindls. Ihn konnte man sehen und anfassen, fürchten und lieben und manchmal hatte er eine erstaunliche Ähnlichkeit mit einem Onkel oder einem Freund der Familie. Meist legte er seine Gaben jedoch vor die Tür und klingelte Sturm, ausgerechnet dann, wenn Papa gerade in den Keller gegangen war, um ein Bier zu holen.

Ja, das waren die faszinierenden mysteriösen Weihnachtslegenden meiner Kindheit. Gibt es eine schlüssige Legende zum Weihnachtsmann vom Nordpol? Ich weiß es nicht.

Bescherungsmarathon am 24. Dezember

Aber damals wie heute war und ist der kleinste gemeinsame Nenner von Weihnachten: Familienfest!

Auch meine ziemlich streitlustige Familie gab sich alle Mühe, so etwas wie Weihnachtsfrieden zu halten, was zu teilweise merkwürdigen Ritualen führte.


In meinen ersten Lebensjahren erinnere ich mich daran, dass das Christkindl insgesamt dreimal am Heiligen Abend kam. Es war praktisch hauptsächlich mit mir und meinen Gaben beschäftigt.

Wenn es gerade dunkel geworden war, wurde ich von der versammelten Familie aus der Wohnküche meiner Oma mütterlicherseits ins eiskalte Schlafzimmer geschickt, denn die Erwachsenen hatten vor dem Fenster das leise Klingeln der Englein, die das Christkindl begleiten, gehört. Und siehe da, das Glöckchen ertönte kurz darauf, aus dem Radio erklang „Stille Nacht, heilige Nacht…“, die Kerzen am wunderbar geschmückten Christbaum leuchteten, die heutzutage verbotenen Wunderkerzen sprühten Funken, es roch nach Tannennadeln, Wachs und Wunderkerzen und beinah hätte ich vor Staunen und Ehrfurcht vergessen, dass da Spielzeug für mich unter dem Baum lag.

1954: Das schönste war der Baum!

Wenn ich mich dann von dem Schock erholt hatte und so richtig losspielen wollte, musste alles zusammengepackt werden, denn es galt die nächste Station zwei Haustüren weiter anzusteuern.

Bei meinen Großeltern väterlicherseits war das Christkindl schon vor mir eingetroffen, denn als wir noch auf dem Weg in den ersten Stock zu Oma und Opa waren, klang schon wieder „Stille Nacht, heilige Nacht…“ durch den Hausflur. Und wieder strahlte der Weihnachtsbaum und sprühte Funken in der Wohnküche. Wieder lagen Spielsachen und diesmal auch Kleidungsstücke darunter und es duftete auch hier nach Kerzen und Tannennadeln. Ich staunte wieder angemessen, aber nicht mehr so überrascht, und machte mir Hoffnung auf ein bisschen Spielen-dürfen.

1955: Rätselhaft, dieses Weihnachtswunder!
1955: Rätselhaft, dieses Weihnachtswunder!

Aber nein! Wie schon vorher wurde alles wieder zusammengepackt und wir fuhren heim in die Wohnung, die meine Eltern und ich gemeinsam mehr oder weniger nur an den Wochenenden bewohnten. Mein Vater war ja in meinen ersten Lebensjahren während der Woche auf Montage und meine Mutter arbeitete als Verkäuferin von morgens bis abends. Daher lebte ich bei meiner Oma. Aber an Weihnachten waren wir dann tatsächlich in unserer Wohnung zusammen und es gab die ultimativ letzte Bescherung. Diesmal waren wir schneller als das Christkind vor Ort. Aber meine Eltern hatten diesen siebten Sinn, dass es wohl gleich kommen müsse. Und siehe da, „Stille Nacht, heilige Nacht…“, Kerzen und Wunderkerzen am Baum, Geschenke unter dem Baum. Alle hinlänglich bekannten Rituale wurden nochmals durchgezogen.

Bescherung mit Waschmaschine unter dem Baum
1956: Letzte Station - elterliche Wohung

Ein drittes Mal konnte ich mich aber nicht mehr dazu überwinden übermäßig zu staunen. Aber es war schön, dass ich nun in Ruhe spielen und Süßigkeiten essen konnte. Meine Mutter hatte die Gabe, wunderschöne üppige Weihnachtsteller herzurichten und sie machte sich auch die Mühe, Plätzchen, bunte Fondant- und Schokosterne in den Baum zu hängen. Das war wie im Schlaraffenland für mich.

