Die Romantik des Reisens ist verloren
- lisaluger
- 27. Aug. 2024
- 27 Min. Lesezeit
Reisen kann sehr romantisch sein und weckt Abenteuerlust und Urlaubsgefühle. Heutzutage kauft man zu Hause online ein Ticket und schon ist man unterwegs. Pünktlich und wie geplant erreicht man relativ entspannt und sicher sein Reiseziel. Wie schön!
Oder besser: „Schön wär’s!“ In all den Jahrzehnten, in denen ich häufig innerhalb Europas und auf andere Kontinente geflogen bin, wurde diese Erwartung eines Reisenden meist erfüllt. Und gab es dennoch einmal Probleme, dann fühlte sich die Fluggesellschaft oder der Reiseanbieter dafür verantwortlich, dass den Passagieren geholfen wurde. Heute, das habe ich wieder mal kürzlich bei meinem Rückflug von Berlin nach London erfahren, kann man weder Sicherheit noch Fürsorge erwarten. Es war eine bittere und nicht die einzige Erfahrung dieser Art.
Die Deutsche Bahn - Wehe dem Ortsunkundigen!
Los ging`s schon in Berlin auf dem Weg zum Flughafen Berlin-Brandenburg (BER). Auf Anraten meiner Berliner Freunde hatte ich mich für die Regionalbahn als das schnellste und zuverlässigste öffentliche Verkehrsmittel zum BER am Stadtrand von Berlin entschieden. Schon am Bahnhof Zoo war es vorbei mit der problemlosen Anfahrt.
Auf der Bahnsteigshinweistafel wurden die Reisenden darüber informiert, dass es sowohl am Bahnhof Zoo als auch zwischen den Stationen Ostkreuz und Frankfurter Allee wegen Signalfehlern zu längeren Verspätungen kommen könnte. Diese Information wurde zusätzlich alle zwei Minuten von einer schlecht zu verstehenden Lautsprecheransage bestätigt.
Keine Ahnung wo die Stimme des Lautsprechers ihr Büro hatte oder wo man jemanden auf dem Bahnhof um genauere Auskunft hätte bitten können. Mit der Suche nach Information wollte ich keine Zeit verschwenden. Die Formulierung „könnte“ war zwar vage, aber ich wollte nicht riskieren, irgendwo mitten auf der Strecke zu stranden und meinem Flug nur noch nachwinken zu können.
Also musste eine schnelle Entscheidung getroffen werden. Bei meinem letzten Berlin-Besuch war ich mit U-Bahn und Bus zum Flughafen gefahren, sehr zum Erstaunen meiner Berliner Freunde, weil die U-Bahn an vielen Stationen anhält und daher nur langsam vorankommt. Der Takt des Busses von der Endstation Rudow zum Flughafen ist nicht gerade eng. Wenn man Pech hat, wartet man sehr lange auf den Anschluss.
Trotzdem, die U-Bahn schien mir in dieser Situation das sicherste öffentliche Verkehrsmittel zu sein, das ohne liegen zu bleiben jeden Tag Hunderttausende von Fahrgästen hin und her transportiert. War ich erst einmal in Rudow und es tauchte kein Bus auf, konnte ich immer noch in ein Taxi steigen.
Nun kamen mir natürlich meine Ortskenntnisse aufgrund von Jahrzehnte langem Leben in Berlin und regelmäßigen Aufenthalten in dieser Stadt zugute.
Ich packte meinen Trolley und raste los: erst runter in den Keller zur U9, damit zur Berliner Straße, dann umsteigen in die U7 und damit bis zur Endstation Rudow. Alles kein Problem für eine Ortskundige, die nicht lange nach Gleisen und Wegen und Richtungen suchen muss! Die Anschlüsse klappten und trotz Hauptverkehrszeit bekam ich einen Sitzplatz. Die Fahrt verging schnell und als ich nach 45 Minuten aus der U-Bahn wieder auf die Straße hochkam, fuhr gerade ein Flughafen-Bus vor, den ich mit etwas Laufen auch erreichte.
Binnen 15 Minuten erreichten wir den Flughafen. Die gesamte Fahrzeit betrug eine Stunde. So lange hätte die Regionalbahn auch gebraucht.
Ich war stolz auf mich und nahm meine erfolgreiche Problembewältigungsstrategie als gutes Omen für den weiteren erfolgreichen Verlauf meiner Heimreise nach London.
Doch da lag ich falsch.
Flughafen Berlin Brandenburg - eine Service-Wüste
Es war 19 Uhr. Mein Abflug sollte um 21 Uhr stattfinden. Ich hatte also genügend Zeit. Der neu erbaute Flughafen Berlin-Brandenburg hat nichts mit der Bequemlichkeit oder dem Hauch von Luxus anderer Flughäfen gemein wie beispielsweise London Heathrow, New York, oder sogar München. Dieser Flughafen konnte nie wirklich das desolate Image des alten Ost-Berliner Flughafens Schönefelds loswerden. Man fühlt sich eher wie auf einer Bahnstation: Funktional, als schneller Durchlaufbereich für Passagiere nur mit dem Nötigsten ausgestattet.
Keine gemütlichen Cafés oder Sitzgruppen, die zum Ausruhen einladen und das Warten erträglicher machen. Aber ich hatte ohnehin nicht vor, hier lange zu verweilen. So ein Snack für die Reise oder ein Mitbringsel für meinen Mann David hätte ich aber schon gern erstanden. Der einzige Supermarkt war jedoch mehr ein Kiosk und hatte nichts Brauchbares anzubieten. Schade, David, diesmal gibt es keine deutschen Würstchen!
So machte ich mich mit meinem Handgepäck gleich auf den Weg zur Sicherheitskontrolle. Meine Bordkarte am Handy wurde prompt von der Maschine erkannt und nach „Sesam- öffne-dich-Art“ ging die Barriere auf und ich schritt durch und reihte mich in die Schlange der wartenden Passagiere an der Sicherheitskontrolle ein.
Sicherheitspersonal und Passagiere - eine auf Funktionalität reduzierte Beziehung
Das Personal war gut organisiert und wir kamen schnell vorwärts. Vor mir sprach ein sehr beschäftigter Mann ständig laut in sein Handy und hörte auch nicht auf zu reden, als er mit Hilfe eines Sicherheitsbeamten seinen Handkoffer, Uhr, Schlüssel, Kleingeld, Laptop, Jacke, Flüssigkeiten etc. in die dafür vorgesehenen Kästen am Laufband packte. Auch als er im Scanner stand und danach von einem weiteren Sicherheitsbeamten abgetastet wurde, führte er sein sicherlich äußerst wichtiges Gespräch ungerührt weiter.
Unglaublich unhöflich! Ich machte dem Sicherheitsbeamten gegenüber eine entsprechende Bemerkung, während er mir mit dem Handgepäck behilflich war. Er zuckte nur die Schultern und meinte, dass ich die erste Person heute sei, die mit ihm gesprochen habe. Wie bitte?
