top of page

Ich werde nie wieder ein Lemming sein!

  • Autorenbild: anon
    anon
  • 20. Nov. 2022
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 17. Juni 2023

– Assoziationen und eine emotionale Stellungnahme zum Krieg in der Ukraine –


(DE) Mein halbes Leben war ich ein LEMMING. Hineingeboren in die junge DDR musste ich mich bereits als Kleinkind sozialistischen Errungenschaften wie Wochenkrippe, von Montag früh bis Samstagabend nur in der Gemeinschaft, und Ganztagskindergärten unterziehen.

Später als Jugendliche versammelten wir uns als Pioniere und dann in der FDJ. Gemeinschaft und Kollektiv in Wort und Tat, im Denken und Fühlen! Und ich fiel irgendwie durchs Raster.

Wegen fehlender gesellschaftlicher Eignung wurde mir ein Studienplatz in meinen Wunschfächern Geschichte und Kunsterziehung verwehrt, obwohl ich das Abitur „mit Auszeichnung“ bestanden hatte.


Was hatte ich falsch gemacht?

Ich wollte keine Verantwortliche für Agitation und Propaganda (AgitProp) in der FDJ-Gruppe sein. Also war ich nur für das Fach Mathematik geeignet, das wohl weniger gesellschaftlichen Gleichklang erforderte.

Dieser Zwang zu kollektivem Gleichklang brachte eine Gesellschaft von Lemmingen hervor.

Nur der Klassenfeind und mein Vater schauten in den sechziger Jahren Westfernsehen. Wir Kinder durften dies nicht und mein kommunistischer Vater entschuldigte sein mediales Fremdgehen damit, dass er den Klassenfeind kennen müsse.

Es gab damals kein Internet und auch keine Social-Media-Kanäle, dafür gab es Staatsbürgerkunde als Unterrichtsfach, es gab eine Mauer in tausend Metern Entfernung und dahinter wartete angeblich der Klassenfeind mit Mördern und Bomben.

Unsere Regierung sowie die politisch Verantwortlichen auf allen Ebenen haben uns dumm gehalten – arbeiten, essen, schlafen und dem Sozialismus huldigen, nur nicht eigenständig denken, sondern kritiklos wiederholen, was vorgesagt wurde.


Und so war ich wie ein LEMMING.

Ich folgte der Herde bis an die Klippen.

Informationen waren aber nicht aufzuhalten. Wir hörten RIAS und sahen Westfernsehen, wir fingen an zu denken und zu zweifeln.

Künstler und Literaten erwachten und protestierten gegen Bevormundung und Entmündigung. Es war ein Lernprozess.


Ich erkannte die Lügen und die Lügner, erkannte den Verrat an unseren Leben.

Je freier unser Denken wurde, umso enger wurden unsere Spielräume.

Ich erhielt Disziplinarstrafen, weil ich als Lehrerin nicht um 8 Uhr zur Wahl gegangen war, sondern um 14 Uhr. Mein Chef sah sich zur Disziplinierung gezwungen, da ich offensichtlich kein Problem damit hatte, als Lehrkraft „zusammen mit den Assozialen“, die zu dieser späten Stunde zum Wählen gingen, im Wahllokal meiner Staatsbürgerpflicht nachzukommen.


Ich erhielt Disziplinarstrafen, weil ich 1986 nicht am allmorgendlichen gemeinschaftlichen „Neues Deutschland“-Lesen teilnahm.

Eine Lehrkraft hatte dem versammelten Kollegium sowie allen schulischen Mitarbeitern bestimmte Artikel aus dem Parteiorgan „Neues Deutschland“ vorzulesen. Ich blieb diesem Spektakel fern und erklärte, dass ich schon seit meiner Kindheit selbst lesen könne. Eine zu sanktionierende Unbotmäßigkeit in den Augen meines Vorgesetzten.

Trotzdem wehrte ich mich nicht wirklich und war bis zum Ende der DDR und darüber hinaus ein LEMMING. Die Befreiung vom „Kollektiv“ im Kopf dauerte einige Jahre.


Erst in einer völlig anderen schulischen und kulturellen Umgebung in München lernte ich staunend und hoch erfreut, wie Demokratie im Kleinen funktioniert. Ich durfte, ja sollte sogar selbst denken, meine Meinung wurde gehört und ich begriff den Unterschied zur Atmosphäre und zu den Zwängen meiner Sozialisation in der DDR.

Demokratie leben

Ich durfte an einer Demokratie teilhaben, ich durfte Demokratie leben, meine Meinung sagen, in viele Länder reisen, Mauern in meinem Hirn einreißen und begreifen, was wirklich LEBEN ist.


Weil mich der Wert einer demokratischen Gesellschaft immer noch sehr berührt, erschüttert mich der russische Überfall auf die Ukraine zutiefst.

Es sind nicht nur Zerstörung, Flucht, Leid und Tod, die mich erschüttern, sondern vor allem die Angst, man könnte den Ukrainern die demokratische Basis entziehen.

Und deshalb darf die Ukraine nicht in einen LEMMINGSTAAT Putins verwandelt werden.

Die Menschen in der Ukraine haben 30 Jahre lang Demokratie gelernt und gelebt. Sie sind keine Lemminge mehr, sie kämpfen um ihr Leben und um ein Leben in Demokratie und Menschlichkeit.


Ich habe meine Heizungen abgedreht und mein Fahrrad geölt. Das ist nur ein winziger Beitrag, aber ich will nie wieder LEMMING sein. Und ich will auch nicht dazu beitragen, dass andere LEMMINGE sein müssen. (KK)

In einer Demokratie gibt es nicht nur einen Weg.

Comments


20200429_074336.jpg

Wollen Sie über neue Beiträge informiert werden?

Dann tragen Sie bitte Ihre E-Mail-Adresse unten ein. Danke!

Danke!

bottom of page