Man kann sich nun mit Fug und Recht fragen, wieso dieser Bescherungsmarathon während meiner Kleinkindphase in meiner Familie veranstaltet wurde. Ich kann mir das nur so erklären.

Doppelter Weihnachtsstress für meine berufstätige Mutter

Meine Mutter war Textilverkäuferin in einem Bekleidungsgeschäft und musste daher am Heiligen Abend bis 14 Uhr arbeiten. In den vorangegangenen vier Adventswochen waren die Samstage sogenannte „lange Samstage“ gewesen. Das hieß, dass die Läden sechs Tage die Woche bis 18 Uhr geöffnet waren. Üblicherweise mussten in den 50er und 60er Jahren die Geschäfte samstags am Mittag schließen. Nur einmal im Monat durfte bis abends geöffnet sein. Aber an Weihnachten sollten die Leute genügend Zeit haben, einzukaufen, was das Zeug hielt. Oh du fröhliche Konsumwelt! Aber die Verkäufer und Verkäuferinnen mussten den Einkaufswahnsinn der Wirtschaftswunderjahre stemmen. Sie standen bis zum bitteren Ende, in dem Fall bis zum 24. Dezember am frühen Nachmittag, in den Läden und bedienten gestresste Weihnachtsgeschenkeinkäufer auf den letzten Drücker. Heute sind die Öffnungszeiten stark erweitert und durch Schichtarbeit ermöglicht. Damals gehörte die weihnachtliche Ausnahmesituation einfach zur Berufsausübung.

Während also mein Vater und ich uns die Zeit bei den Großeltern vertrieben und ein weihnachtliches Gefühl bei Plätzchen, Stollen und Geschichtenerzählen entwickelten, verkaufte meine Mutter Hemden, Krawatten und Socken, die schnurstracks unter dem Weihnachtsbaum landen sollten. Wir alle waren folglich ganz entspannt und in froher Erwartung und dann kam meine Mutter! Unruhe und Stress auf zwei Beinen!

Das Taschentuch in der Hand meiner Mutter ist ein Hinweis auf Tränen der Erschöpfung.

Sie hätte die Gestaltung des Heiligen Abends einer der Großmütter überlassen können, aber das entsprach nicht ihrem Naturell. Sie wollte nun auf Gedeih und Verderb das ideale Weihnachtsfest mit Frieden und leuchtenden Kinderaugen nach ihren Vorstellungen inszenieren. Alle anderen wollten sich aber nicht nerven lassen und ihr eigenes Ding machen. So kam es, dass ich ein Weihnachts-hopping vom Feinsten zu absolvieren hatte. Das war schon aufregend und das Weihnachten dieser Zeit ist eine zauberhafte Erinnerung. In irgendeiner dieser weihnachtlichen Wohnküchen gab es Würstl mit Sauerkraut und Schwarzer-Kipferl (spezielle Krustenbrötchen von der Bäckerei Schwarzer) und anschließend einen Punsch für die Erwachsenen. Wo das genau war, weiß ich nicht mehr, denn es war mir völlig schnurzegal. Hauptsache Weihnachten!

1957: Kaufladen, Puppenküche, genauer gesagt Puppenwohnzimmer und Badezimmer unter dem Weihnachtsbaum. In Wirklichkeit hatten wir noch kein Badezimmer.

1958: Auch meine Puppenkinder wurden vom Christkind bedacht.

Eifersucht gefährdete den Weihnachtsfrieden

Aber es gab noch einen weiteren Grund für dieses dreifache Weihnachtsspezial: Eifersucht! Die beiden Pole, die sich abstießen, waren meine Mutter und ihre Schwiegermutter, also meine Oma väterlicherseits. Während meine Mutter sich und ihre eigene Mutter, die eigentlich ganz entspannt nur ihre Ruhe genießen wollte, in den Vordergrund des Weihnachtstheaters zu rücken versuchte, beklagte meine andere Oma sofort und unerbittlich ihre Zurücksetzung. Ihr war es wichtig, dass ihre Geschenke an mich mit ihr in Verbindung gebracht wurden, dass sie exklusiv in den Genuss der strahlenden Kinderaugen kam und dass das Ambiente nach ihren Vorstellungen gestaltet wurde.