Ja, die meisten Passagiere würden ihn nicht einmal eines Blickes würdigen und seien viel zu sehr mit sich beschäftigt. Das schockierte mich und auch ich fühlte mich schuldig oft keinen Blickkontakt mit den Sicherheitsleuten herzustellen und nahm mir fest vor, künftig aufmerksamer zu sein und ein paar freundliche Worte mit dem Sicherheitspersonal zu wechseln.
Ich kam ins Grübeln.
Liegt diese Sprach- und Kontaktlosigkeit, ja Unhöflichkeit an uns Reisenden? Sind wir auf unser Vorankommen fokussiert und ignorieren hochnäsig oder gleichgültig die Menschen, die Dienstleistungen auf diesem Weg verrichten?
Sehen wir das Personal, das uns in langen Schlangen durchschleust, gar nicht mehr als Menschen, sondern als technisches Rädchen im Flughafenbetrieb?
Das wäre eigentlich beschämend.
Auf der anderen Seite hatte ich oft genug erlebt, dass ich mich in diesem Prozess des Eincheckens vor dem Abflug ebenfalls nicht als Mensch wahrgenommen gefühlt habe. Sicherheitsbeamte wie auch Passkontrolleure haben oft eine Aura von Unnahbarkeit oder legen autoritäres Verhalten an den Tag.
Ist es Langeweile, tagein tagaus die lange Schlange von Reisenden an sich vorüberziehen zu sehen und einen eintönigen Job zu machen? Oder Neid? Oder Unsicherheit und Druck? Der Job verlangt äußerste Konzentration, um ja kein potentielles Sicherheitsrisiko zu übersehen. Im Grunde ist jeder Passagier wie ein potenzielles Risiko zu sehen. Sollen daher das rigide Verhalten und die gebellten Anweisungen sowie die Distanz der Sicherheitsbeauftragten einschüchternd wie die Autorität der Behörden wirken?
Ich erinnere mich mit Schrecken an ein Erlebnis am Flughafen New Orleans, als unser Gepäck zum Scannen auf das Fließband geworfen wurde und mein Mann David dem Sicherheitsbeamten helfen wollte, der aber äußerst nervös reagierte, die Maschinenpistole auf ihn richtete und Verstärkung anforderte.
Wie gut tut es dagegen, wenn Sicherheitsbeamte mal lächeln oder ein freundliches Wort an einen richten oder eine spaßige Bemerkung machen. Das lockert die einschüchternde Atmosphäre auf und macht sie menschenfreundlicher.
Als der Mann am Scanner im Münchner Flughafen mir guten Appetit wünschte, nachdem die gegrillten Hähnchenkeulen, die meine Mutter mir eingepackt hatte, auf seinem Bildschirm sichtbar geworden waren, hob das die Stimmung ungemein.
Ja sogar als sich ein äußerst prekärer Vorfall am Hamburger Flughafen in Wohlgefallen auflöste, konnten das Sicherheitspersonal und ich gemeinsam herzlich über den Irrtum lachen. Der Scanner am Sicherheitscheck hatte Alarm geschlagen, weil er Sprengstoff in meinem Handgepäck vermutete. Bewaffnete Bereitschaftspolizisten eilten herbei und inspizierten unter größten Sicherheitsvorkehrungen das Handgepäck. Der verdächtige Gegenstand waren eingeschweißte Würstchen, die ich als Mitbringsel für meinen Ehemann bei Edeka am Flughafen erstanden hatte. Zum Glück konnten wir alle nach dieser Szene noch den Witz zu erkennen.
Wahrscheinlich leiden beide Parteien unter dem Massenbetrieb. Das Sicherheitspersonal, das tagtäglich die endlosen Schlangen von Passagieren abfertigen muss. Die Passagiere, die genervt vom anstrengenden Anstehen im Pulk mit völlig fremden Menschen nur noch durch die Kontrollen und dann in Ruhe gelassen werden wollen. Das ist wahrlich kein vergnüglicher Aspekt des Reisens.
Nach der Sicherheitskontrolle entdeckte ich auch im Duty-free-Bereich des BER nichts Einladendes und begab mich daher gleich zur Grenzkontrolle und schließlich zu meinem Flugsteig, um dort auf die Aufforderung zum Einsteigen in die Maschine zu warten. Ich hatte noch eine Stunde Zeit.
Info-Stau am Flughafen
Man glaubt ja gar nicht, wie viele Informationskanäle man offenhalten sollte, wenn man von Berlin nach London fliegt. Mein Mann David und ich sind da sehr versiert und daher wurde ich von ihm von zu Hause in London am Computer sitzend teilweise besser informiert als von British Airways per Handy-App oder dem BER-Flughafenpersonal. Und wehe demjenigen, der kein Internet fähiges Handy hat oder es nicht zu nutzen weiß!
Konkret sah das an diesem Abend folgendermaßen aus:
Die Zeit verging, die angegebene Zeit fürs Boarding verstrich und nichts passierte. David informierte mich um 20.30 Uhr, dass nach Angaben der Heathrow-Abflugliste mein Flugzeug eine halbe Stunde Verspätung habe. Interessant. Wir Fluggäste vor Ort in Berlin waren darüber nicht informiert. Kurz vor 21 Uhr klärte uns eine Lautsprecherstimme auf, dass sich die Ankunft des Flugzeuges aus London, mit dem wir zurückfliegen würden, wegen Gewitterstürmen über Europa um ca. 20 Minuten verspäten würde. Sobald es gelandet und gesäubert sei, könnten wir einsteigen. Okay, so wussten wir wenigstens Bescheid und warteten geduldig. Die Zeit verging. Keine weiteren Informationen.
Dave schrieb um 20.37 Uhr, dass er den Grill angeschmissen habe und Hühnchenkeulen grillen würde, die zu Hause auf mich warten würden. Nett. Ich freute mich schon darauf. Von David erfuhr ich auch, dass unser Flugzeug bereits gelandet war und dass es nun nicht mehr lange dauern könne, bis wir abfliegen würden.
Meine British Airways App informierte mich um 21.10 Uhr per Handy, dass unser Flug mit leichter Verspätung um 21.20 abfliegen würde. Kurz danach wurden wir zum Einsteigen aufgefordert und um 21.30 Uhr saß ich angeschnallt auf meinem Sitz 29b, in der vorletzten Reihe mit wenig Beinfreiheit, wo die Billigflug Passagiere untergebracht werden, und freute mich auf den Abflug und auf die Hühnchenkeulen, die auf mich warteten. Der Flug war bis auf den letzten Platz besetzt und mein Trolley steckte im Gepäckfach der Sitzreihe 24. Ich machte eine mentale Notiz, ihn beim Aussteigen ja nicht zu vergessen.
