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Busgeschichten 5 – Mit dem Minibus in Myanmar. Man muss es einfach nur wissen!

  • lisaluger
  • 20. Nov. 2022
  • 6 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 10. Juni 2023

Myanmar, 2018 Wir, mein Mann und ich, befanden uns auf dem Rückweg von Taunggyi nach Nay Pyi Taw. Nach ein paar Tagen Urlaub über Ostern am Inle-See wollten wir mit dem Minibus in die Hauptstadt Myanmars zurückfahren, denn ich musste am nächsten Morgen wieder an meinem Arbeitsplatz als ehrenamtliche Mitarbeiterin im Gesundheitsministerium sein. Wenn alles gut ging, dürfte die Fahrt nicht länger als 8 Stunden dauern.

Reisen in einem fremden Land, vor allem dort, wo man die Sprache nicht versteht, ist manchmal kompliziert. Es geht vieles einfacher, wenn man bestimmte Dinge über die Sitten und Gebräuche weiß. So natürlich auch in Myanmar.



Mit dem Minibus in Myanmar unterwegs
Mit dem Minibus in Myanmar unterwegs

So muss man wissen, dass in so einem Minibus in Myanmar ca. 14 Personen wie Sardinen zusammengepfercht sitzen. Für die Füße gibt es kaum Spielraum, jedenfalls nicht genug für so langbeinige Europäer wie wir. Deshalb hatten wir unsere Plätze bewusst fünf Tage vorher gebucht, um sicherzustellen, dass wir Sitze erhielten, die einigermaßen ausreichend Platz für unsere langen Beine boten. Das war schlau von uns und wir fühlten uns den Herausforderungen der Busreise gewachsen.


Als der Bus an unserer Haltestelle ankam, waren jedoch unsere Plätze besetzt. Eine gebrechliche ältere Dame, die, im Nachhinein betrachtet, wahrscheinlich etwa um die 60 Jahre alt war, also jünger als wir, und ihr gleichaltriger Begleiter hatten unsere Plätze eingenommen. Als die Verblüffung des ersten Moments verflogen war, sahen wir uns nach Alternativen um. Man ist ja schließlich Gast in diesem Land und will nicht rechthaberisch und unverschämt auftreten! Aber die einzigen beiden Plätze, die noch übrig waren, befanden sich in der erhöhten letzten Reihe über den Reifen, wo noch weniger Platz für unsere langen Beine war. Auf keinen Fall wollten wir die 8 Stunden Fahrt mit bis zum Kinn hochgezogenen Knien verbringen. Also bestanden wir darauf, die gebuchten Plätze einnehmen zu können.


Doch obwohl wir ihr unsere Tickets zeigten, rührte sich die kleine alte Dame nicht. Sie ignorierte uns einfach. Wir mussten tatsächlich den Busfahrer herbeirufen, um zu unserem Recht zu kommen. Als dieser seine Autorität in die Waagschale warf, setzten sich die kleine alte Dame und ihr Begleiter widerwillig nach hinten.

Die anderen Fahrgästen schienen den Vorgang offensichtlich ausgiebig untereinander zu diskutieren. Wir verstanden zwar die Sprache nicht, doch bei einigen drückte der Gesichtsausdruck eher Missfallen aus. Andere schienen Sympathie für uns zu hegen oder es war ihnen egal. Wir fühlten uns aber sowieso unwohl, weil wir unser Recht mit so viel Nachdruck eingefordert hatten.


Nun muss man wieder wissen, dass so ein Missfallen nicht lange vorhält. Wenig später war das Interesse an uns und unserem schlechten Benehmen verschwunden. Wir beruhigten unser schlechtes Gewissen und so schaukelten wir einträchtig durch die Landschaft – froh unsere Beine wenigstens von Zeit zu Zeit bewegen zu können.