Es gab daher nur eine Lösung, um den Weihnachtsfrieden zu erhalten, nämlich getrennte Weihnachten.


Einige Jahre später, als ich so 9 oder 10 Jahre alt war, also zu Beginn der 60er Jahre, war es um den Weihnachtsfrieden oft nicht gut bestellt. Meine Eltern nannten inzwischen eine moderne Drei-Zimmer-Wohnung mit einem Wohnzimmer ihr eigen. Daher trafen sich sämtliche Großeltern am Heiligen Abend bei uns. Kein Weihnachts-hopping mehr! Aber meine Mutter war immer noch im Verkauf tätig und kam abgehetzt und entnervt am Nachmittag nach Hause. Eigentlich hätte sie erst einmal Ruhe gebraucht. Aber es trudelten halt auch die frohgestimmten Großeltern fast gleichzeitig mit ihr ein. Alle erwarteten nun friedliche und harmonische Weihnachtsstimmung und stressten damit meine Mutter noch mehr. Es schwelten da spürbar so gewisse Spannungen! Aber meine Mutter hat es dann doch immer geschafft, das ganze Weihnachtsprogramm abzuspulen. Der Eklat kam meist nach der Bescherung. Offensichtlich hatten sich die eifersüchtigen Damen belauert, ob es irgendwelche Gründe gab, eifersüchtig zu sein. Eifersüchtig auf bessere Geschenke, eifersüchtig auf Freude über ein Geschenk, eifersüchtig auf irgendwas.

Weihnachtstraum zu Beginn der 60er Jahre
Die Gaben zu Beginn der 60er, nun im Wohnzimmer der neuen Wohnung.

Ich habe gelernt, möglichst die gleiche Freude bei jedem Geschenk zu zeigen, das Strahlen in den Augen anzuknipsen, würdigende Worte zu finden, jedes Geschenk gleich lang zu betrachten und es achtsam zu behandeln. Auch lauschte ich den Erläuterungen meiner Großmutter über Qualität und Kostspieligkeit ihrer Geschenke voller Interesse und beteuerte, dass ich sehr froh sei, dass meiner Aussteuer nun wieder herrliche Bettwäsche hinzugefügt werden könne, deren Wert ich sehr wohl zu schätzen wüsste.

Naja, Frieden vor Aufrichtigkeit!

Unser heutiges internationales Weihnachtsfest

Ich habe inzwischen viele ganz unterschiedliche Weihnachten erlebt. Als ich Studentin war und in einer Wohngemeinschaft lebte, feierten wir ohne Weihnachtsbaum, aber mit einer beim Kartenspielen zusammengezockten Weihnachtsgans. Als mein Sohn noch klein war, lebten die magischen Weihnachtsgeister natürlich wieder auf. Später habe ich manches Weihnachtsfest auch allein verbracht, was mich aber nicht groß störte. Mein inzwischen erwachsener Sohn, der ein paar Jahre in Asien gelebt hat, erinnert sich, dass ihm das Herz an Weihnachten immer schwer wurde und er gern bei seinen Eltern, als da sind Vater, Stiefmutter und Mutter, gewesen wäre. Heute ist das so. Wir haben unsere eigenen Rituale, die recht international sind. Es gibt einen bayerischen Heiligen Abend mit Würstl und Kartoffelsalat sowie Geschenken unter dem Weihnachtsbaum, die das Christkind nach alter Tradition gebracht hat. Am ersten Weihnachtsfeiertag plündern wir in guter alter amerikanischer Tradition im Morgenmantel gemeinsam unsere mit Kleinigkeiten gefüllten Weihnachtsstrümpfe und die amerikanische Stiefmutter und ich kochen den ganzen Tag das amerikanische Truthahn-Menü, das wir dann feierlich abends verzehren. Und schließlich kocht seit sechs Jahren am zweiten Weihnachtsfeiertag unsere thailändische Schwiegertochter etwas Thailändisches.

Wir alle sind riesige Fans unseres internationalen Weihnachtsfestes. (TA)


Anhand dieser Erzählung über Erinnerungen an die Weihnachten meiner Kindheit stellen wir Ihnen einen exemplarischen Leitfaden zum kreativen Gestalten biografischer Anekdoten zur Verfügung.

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