Heute wollte ich mir ein kleines Fläschchen Sekt gönnen, da mein Besuch in Berlin erfolgreich gewesen war. Doch nachdem ich die BA-Menü-Karte studiert hatte, entschied ich mich dagegen. Ich wollte nicht für einen 200-ml-Schluck Sekt £8 bezahlen. Ich fand den Preis unverschämt. Das konnte ich in Kürze daheim billiger haben. Ich textete Dave, doch bitte eine Flasche Rotwein in den Kühlschrank zu stellen, denn bei der derzeitigen Hitzewelle hatte unsere Dachwohnung ca. 32 Grad und das war definitiv zu warm für Rotwein. Durch das kleine Fenster konnte ich sehen, dass es angefangen hatte zu regnen. Eine Freundin schrieb mir, dass ihr Open-Air-Konzert in Berlin wegen starken Regens abgebrochen worden war. Zum Glücke saßen wir im Flugzeug im Trockenen.
Flugzeug-Stau auf der Rollbahn
Kurz vor 22 Uhr (mit einer Stunde Verspätung) ging es dann los. Wir rollten zur Startbahn und reihten uns in die Schlange der wartenden Flugzeuge ein, fertig zum Abheben. Und warteten.
Dann informierte uns der Flugkapitän, dass wegen der starken Gewitter die Berliner Flughafenbehörde die Arbeit des Bodenpersonals aus Sicherheitsgründen gestoppt habe. Aber, sobald es möglich sei, würden sie die Abfertigung der Flugzeuge fortsetzen. Okay? Soweit wir von unserem Fenster aus sehen konnten, regnete es nur leicht und nur in weiter Ferne waren ein paar Gewitterblitze zu sehen. Vielleicht war diese Sicherheitsmaßnahme etwas übertrieben, aber die Experten würden schon wissen, was sie tun. Und so warteten wir weiter.
Nach einer Weile (ich hatte immer noch Internet) checkte ich angesichts der zunehmenden Verspätung die U-Bahnverbindung vom Flughafen Heathrow nach Hause. Die schnellste war die neue Elizabeth Line und die ging noch bis kurz nach Mitternacht. Die letzte U-Bahn von Tottenham Court Road Station, wo ich umsteigen musste um mit der Northern Line nach Hause zu kommen, ging um 0:34 Uhr. Das könnte knapp werden. Falls nicht, müsste ich per Nachtbus nach Hause fahren. Dave schickte mir die entsprechenden Nachtbusverbindungen auf`s Handy. Ich würde etwa 2 ½-3 Stunden bis nach Hause brauchen und frühestens um 3.30 Uhr morgens zuhause sein. Dave sollte besser das Hähnchen in den Kühlschrank stellen. Ein Taxi war mir zu teuer. Das kostete bestimmt über £100. Das Geld war anderweitig besser angelegt.
Dave schlug vor, ich sollte doch besser am Flughafen Heathrow bleiben und versuchen, eine Bank zum Schlafen zu finden, denn die erste U-Bahn würde bereits um 5.09 Uhr morgens fahren. Das wäre auf alle Fälle sicherer als in ein dubioses Mini-Cab einzusteigen. Gute Idee. Darauf könnte ich mich einlassen. Es wäre sicherlich nicht bequem, aber einmal geht das schon.
Mittlerweile wurde es immer heißer im Flugzeug, denn die Klimaanlage funktioniert nicht im Stehen. Die Stewardessen, die auch nicht mehr Informationen hatten als wir, verteilten Wasser und Bretzeln, um uns abzukühlen und wahrscheinlich auch zu besänftigen.
Dann kam mir ein beunruhigender Gedanke: das Nachtflugverbot in London! Wir Londoner sind froh, dass keine Flüge zwischen 24 und 6 Uhr morgens erlaubt sind.
Wenn wir allerdings nicht in den nächsten 10 Minuten abfliegen könnten, würden wäre eine Landung in Heathrow nicht mehr möglich.
Dave in London hatte offensichtlich gerade die gleiche Idee, denn er hatte wohl recherchiert und sandte mir die entsprechenden Infos. 1962 habe die UK-Regierung Restriktionen von Nachtflügen in Heathrow erlassen, die besagten, dass zwischen 23.30 Uhr und 6.00 Uhr morgens kein Flugzeug landen und abfliegen dürfe. Diese Regel bestehe bis heute, aber mit dem Zusatz, dass unter besonderen Umständen die Regel gedehnt werden könne.
Ich beruhigte mich und meine Sitznachbarin, die die ganze Zeit reges Interesse an meinem WhatsApp Austausch mit Dave gezeigt hatte. Ich war überzeugt, dass die Flughafenbehörde eine Ausnahme machen würde, denn British Airways sei ja die nationale Fluglinie und würde beim Landen bestimmt Priorität haben, argumentierte ich. Das beruhigte meine Sitznachbarin und mich etwas, bis mir einfiel, dass vor kurzem eine Freundin bei uns in London hängengeblieben war, weil ihr Flug verspätet war und der Berliner Flughafen um 24 Uhr geschlossen wurde. Meine Online-Suche bestätigte ein Nachtflugverbot in Berlin von 24 bis 5 Uhr morgens mit einer Flexibilität von 30 Minuten.
Es war nun kurz vor 24 Uhr. Ich glaubte fest, dass die Flughafenbehörde dem gesunden Menschenverstand folgen und sicherlich so flexibel sein würde, den Flughafen solange offen zu halten, bis all die wartenden Flugzeuge abgeflogen waren.
Flughafenschließung – was nun?
Doch mein fester Glaube versetzte weder Berge noch unser Flugzeug in die Luft! Der Kapitän teilte uns mit, dass wir nicht abfliegen könnten, denn der Flughafen sei geschlossen worden. Es seien 20 Flugzeuge vor uns in der Warteschlange, die nun vor uns rückabgewickelt werden müssten. Er hoffe, dass er noch Bodenpersonal erreichen könne, das uns aus dem Flugzeug wieder herauslassen würde und unser Gepäck wieder abladen könnten. Er werde uns informieren, sobald er mehr Informationen habe.
Was nun? Warten! Und hoffen! Aber worauf? Die Passagiere ringsum wurden nervös und unruhig. Viele beschwerten sich und machten ihrem Unmut lautstark Luft.
Vom Kapitän erfuhren wir, dass in der Maschine vor uns in der Warteschlange die italienische Fußballmannschaft, die in Berlin beim Europa Cup gespielt hatte, auch festsaß. Später hörte ich noch, dass auch die Mannschaft des FC Bayern München an diesem Abend am BER gestrandet sei. Wie beruhigend. Wir waren also nicht alleine in dieser misslichen Lage.
Schließlich erhielten wir Passagiere von British Airways eine E-Mail, die darüber informierte, dass der Flug verspätet sei und heute nicht mehr abfliegen könne. Naja, das war ja nun keine Neuigkeit mehr. British Airways würde jedoch angemessene Hotelkosten, bis zu £20 für Essen und Getränke und bis zu £25 für Telefonkosten übernehmen. Wir würden am nächsten Morgen wieder eine E-Mail erhalten, in der uns die neue Abflugzeit unseres Fluges mitgeteilt würde.
