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Eine Krise ist Ende und Anfang

  • lisaluger
  • 20. Nov. 2022
  • 6 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 26. Juni 2023

(UK) Es war ein nieseliger Novembernachmittag im Jahr 2009, als meine Geschwister und ich die Wembley-Arena in London bewunderten, den Ort des berüchtigten Fußballspiels England gegen Deutschland von 1966. Auch heute noch freut sich England über diesen seltenen Sieg über Deutschland. Auch ich sollte meinen ganz persönlichen Sieg mit dieser Stätte verbinden.

Höhepunkt und schmerzhafter Abstieg

Wir waren auf dem Weg zur Verleihung der Doktorwürde, einer Veranstaltung meiner Universität, die im Wembley- Konferenzzentrum stattfand, wo ich meine Promotionsurkunde entgegennehmen sollte.


Graduation: Ueberreichung der Doktorwürde
Graduation: Ueberreichung der Doktorwürde

Ich hatte es geschafft. Nach sechs Jahren harter Arbeit, in denen ich während meines Vollzeitjobs an der Universität an meiner Doktorarbeit arbeitete, genoss ich es, von meinen Universitätsprofessoren, meinen Arbeitskollegen und meiner Familie beglückwünscht zu werden. Mein Bruder und meine Schwester waren den weiten Weg aus Deutschland angereist, um den großen Moment ihrer kleinen Schwester nicht zu verpassen.

Die harten und einsamen Jahre des Promotionsstudiums waren vergessen. Voller Energie war ich nun offziell befähigt und mehr als bereit, neue Herausforderungen anzugehen.

Ich hatte viele Ideen, wie das Bachelorprogramm, das ich in den vergangenen 12 Jahren geleitet hatte, vorangebracht werden könnte, und strebte in naher Zukunft eine Professur innerhalb der Universität an. Ich ahnte jedoch nicht, dass dies nicht so funktionieren würde, wie ich es geplant hatte.


Die neue Universitätsleitung führte Rationalisierungsmaßnahmen an der gesamten Universität ein, um mit den Kürzungen der Tory-Regierung fertig zu werden, die alle Teile der Gesellschaft, einschließlich des Bildungssektors, stark beeinträchtigten. Diese wirkten sich bald auch auf mein Programm aus. Infolgedessen musste ich, anstatt es wie geplant auszubauen und zu erweitern, für die Aufrechterhaltung seines Status quo kämpfen. Meine Kolleginnen und Kollegen waren frustriert, verloren ihren Enthusiasmus für unsere Arbeit und auch den Kampfgeist. Infolgedessen entschied sich die Hälfte von ihnen, eine Abfindung der Universität anzunehmen und auszuscheiden. Die Studenten des Programms waren jedoch immer noch da und erwarteten Lehrveranstaltungen und Unterstützung. Diese Arbeit musste nun mit dem verbliebenen Personal geleistet werden. Ich war entschlossen, nicht aufzugeben, machte weiter, hatte aber das Gefühl, als würde ich täglich mit meinem Kopf gegen eine Wand laufen.


Konflikte über Konflikte
Konflikte über Konflikte

In den folgenden Monaten arbeitete ich härter und länger, um das Programm am Leben zu erhalten und die Studenten zu unterstützen. Ich war um 7 Uhr morgens an meinem Schreibtisch, und oft rief mich mein Mann um 20 Uhr an und meinte, genug sei genug und ich solle nach Hause kommen, das Abendessen sei fertig. Das war ein wenig geschummelt, denn er wusste ja, dass ich noch 45 Minuten fahren musste um nach Hause zu kommen. Aber das war seine Art Druck zu machen, damit ich ein Ende fand.

Obwohl ich auch an den Wochenenden am Schreibtisch saß, wurde der Berg immer größer und das Arbeiten fiel mir immer schwerer, ich wurde immer langsamer und immer ineffektiver. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Meine Gedanken kreisten ständig, mein Gehirn ruhte niemals. Abschalten? Keine Chance!


Erschrocken bemerkte ich auch, dass mein Gedächtnis nicht mehr so gut funktionierte wie früher. Wenn ich mit einfachen Aufgaben konfrontiert wurde, wurde mein Kopf oft leer und ich vergaß, was ich eigentlich tun wollte. Ich konnte mich nicht mehr auf mein Gedächtnis verlassen, auf das ich doch so stolz war, und auch auf meinen Verstand, der einen wesentlichen Bestandteil meiner Identität ausmachte. Das beeinträchtigte mein Selbstvertrauen erheblich und erhöhte mein ohnehin schon hohes Stressniveau. Ich blickte widerwillig in einen Abgrund und musste doch immer weitermachen.

Einsicht, Akzeptanz und Neuanfang

Während eines dringend benötigten Urlaubs auf Kreta und während vieler Gespräche mit meinem Mann David wurde mir klar, dass ich kurz davor stand, ernsthaft krank zu werden, und dass ich die Universität verlassen musste, um mich zu erholen.


Um es kurz zu machen: Der Genesungsprozess verlief sehr langsam. Tatsächlich hat mich ein Psychologe und Burnout-Experte gewarnt, dass der Genesungsprozess in der Regel sehr lange dauern würde. Innerhalb von drei Monaten erholen sich die meisten Menschen bis zu 30%, die restlichen 70% können Jahre oder Jahrzehnte dauern. Jetzt, nach mehr als 10 Jahren Genesung, geht es mir viel besser, aber ich bin immer noch leicht gestresst. Ich bin nicht mehr in der Lage Herausforderungen so anzunehmen, wie ich es früher getan habe. Ich bin mir dabei aber nicht sicher, ob das am erlebten Burnout liegt oder einfach ein Zeichen des Älterwerdens ist.