Fahrt durch wundervolle Landschaften in Myanmar
Fahrt durch wundervolle Landschaften in Myanmar

Während wir über gut asphaltierte Straßen fuhren und aufmerksam die vorbeiziehenden Dörfer und Landschaften betrachteten, schrie die Frau hinter uns ununterbrochen in ihr Handy. Offensichtlich gab es Anlass zu heftigem Ärger und je länger sie schimpfte und zeterte umso lauter wurde sie auch. Wir ergaben uns unserem Schicksal, ebenso wie die anderen Fahrgäste, und versuchten sie zu ignorieren. Hätten wir doch bloß unsere Ohrstöpsel mitgebracht! Sowas muss man halt wissen.


Kurz nachdem wir von der gut ausgebauten Straße auf eine Schotterpiste mit vielen Schlaglöchern abgebogen waren, brach die streitbare Dame ihre lautstarke Auseinandersetzung ab. Bevor wir uns der eingekehrten Ruhe so richtig erfreuen konnten, hörten wir verdächtige Geräusche hinter uns. Unserer zornigen Mitreisenden war übel geworden und sie musste sich übergeben.


Das war für uns nicht überraschend, denn man muss wissen, dass dies recht häufig auf Busreisen passiert. In Myanmar scheinen jedoch aus unerfindlichen Gründen mehr Passagiere als gewöhnlich an der Reisekrankheit zu leiden. Daher sind die Fahrgäste, die das wissen, auch immer gut vorbereitet und haben eine Plastiktüte für den Fall der Fälle bei sich. Andere haben andere Strategien. Die nette Dame neben mir zum Beispiel betupfte während der Fahrt von Zeit zu Zeit Nase und Stirn mit Olbas-Öl aus einer kleinen Flasche und sie überstand die Fahrt einigermaßen gut.


Ich leide zwar normalerweise nicht an der Reisekrankheit, will aber meinen Magen auf langen Strecken nicht unnötig belasten. Daher esse ich wenig und wenn, dann knabbere ich nur trockene Kekse. Mir ist schleierhaft, warum viele Leute während der Pausen in den Truckstop-Restaurants schweres fettiges Essen zu sich nehmen, das zwar gut schmeckt, aber einem ewig im Magen liegt. Fährt der Bus dann eine Strecke voller Kurven, Höhen und Tiefen, fängt der Magen leicht an zu rebellieren.

Genauso war es wohl unserer lauten Mitreisenden ergangen. Als sich ihr Magen wieder beruhigt hatte, schlief sie erschöpft ein und schnarchte lautstark vor sich hin, während die volle, oben zugeknotete Plastiktüte an ihrem Finger im Takt der Schlaglöcher baumelte, bis zum nächsten Halt.


So eine Busfahrt in Myanmar ist also durchaus eine strategische Herausforderung. Man muss nicht nur wissen, wie man Nahrung möglichst bei sich behält, sondern auch was und wieviel man zu sich nimmt. Ein paar Kekse statt üppiger Speisen ist dabei eine gute Idee.

Auch die Frage, wieviel man trinkt, ist strategisch wichtig. Die Fahrten sind lange und es gibt nur wenige Pausen, in der Regel alle 3 bis 4 Stunden für einen Toilettenbesuch und Erfrischungen. Daher ist die Balance zwischen nicht zu dehydrieren bei 50 Grad Hitze im Bus ohne Klimaanlage und seine Blase drei oder vier Stunden im Zaum zu halten eine Kunst.



Arbeiter auf einem Reisfeld nahe der Strasse
Arbeiter auf einem Reisfeld nahe der Strasse

Unser kleiner Minibus hatte durchaus eine Klimaanlage, aber, wie das oft üblich ist, ging ihr schwacher kühlender Effekt nicht über den Fahrersitz hinaus. Die Fahrgäste waren darauf angewiesen, die Fenster zu öffnen, um ein wenig Luft in den Fahrgastraum zu bekommen.