Nun war es also offiziell, dass wir gestrandet waren. Zuerst wusste ich nicht so recht, was ich davon halten sollte. Doch schnell kam ich zu dem Schluss, dass dies wahrscheinlich die bessere Option war. Ich war nicht sonderlich angetan von der Aussicht, in London eine 2½ – 3-stündige Fahrt mit drei verschiedenen Nachtbussen auf mich nehmen zu müssen oder eine schlaflose Nacht auf einer der kalten und harten Metallbänke am Flughafen Heathrow zu verbringen. Aber nun war ich mit dem Problem konfrontiert, vom Flugzeug aus vor Ort ein Bett für diese angebrochene Nacht zu finden. British Airways bot diesbezüglich keine Hilfestellung an.
Um diese Uhrzeit konnte ich unmöglich meine Freunde, bei denen ich die letzten drei Nächte verbracht hatte, aus dem Schlaf schrecken. Ein Hotel in der Nähe des Flughafens war die beste Option. Das wäre auch von Vorteil, dass ich nicht nur heute Nacht schnell untergebracht wäre, sondern am nächsten Morgen auch kurzfristig am BER zum Abflug bereit wäre.
Um mich herum setzte allmählich allgemeines Entsetzen ein, als die Konsequenz dieser Nachricht allen bewusst wurde. Manche stürzten sich in Hyperaktivität, andere reagierten paralysiert oder brachen zusammen. Zwei Reihe vor uns bekam eine Frau einen schlimmen Asthmaanfall und eine Stewardess kümmerte sich um sie.
Mein Sitznachbar rechts von mir buchte gerade auf dem Handy ein Hotel in Flughafennähe. Gute Idee! Das sollte ich auch sofort erledigen. Ich fragte ihn nach dem Namen seines Hotels und machte mich daran, ebenfalls dort zu buchen. Leider erschienen nur die Buchungsdaten für den nächsten Tag bzw. die nächste Nacht auf meinem Display. Die App bot keine Möglichkeit an, für die aktuelle Nacht zu buchen. Den Grund sollte ich erst später erfahren.
Meine Nachbarin links von mir hatte mehr Glück und sie buchte schnell in einem anderen Hotel für uns beide je ein Zimmer, bezahlte mit ihrer Kreditkarte und bekam die Buchungsbestätigung. Wunderbar! Wir waren gerettet! Wir hatten einen Platz zum Schlafen. Wir waren erleichtert.
Kurz darauf erhielt ich eine WhatsApp-Nachricht von einer Berliner Freundin, die sich erkundigte, ob ich sicher in London gelandet wäre. Ich schrieb ihr von unserer Situation. Sie war geschockt und bot an, sich sofort ins Auto zu setzen und mich abzuholen. Ich dankte ihr, sagte das sei nicht nötig, da wir gerade ein Hotel am Flughafen gebucht hätten, das von BA bezahlt werden würde.
Später sollte ich diese leichtfertige Absage bereuen. Doch zu diesem Zeitpunkt wusste ich ja noch nicht, wie diese Nacht verlaufen würde.
Ich verständigte David von den neuesten Entwicklungen und schrieb ihm, er könne das Hühnchen selber aufessen oder in den Kühlschrank stellen. Er könne beruhigt schlafen gehen. Ich würde mich morgen früh bei ihm melden und ihn auf dem Laufenden halten. Er war beruhigt, das schien ihm auch die beste Option.
Gestrandet im Chaos am Flughafen BER
Es waren jedoch noch jede Menge Flugzeuge vor uns und es war abzusehen, dass es noch eine Weile dauern würde, bis wir vom Bodenpersonal aus dem überhitzten Flugzeug befreit werden würden. In unserem Flugzeug waren 180 Passagiere und bei 20 Flugzeugen waren es mindestens 3 600 Passagiere, die abgefertigt und deren Gepäck wieder ausgeladen werden musste. (Wie gut, dass ich wieder mal nur Handgepäck hatte!) Unser Flugzeug stand ja ganz hinten in der Schlange.
Diese Massen waren dann später auch alle vor uns bei der Grenzkontrolle. Da wir ja vom Niemandsland wieder nach Deutschland einreisen mussten, war das unvermeidlich. Viele Passagiere verstanden die Logik nicht, denn sie hatten ihrer Meinung nach Deutschland ja noch nicht verlassen und grantelten vor sich hin, argumentierten untereinander und stritten sich mit den Beamten der Passkontrolle. Kleine Kinder schrien. Hunderte von Leuten saßen auf dem Boden, müde und erschöpft, ratlos was zu tun sei. Einige weinten, anderen standen Erschöpfung, Wut und Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Mir taten vor allem die Familien mit Kindern leid, die nun eine Bleibe suchen mussten.
Von British Airways oder dem Berliner Flughafen-Personal, das uns Hilfe und Unterstützung hätte geben können, war niemand zu sehen. Wir waren völlig auf uns selbst gestellt.
An der Passkontrolle wurden die Auswirkungen des Brexits wieder einmal deutlich.
Ich konnte als deutsche Staatsbürgerin einfach zu einer der fast leeren, für EU-Staatsbürger reservierten elektronischen Kontrollposten gehen, während die meisten sich in die überlange Schlange der Nicht-EU-Bürger einreihen mussten.
Ich wartete auf der anderen Seite auch, aber auf meine Nachbarin, denn wir hatten ja eine gemeinsame Hotelbuchung. Ich hätte loyal mit ihr warten und ihren Passkontrollschalter nutzen können, aber ich wollte doch einmal einen Vorteil des Brexits genießen und eine Weile nicht in einem Pulk aus frustrierten Menschen warten. Sie hatte zwar vorgeschlagen, ich solle schon mal zum Hotel vorgehen, aber ich fand, es sei besser, diese Situation gemeinsam durchzustehen.
Nun wartete ich und versuchte, mich an ihr Gesicht zu erinnern, denn wir kannten uns ja kaum. Endlich, nach 45 Minuten, kam sie als eine der letzten Passagiere heraus. Wir erkannten uns sofort wieder und, erleichtert, dass wir beide nur Handgepäck hatten, schoben wir uns an den Menschenmassen vorbei, die bei der Gepäckausgabe am Fließband auf ihre Koffer warteten.
Wir reihten uns hingegen hoffnungsfroh in die Taxischlange ein. Dort gab es fast eine Schlägerei, als ein paar Menschen versuchten, sich vorzudrängeln. Die Nerven waren zum Reißen gespannt.
(K)ein Bett für die Nacht?
Das Hotel war in der Nähe und nach 15 Minuten Fahrt kamen wir um 01.30 Uhr an. Wir reihten uns in die lange, bis auf die Straße reichende Schlange ein. Hunderte von Gestrandeten waren vor uns.
Aber wir waren relaxt, freuten uns schon auf unser Hotelbett, denn zum Glück hatten wir ja unsere Hotelbuchung und Bestätigung. Doch dann erreichte uns das Gerücht, dass alle Zimmerbuchungen, die nach 24 Uhr Mitternacht vorgenommen worden waren, null und nichtig seien. Das Hotel sei voll. Leute seien weggeschickt worden.