Spazieren gehen hilft zur Stressbewältigung
Spazieren gehen hilft zur Stressbewältigung

Ich entwickelte eine Reihe von Strategien, um diese schwierige Zeit zu überstehen. Ich entschied mich gegen die Einnahme von Medikamenten, da ich vermutete, dass sie mein Gehirn nur betäuben und mir nicht helfen würden, mich zu erholen. Stattdessen nahm ich das Angebot an, „verschriebene“ Bücher zu lesen, ein neues System innerhalb des NHS (das britische Nationale Gesundheitssystem), das auf Rezept in einer örtlichen Bibliothek Bücher über Stress, psychische Gesundheit und Burnout als Mittel zur Selbsthilfe anbot. Ich habe sie alle gelesen und sie haben mir sicherlich geholfen, meine Situation besser zu verstehen. Der Druck in meinem Berufsleben hatte sich in ein Gefühl des persönlichen Versagens verwandelt, das mein Burnout verursacht hatte.


Ich meldete mich in unserem örtlichen Fitnesszentrum an und stellte fest, dass mir das Training auf dem Rudergerät und das Treten gegen den Boxsack half, den Stress zu besiegen. Die Teilnahme an einem Workshop mit einer Farbstylistin, um herauszufinden, welche Farben am besten zu meinem Hauttyp passen, stärkte mein Selbstbewusstsein und ich glitt stolz mit meinem neuen heißen farbigen Lippenstift und meinen bunten Kleidern durch die Stadt.


Es ist nicht so leicht, eine neue Identität zu finden.
Es ist nicht so leicht, eine neue Identität zu finden.

Was nicht so leicht zu erreichen war, war meine neue Identität zu finden. Während meines gesamten Berufslebens war die Arbeit immer wichtig für mich gewesen. Es war fast wie: Arbeite ich, um zu leben oder lebe ich, um zu arbeiten? Jetzt, da die Arbeit weg war, was blieb da noch für mich übrig? Ich war 57 Jahre alt und zu jung, um in Rente zu gehen. Ich hatte einige Ideen, was ich tun könnte, aber der Gedanke, wieder in einer hierarchischen Struktur zu arbeiten, in der Chefs mir sagten, was ich zu tun hatte, machte mich total verrückt. Ich wollte frei und unabhängig sein.


Ich beschloss, mein eigenes Beratungsunternehmen zu gründen. Mit der Zeit und sehr langsam entwickelte ich eine Geschäftsstrategie und baute meine Website auf, sowohl als Mittel zur Entwicklung als auch zur Genesung. Ich engagierte eine Freundin als Coach und entdeckte, was meine Stärken waren und dass mein Lebensinhalt darin bestand, anderen zu helfen und sie in ihrer persönlichen und beruflichen Entwicklung zu unterstützen – genau das, was ich in den letzten Jahrzehnten schon getan hatte. Es war beruhigend und ermunternd zu wissen, dass ich auf dem rechten Weg war und auf Wissen, Können und Erfahrungen meines bisherigen Berufslebens aufbauen konnte.

Schwierigkeiten neue Wege anzulegen

Allerdings hatte ich in der Vergangenheit immer im Team gearbeitet und auf Logistik und Kontakte einer Institution zurückgreifen können. Jetzt war ich auf mich allein gestellt und unabhängig, aber ohne den Rückhalt einer Institution, die über ein System der Qualitätskontrolle verfügte und daher auf dem Markt einen Ruf hatte. Die Qualität meiner Arbeit war niemandem bekannt, ich war als Dienstleisterin niemandem ein Begriff. Wer würde mir bei der Vergabe von Aufträgen den Vorzug geben?


Dies war möglicherweise der Grund dafür, dass die teuren Anzeigen, die ich geschaltet hatte, nicht die Ergebnisse brachten, die ich mir wünschte. Mir wurde bald klar, dass ich, um erfolgreich zu sein, mit anderen Menschen zusammenarbeiten musste, die mich und meine Arbeit kannten. Das würde mir die Möglichkeit geben, Aufträge zu bekommen und mich weiterzuentwickeln.

Vertrauen in den ehemaligen Kollegenkreis

In diesem Sinne begann ich, meine Kontaktliste ehemaliger Kolleginnen und Kollegen durchzugehen und lud einige zum Mittagessen ein, um meine Geschäftsideen mit ihnen durchzusprechen. Ihr Feedback half mir, mir eine Vorstellung davon zu machen, was möglich war und was nicht. Einige meiner vormaligen Teammitglieder stellten mich anderen Leuten vor, die ebenfalls Ideen einbrachten.


Kontakte zum Kollegenkreis herzustellen, war eine gute Strategie. Ihre Ratschläge waren für den Aufbau und die Entwicklung meiner Geschäftskonzepte hilfreich. Und sie ermutigten mich, meine Ideen umzusetzen. Da wir zusammengearbeitet hatten, wusste ich, dass sie mich, meine Kenntnisse und meine Leistungsfähigkeit realistisch einschätzen konnten. Daher konnte ich ihre Vorschläge und die Ermutigung auch wirklich annehmen. Das war mein Weg, mein Selbstvertrauen wiederzugewinnen und meine neue Identität aufzubauen.


Durch die Gespräche mit meinen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen habe ich über die Gründung meines Unternehmens hinaus viel gelernt. Wenn ich über meine Erfahrungen mit Burnout und Arbeitsstress sprach, reagierten sie durchwegs wohlwollend. In der Tat gaben viele zu, dass entweder sie selbst oder ein Partner oder enger Freund unter ähnlichen Problemen gelitten hatte. Ich fand, dass die Gespräche über meine Probleme, die oft noch mit Stigma und Scham behaftet sind, uns einander näher brachten und unsere Beziehung auf eine andere Ebene hob. (LL)

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