Was? Wie bitte? Das war doch nicht zu glauben. Entschlossen schritt ich an der langen Schlange vorbei, um mich an der Rezeption persönlich zu erkundigen.
Was ich da zu hören bekam, enttäuschte mein Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Digitalisierung: Booking.com habe einen Fehler gemacht. Das Portal hätte keine Buchungen für diese Nacht nach 24 Uhr annehmen dürfen. Die Buchung sei daher für die nächste Nacht angenommen worden. Das Hotel sei tatsächlich voll. Es könne uns nicht helfen. Wir müssten mit Booking.com direkt in Verbindung treten, um unser Geld rückerstattet zu bekommen. Aber das war zu diesem Zeitpunkt unsere kleinste Sorge. Wo sollten wir jetzt um diese Uhrzeit hin?
Alle, die nach Mitternacht gebucht hatten, wurden weggeschickt und mussten nach einem anderen Hotel suchen. Das waren die meisten. Wir hatten um 00:07 Uhr gebucht. Es betraf uns also auch.
Ich versuchte noch mit dem gestressten Mann an der Rezeption zu handeln. Ob nicht doch noch irgendwo eine Besenkammer frei wäre, die er uns überlassen könnte, fragte ich. Leider nein. Der arme Mann war umringt von hunderten von Leuten, viele mit Kindern, die dringend eine Bleibe suchten. Er war komplett überfordert und bekam aber die geballte Wut und Enttäuschung zu spüren.
Da saßen wir dann in der Lobby des Hotels und versuchten für uns beide ein Hotel zu finden. Meine Sitznachbarin und neue Freundin rief bei dem Hotel an in dem sie die letzte Nacht verbracht hatte, ohne Erfolg, sie waren ausgebucht. Dann suchten wir übers Internet. Doch man konnte nur online buchen und daher nur für die kommende Nacht, weil man einem Programm nicht erklären kann, dass man nach 24 Uhr am Flughafen gestrandet ist und nun für diese Nacht keine Unterkunft hat. Das kann man nur einem Menschen erklären und dazu bräuchte man eine Telefonnummer. Die meisten Hotels waren jedoch nur über Online-Buchungsagenturen zu buchen und auch auf der Webseite der Hotels konnten wir keine Telefon Nummer finden. Wenn Telefonnummern angegeben waren, waren es 0801- Nummern von Call-Centern in den USA. Die wären genauso hilfreich bei der Lösung des akuten Problems wie die online-Agenturen gewesen. Nämlich gar nicht!
Allmählich setzte bei mir eine lähmende Müdigkeit ein und verdrängte die aufkommende Panik. Ich wollte nur noch mein müdes Haupt irgendwohin hinlegen und war gerade dabei, es mir in der Lobby bequem zu machen und zu schlafen, in der Hoffnung, nicht vor 5 Uhr morgens rausgeschmissen zu werden.
Eine Telefonnummer - ein Mensch - eine Lösung!

Doch dann überlegte ich, welche Hotel-Namen ich kenne. Ich habe 20 Jahre in Berlin gewohnt und nie in einem Hotel übernachtet. Auch bei meinen häufigen Besuchen schlief ich bei Freunden. Aber es musste mir doch der Name irgendeines klassischen bekannten Hotels einfallen! Hilton! Berlin hatte doch sicherlich ein Hilton Hotel. Ich googelte Hilton – und siehe da, ich fand eine Telefonnummer. Eine richtige Person am Telefon sagte, dass noch zwei Zimmer frei wären und versprach, diese für die nächsten 45 Minuten für uns frei zu halten. Wunderbar!! Alle Müdigkeit war verschwunden. Wir stürmten auf die Straße und ein Uber-Taxi brachte uns in die Stadtmitte. Um 03:30 Uhr checkten wir im Hotel Hilton in der Mohrenstrasse ein.
Kurz danach, um 04.00 Uhr saß ich zufrieden in meinem frisch überzogenen Bett in meinem Hotelzimmer, nachdem ich mit dem duftenden Duschgel des Hilton geduscht und die herrlich duftende Körperlotion benutzt hatte, und genoss meine Mini-Flasche Rotwein, die ich zuvor noch an einem Automaten in der Lobby als Schlaftrunk zur Beruhigung der Nerven erstanden hatte. Ich stellte den Wecker auf 06:30 Uhr, um dann zu checken, ob eine E-Mail von British Airways mit den neuen Flugdaten angekommen sei und fiel in einen tiefen Schlaf.
Um 06:30 Uhr war wirklich eine E-Mail angekommen, in der die neue Abflugzeit um 14:55 Uhr angekündigt wurde. Da konnte ich mich beruhigt umdrehen und weiterschlafen.

Um 10 Uhr traf ich mich mit meiner neuen Freundin und Leidensgenossin zum Frühstücken. Mit Blick auf das historische Gebäude des Deutschen Doms am Gendarmenmarkt genossen wir ein opulentes Frühstück und gönnten uns auch noch ein Gläschen Sekt, um dieses besondere Erlebnis zu feiern. So kann man es aushalten! Wir waren mit der Situation versöhnt.
Ich schmierte mir noch ein Brötchen und packte es ein. Eine eiserne Reserve - im Falle eines Falles! Mittags um 12 Uhr nahmen wir ein Taxi zurück zum Flughafen BER und freuten uns, dass wir bald zu Hause sein würden.
Zurück am Flughafen - Chaos und fehlendes Krisenmanagement
Der Flughafen war voll mit gestrandeten Leuten des Vortages, viele von ihnen auf dem Boden liegend, umringt von ihrem Gepäck. Kinder rannten entweder herum oder weinten. Viele Passagiere hatten es offensichtlich nicht geschafft, ein Hotel für die Nacht zu finden und mussten daher die Nacht am Flughafen auf dem Boden schlafend verbringen.
Auch bei uns Glücklichen, die wir die Nacht in einem Hotelbett verbracht hatten, stellte sich nun wieder Verwirrung und Verunsicherung ein. Auf der elektronischen Abflugtafel tauchte unser Flug nämlich überhaupt nicht auf. Wir fingen an zu zweifeln, ob die Information der British-Airways-E-Mail korrekt war. Es gab jedoch niemanden von Seiten der Fluggesellschaft oder des BER, der uns über das weitere Vorgehen informierte.
Einige Passagiere hatten sich am Check-in Schalter eine neue Bordkarte ausstellen lassen, bemerkten dann jedoch, dass das gestrige Datum angegeben war. Sie standen nun wieder in der Schlange zum Check-in-Schalter, um diesen Fehler berichtigen zu lassen und eine Bordkarte mit dem aktuellen Datum zu bekommen.
Andere kamen enttäuscht vom Sicherheitsbereich zurück. Sie waren dort abgewiesen worden, weil sie versucht hatten, mit ihren Bordkarten des Vortages einzuchecken. Wir waren ratlos. Keine dieser Anstrengungen hatte den Weg zum Gate freigemacht. Waren wir auf einen Geisterflug gebucht, der niemals kommen würde? Oder hatte man uns schlicht vergessen?
Ich sah keinen Sinn darin, uns in die lange Schlange am Check-in-Schalter einzureihen und schlug vor, dass wir gemeinsam zum weniger frequentierten Businessclass-Schalter gehen und dort Druck machen sollten.
Sieben Leute, gewappnet und gewillt sich nicht abweisen zu lassen, marschierten auf den Schalter zu. Das machte offensichtlich Eindruck. Der freundliche Herr am Schalter erklärte uns, dass es richtig sei, die Bordkarten von gestern zu benutzen. Er habe gerade per Telefon die entsprechenden Anweisungen an das Sicherheitspersonal weitergegeben. Die sollten uns nun ohne Probleme durchlassen. Wir wollten ihm gerne glauben, blieben aber skeptisch. Und prompt, am Security Gate funktionierte unsere Bordkarte nicht. Doch einer der Beamten nahm uns beiseite, „Aha, ihr seid die Gestrandeten von gestern!“, kontrollierte unsere Bordkarten und Reisepässe und ließ uns durch. Puh! Es braucht halt für bestimmte Problemlösungen doch verständige Menschen!
Diese Hürde war schon mal geschafft. Nun noch durch die Sicherheitskontrolle und dann auf den Weg zu unserem Gate. Angeblich sollte es das gleiche wie gestern sein, C17. Und wirklich, am Gate 17 stand London Heathrow auf der Anzeigetafel, mit unserer Flugnummer und der Abflugzeit 14.55 Uhr.
Da saßen wir dann und warteten. Unsere kleine Gruppe war mittlerweile gewachsen. Wir erkannten mehr und mehr von unseren gestrigen Leidensgenossen und die schlossen sich uns an.
Unsere Abflugzeit 14:55 Uhr war schon längst verstrichen, als jemand zufällig eine Information auf der Anzeigetafel aufblitzen sah. Unser Flug gehe in 10 Minuten von einem anderen Flugsteig ab. Niemand hatte uns Bescheid gegeben. Voller Panik rannten wir mit unserem Handgepäck. Ich schluckte noch schnell meinen viel zu heißen Tee runter, da ich keine Hand mehr frei hatte, den Becher zu halten, und sauste los. Wir wollten unter keinen Umständen unseren Flug verpassen.
Als wir außer Atem am Gate C12 ankamen, warteten noch mehr bekannte Gesichter des Vortages. Auf der Hinweistafel standen völlig korrekt Flugnummer, Abflugzeit 14:55 Uhr, Zielort London Heathrow, aber von einem Flugzeug oder Personal von British Airways oder Personal des BER keine Spur.
Da saßen wir nun in einer ständig größer werdenden Gruppe und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Die Stimmung schwankte zwischen Hoffnung, Verzweiflung, Ärger, Hysterie und Galgenhumor. Wir trauten uns nicht einmal mehr auf die Toilette zu gehen, aus Angst, wichtige Informationen oder unseren Flug zu verpassen.
Endlich kam eine junge Dame vom Bodenpersonal des Berliner Flughafens. Unsere Hoffnung auf Information wurden bitter enttäuscht, denn sie wusste nichts über unseren Flug. Stattdessen erfragte sie von uns die Informationen, die wir von British Airways per E-Mail bekommen hatten, um sie an andere Fahrgäste weitergeben zu können. Seit der 06:30-Uhr-E-Mail hatten wir keine Kommunikation mit British Airways gehabt und auch die BA-App blieb stumm.
Es herrschte völliges Chaos. Die Abflugtafel informierte uns, dass es an diesem Nachmittag drei British Airways-Flüge von Berlin nach London Heathrow gebe. Doch von unserem Flug war nicht die Rede.

Hatte man uns vergessen? Lange nachdem unsere geplante Abflugzeit verstrichen war, meldete sich endlich die BA-App auf meinem Handy und informierte mich, dass unser Flug um 17 Uhr abfliegen werde. Es gab vor Ort jedoch keinerlei Anzeichen, dass dies eine zuverlässige Information war.
Dave kontaktierte mich von London aus und wollte wissen, ob er den Seabarsch aus dem Gefrierfach nehmen sollte für ein BBQ am Abend. Nach unserer gestrigen Erfahrung war ich vorsichtig und schlug vor, das BBQ mit Fisch am darauffolgenden Tag anzusetzen und den Fisch im Gefrierfach zu belassen.
Endlich erhielten wir eine Information: Unser Flug sollte um 18 Uhr losgehen. Um 18:15 Uhr stiegen wir dann endlich ins Flugzeug ein, schnallten uns an und das Flugzeug reihte sich in die Schlange der wartenden Flugzeuge zur Startbahn ein.
Der Kapitän informierte uns, die Crew des gestrigen Tages habe aufgrund der Wartezeit ihre Arbeitszeit überschritten und sei daher nicht mehr angetreten. Er und seine Crew hätten heute Morgen um 7 Uhr einen Anruf bekommen, dass sie als Passagiere mit einem Flugzeug nach Berlin fliegen und unser Flugzeug zurückfliegen sollten. Sie seien gerade erst am Flughafen BER angekommen und hätten sofort das Flugzeug übernommen. Da wir das Wasser und die Bretzeln gestern bereits verspeist hätten, wäre kein Nachschub da. Aber wir würden ja bald abfliegen und demnächst zu Hause sein. Das war kein Problem für uns. Wir waren dem Kapitän dankbar. Endlich war da jemand, der signalisierte, er kümmere sich um uns. Endlich sprach jemand mit uns und endlich wussten wir wieder, was los war. Und ich war fein raus, denn ich hatte ja noch mein Brötchen aus dem Hotel Hilton.
Und wirklich, um 19:30 Uhr erhob sich unser Flugzeug in die Lüfte. Wir jubelten und klatschten. Die Passagiere erzählten sich angeregt, wie es ihnen ergangen war. Neue Freundschaften waren geknüpft worden. Ich war auch froh, dass ich meine junge Sitznachbarin gefunden hatte, und sie war ebenfalls froh über meinen Beistand. Zu zweit war das Abenteuer eher erträglich gewesen, da wir uns gegenseitig unterstützen und ablenken konnten.
Die Stewardessen, darum bemüht die Gemüter der Passagiere zu besänftigen, boten nun kostenlos diverse Getränke an. Nun konnte ich also doch noch mein Glas Sekt trinken. Ich fand, ich hatte das redlich verdient.
Kurz nach 20 Uhr landeten wir nach 1 ½ Stunden Flug in Heathrow (1 Stunde Zeitverschiebung). Um 22 Uhr saß ich zu Hause mit Dave auf unserer Dachterrasse, feierte meine Heimkehr mit einem Glas Wein und genoss die Hähnchenkeulen, die Dave mir doch noch von gestern aufgehoben hatte. (LL)
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Wie entsteht so ein Chaos und wieso wird es von Verantwortlichen nicht gemanagt?
Dieses Erlebnis hat mich noch lange beschäftigt. Warum war das alles geschehen und wieso konnte es nicht besser geregelt werden? Gewitter sind nichts Neues. Was war das Besondere an diesem Gewitter, das ich gar nicht als so heftig erlebt hatte? Waren die Gesundheits- und Sicherheitsschutzbestimmungen zu rigide, war die Bürokratie am Berliner Flughafen zu strikt oder das Personal zu unflexibel? War die Flugkommunikation London- Berlin oder die der europäischen Flugkontrolle in Brüssel durch ein Gewitter überfordert? War es im Zeitalter der Digitalisierung nicht möglich, in einer Krise zu handeln? Offensichtlich können Computer nur Standardprobleme lösen. Es hätte kompetenter Menschen bedurft, die Krisensituation zu managen.
Anspruch auf Kostenentschädigung statt auf Hilfe und Unterstützung
An jedem Flugschalter sind die Rechte der Passagiere ausdrücklich plakatiert, für den Fall, dass ein Flug gecancelt wird oder verspätet ist. Sie sind außerdem im Internet verfügbar. Passagiere werden informiert, unter welchen Umständen sie Anspruch auf Entschädigung oder Kostenerstattung haben, unter welchen Bedingungen sie einen Ersatzflug buchen können, wo sie ein Formular dafür finden, um etwaige entstandene Kosten erstattet zu bekommen.
„We will do everything we can to help get your travel plans back on track” (Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, damit Sie Ihre Reisepläne wieder in die Tat umsetzen können.) So ist auf der Website von British Airways zu lesen.
Dies ist alles sehr löblich, aber es funktioniert letztendlich nicht.
Meine BA-App hat mir keine Hilfe angeboten, nicht mal Informationen, was ich in diesem Moment an diesem Ort hätte machen können, um die Krise gut zu handhaben. Die Rechte der Passagiere nach einer Krise sind gut und schön, aber in der Krisensituation sind konkrete Unterstützung und hilfreiche Aktionen gefragt.
Eigentlich erwarte ich als Kundin, dass Fluggesellschaften und Flughäfen auf Krisen wie diese, die ja nicht gerade einmalig und äußerst selten vorkommen, vorbereitet sind. Es müsste Krisenpläne geben und Verantwortliche, die diese Pläne umsetzen und gestrandeten Passieren Unterstützung anbieten. Stattdessen erwarten Fluggesellschaften und Flughäfen – so scheint es – dass jeder Passagier, der sich auf eine Flugreise begibt, Krisenpläne selbst ausarbeitet und mit sich führt. Dass jeder Passagier weiß, wohin er sich wenden kann, jenseits der Flug- und Flughafengesellschaft, und wo er sich Informationen beschaffen kann. Denn seine Vertragspartner fühlen sich dazu nicht wirklich verpflichtet.
Doch grundlegende Informationen sollten zur Verfügung gestellt werden, wie beispielsweise Listen von Hotels in der Nähe des Flughafens mit Telefonnummern, Informationen über Geschäfte und Läden am Flughafen oder in der Nähe, die offen sind, um im Falle einer Krise die grundlegende Versorgung der Passagiere zu ermöglichen, z.B. Trinkwasser, Essen, Windeln und Nahrungsmittel für Babys, Medikamente etc.
Die Rechte der Passagiere zu veröffentlichen scheint in meinen Augen ebenso eine minimale Pflichtübung zu sein, wie bei etlichen Gesundheits- und Sicherheitsbestimmungen oftmals auch. Hauptsache es ist ein Schild aufgestellt worden, dass der Fußboden nass ist und Ausrutschgefahr besteht. Wenn dann wirklich jemand ausrutscht und sich ein Bein bricht, ist es dessen Problem. Aus der Haftung ist man raus! Die Organisation kann nicht belangt werden, ihrer Fürsorgepflicht nicht nachgekommen zu sein. Aber dem Kunden oder Passanten muss ein sicherer Weg aufgezeigt werden, um die Gefahr zu umgehen. Und dem auf einem Flughafen Gestrandeten muss man auch eine Option für die überlange Wartezeit wie in unserem Fall anbieten.
Nicht mein Problem
Es scheint mir, dass in dieser Situation niemand die Verantwortung übernommen und niemand eine Lösung des Problems angestrebt hatte, weder das Bodenpersonal am Berliner Flughafen, British Airways, Booking.com oder das Flughafenhotel bei dem wir gebucht hatten.
Niemand fühlte sich zuständig.
Der Angestellte an der Rezeption in dem überfüllten Hotel, der uns alle weggeschickt hat, sah es nicht als sein Problem. Er zuckte die Schultern. Sorry.
Es war bestimmt nicht das erste Mal, dass jemand mitten in der Nacht ein Hotel buchen musste. Das System war unfähig zu reagieren und für die Nacht nach 24 Uhr eine Buchung anzunehmen. Viele der großen Hotels werben mit 24-Stunden-Rezeption. Wieso kann man diese Hotels dann telefonisch nicht erreichen, um einem Menschen die Notsituation zu erklären und entweder ein Bett für die Nacht oder wenigstens Hilfe bei der Suche zu bekommen?
Mir schien, British Airways hatte es sich einfach gemacht.
Mit ihrer E-Mail hatten sie die Passagiere von der Verspätung informiert und angeboten, für eventuell entstehende, im Rahmen liegende, Kosten aufzukommen. Basta! Pflicht erfüllt!
Für die Lösung des Problems fühlte sich die Fluggesellschaft nicht mehr zuständig, das oblag der Verantwortung der Passagiere. Die sollten sich selbst darum kümmern, ein Hotel oder irgendwo einen Platz zum Schlafen zu finden.
Für die Einheimischen war dies kein Problem, die gingen nach Hause und schliefen in ihrem eigenen Bett. Aber der Großteil der Passagiere waren Touristen oder Besucher. Sie waren fremd in Berlin, hatten dort kein Zuhause, wussten auch nicht auf die Schnelle um diese Zeit eine Unterkunft zu organisieren. Mit ihrer Verzweiflung und Panik standen sie alleingelassen von ihrem Vertragspartner British Airways da. Eine Krisenintervention durch Vertreter der Fluggesellschaft oder Personal des BER gab es nicht, zumindest habe ich niemanden gesehen.
Diejenigen, deren Aufgabe es war, einen neuen Flug für den nächsten Tag zu organisieren, haben hoffnungslos versagt und sind völlig unprofessionell vorgegangen.
Die E-Mail von British Airways um 06:30 Uhr informierte uns über die neue Abflugzeit um 14.55 Uhr. Aber, wie wir später vom Piloten erfuhren, waren der Flugkapitän und seine Crew erst morgens um 7 Uhr (1/2 Stunde nach der E-Mail an alle Passagiere) verständigt worden, dass sie von London aus als Passagiere nach Berlin fliegen und die Maschine samt Passagieren zurück nach Heathrow fliegen sollen. Sie kamen erst kurz vor 18 Uhr am Berliner Flughafen an. Es hätte bereits morgens klar sein müssen, dass eine Abflugzeit um 14:55 Uhr nicht einzuhalten sei.
Warum wurde nicht noch in der Nacht, als der Start auf den nächsten Tag verschoben werden musste, eine Crew verständigt, oder zumindest ein späterer und realistischer Abflugtermin angesetzt? Sollten wir Passagiere hingehalten oder beschäftigt werden?
Wäre früher klar gewesen, dass der Flug erst am Abend stattfinden kann, hätten manche Passagiere die Möglichkeit gehabt, alternative Flüge zu buchen, um ihre dringenden Termine einhalten zu können. Wie es zum Beispiel die Frau in der Sitzreihe hinter mir sicher gemacht hätte, die verzweifelt war, da sie mit ihrer Tochter den ganzen Tag am Berliner Flughafen festsaß und nicht rechtzeitig nach London kommen konnte, um an der offiziellen Verabschiedung ihres in den Ruhestand gehenden Ehemannes teilzunehmen. Eine andere Frau verpasste einen lange geplanten Untersuchungstermin im Krankenhaus. Andere, wie mein Sitznachbar auf der rechten Seite, konnten ihren beruflichen Verpflichtungen nicht nachkommen, mussten Kollegen verständigen, Aufgaben übertragen, Termine verschieben und sorgten sich um ihren Job, um nur einige Fälle zu nennen.
Vertrag ist Vertrag
British Airways und der Flughafen tragen die Verantwortung für die Passagiere. Mit dem Kauf eines Flugtickets entsteht ein Vertrag, an den beide Teile gebunden sind. Die Tickets sind teuer genug und beinhalten Flughafensteuer. Doch auch am Flughafen fühlte sich niemand zuständig oder bemühte sich um Hilfestellung. Die junge Frau am Flugsteig, eine Angestellte des Bodenpersonals am Berliner Flughafen, war nicht einmal annähernd über die Lage informiert – und deshalb tat sie das für sie Naheliegende, sie informierte sich bei den Passagieren über deren Kenntnisstand, um ihn an andere Passagiere weiterzugeben.
Das war wohl ein Maximum an Eigeninitiative. Ansonsten wartete sie wohl auf Instruktionen von höherer Stelle. Wie mir schien, war sie nicht einmal verärgert über ihre Unkenntnis der Lage und darüber, dass sie den Passagieren keine Hilfe sein konnte.
Ich frage mich, ob das ihr persönliches Versagen war oder ob sie resigniert hat, weil solche Situationen ihr Arbeitsalltag sind? Weil man eh nichts machen kann? Weil das halt so ist? Weil keiner mehr weiß, wer eigentlich wofür zuständig ist? Weil man auch als Mitglied des Personals an den digitalen Kommunikationspfaden nicht mehr vorbeikommt? Keine vernünftigen Antworten jenseits von Standardfragen bekommt?
An die Stelle von Empathie ist Gleichgültigkeit getreten
Ich bin reiseerfahren und nicht so schnell aus der Ruhe zu bringen. Ich bin daran gewöhnt, Probleme zu lösen und sehe Herausforderungen normalerweise gelassen entgegen. Aber was ist mit den Passagieren, die nicht so versiert sind?
Ich habe viele verzweifelte und panische Menschen in diesen Stunden gesehen. Was ist mit denjenigen, die kein Internet fähiges Handy oder keine BA-App haben? Die nicht über E-Mails von der neuen Flugzeit informiert werden können?
Was ist mit Menschen mit Mobilitätsproblemen oder allein reisenden Kindern? Wie kann man in einer Krisensituation hinfällige und schutzbedürftige Menschen sich selbst überlassen und erwarten, dass sie das alles schon irgendwie hinkriegen und notfalls halt am Flughafen schlafen.
Wo ist der Stolz der Angestellten, die Passagiere, ihre Kunden, kompetent und sicher abfertigen und von A nach B bringen wollen? Es ist eine merkwürdige Entwicklung, in der das Zwischenmenschliche abhanden gekommen zu sein scheint.
Anstelle von Empathie scheint Gleichgültigkeit getreten zu sein. Gleichgültig gegenüber den Ängsten und Sorgen der Passagiere und gleichgültig hinsichtlich der eigenen Unfähigkeit als Fluggesellschaft und Flughafen eine Krise angemessen zu managen und Probleme zu lösen.
Sind wir im Zeitalter der Digitalisierung so sehr daran gewöhnt, dass der Computer alles regelt? Ist sich niemand mehr der Tatsache bewusst, dass Softwareprogramme Standardabläufe optimieren können, aber für Sonderfälle die Problemlösungsfähigkeiten von kompetenten und erfahrenen Menschen von Nöten sind? Kann sich denn niemand mehr vorstellen, dass in einer Krisensituation ein verständnisvoller Ansprechpartner äußerst hilfreich und tröstend ist?
Oder sind wir so von der Unfehlbarkeit der Computer gestützten Organisation überzeugt und haben die Verantwortung für Problemlösungen an diese scheinbar höhere Intelligenz abgegeben? Und wenn diese höhere Intelligenz keine Lösung hat, fühlen wir Menschen uns unfähig, eine Lösung zu finden, wollen wir unsere Kompetenzen nicht überschreiten und leiten die Verantwortung und die Schuld für das Versagen ungerührt an die Technik weiter. Wir sind nicht schuld und nicht zuständig und es tut uns auch nicht leid.
Tja, die Romantik des Reisens ist verschwunden.
P.S. Ich habe mein Geld für das Hotel von British Airways zurückerstattet bekommen. Aber ich habe keine Entschädigung erhalten, denn der Grund für die Verspätung war ein Gewitter - ein natürliches Ereignis (höhere Gewalt), für das niemand verantwortlich gemacht werden kann.
(LL)
Die gleiche Gleichgültigkeit wenig später auf dem Münchener Flughafen
Ähnlich rigoros behandelte auch die Lufthansa am Münchner Flughafen ihre aufgrund von „technischen Unregelmäßigkeiten“ und „operativen Gründen“ gestrandeten Passagiere zweier Flüge am 3. auf den 4. August 2024. Die Münchener Hotels seien wegen zehntausender Fans, die wegen der Adele-Konzerte nach München gekommen waren, ausgebucht, teilte die Fluggesellschaft mit. In der Süddeutschen Zeitung wurde von Passagieren berichtet, dass die Servicedesks nach dieser Mitteilung an die Passagiere geschlossen worden seien. Das Gepäck habe man den gestrandeten Passagieren für das Wochenende im Wartestand nicht zurückgegeben. Neue Abflugzeiten seien nicht kommuniziert worden, aber - immerhin - man habe Decken an die Fluggäste verteilt.
Ein weiterer Kommentar erübrigt sich.
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