Nun muss man wiederum wissen, dass Luft nicht das einzige ist, was während der Fahrt ins Innere des Fahrzeuges gerät.


So eine Busfahrt dauert in der Regel 6 bis 10, manchmal 14 Stunden, je nach Strecke und Straßenbedingungen. Von den Fahrern wird erwartet, dass sie allein ohne Ersatzfahrer fahren, mit dem sie sich abwechseln könnten. Das ist anstrengend.

Eine junge Frau verkauft frisch gerolltes Betelquid am Busbahnhof
Eine junge Frau verkauft frisch gerolltes Betelquid am Busbahnhof

Daher greifen die meisten Fahrer in vielen südasiatischen Ländern, egal ob Bus-, LKW- oder Taxifahrer, zu einem amphetaminähnlichen Mittel, dem Betelquid. Dabei handelt es sich um eine Mischung aus Betelnüssen, Tabak, Gewürzen und einer Paste aus gelöschtem Kalk, eingewickelt in Streifen des Betelblatts. Diese Mischung wird stundenlang gekaut. Manche tun es, um wach zu bleiben, andere mögen einfach den Geschmack.

Das Betelkauen ist in Myanmar und den Nachbarländern weit verbreitet und wird vor allem von Männern und älteren Frauen genossen. Durch das Kauen füllt sich der Mund mit Speichel, was eine Unterhaltung fast unmöglich macht. Wenn der Mund zu voll ist, wird der rote Speichel in einem Schwall auf die Straße gespuckt.



In klimatisierten Bussen der ersten Klasse spucken die Fahrer und die anderen Betelnuss-Liebhaber in eine kleine Plastiktüte, die sie aus diesem Grund bei sich tragen. In Minibussen aber spuckt der Fahrer aus dem Fenster.


Und genau das muss man wissen, denn es ist anzuraten, den Fahrer genauestens zu beobachten. Wenn nämlich die Fahrgäste hinter dem Fahrer sehen, dass sich seine Wangen wie die eines Frosches aufblähen und er seinen Kopf aus dem Fenster lehnt, neigt sich die ganze Reihe hinter dem Fahrersitz automatisch zur Seite, duckt sich und hält ein Tuch vors Gesicht, um dem roten Tröpfchenniederschlag zu entgehen. Wir lernten schnell und reihten uns in diese Choreografie klaglos ein. Man muss es ja nur wissen!


Manchmal nützt Wissen jedoch nichts. Dann gilt es das Geschehen mit Gelassenheit hinzunehmen. Einmal musste ich nachts ein Motorradtaxi nehmen, um nach Hause zu kommen. Der Fahrer war sehr gesprächig, obwohl sein Mund voller Betelnuss-Speichel war. Ich saß hinter ihm auf dem Motorrad und spürte, wie mich ein Sprühregen während der ganzen Fahrt benetzte. Es gab kein Entkommen! Zu Hause sah mein Spiegelbild aus, als hätte ich einschließlich meiner Brille einen heftigen Ausbruch von Masern erlitten. Ich erinnere mich nicht wirklich gern daran. Ich hätte mich natürlich hinter dem Rücken des Fahrers verstecken können, um dem roten Sprühregen zu entgehen, aber ich musste doch im Auge behalten, ob er auch die richtige Strecke fuhr.


Auch auf dieser Busfahrt beobachtete ich die Fahrkünste des Fahrers. Ich bewunderte, wie er den Bus über die manchmal sehr engen Straßen lenkte, wo der Regen Teile der Straße weggespült hatte, vorbei an tiefen Abgründen, und wie er stundenlang eine enge Kurve nach der anderen souverän nahm. Als wir nach 4 Stunden für unsere Komfortpause anhielten, ging ich zu ihm. Er sah mich kommen und versteifte sich, vielleicht in Erwartung einer Beschwerde der fremden weißen Frau, die vorher so resolut ihren Sitz gefordert hatte. Es sah fast so aus, als wollte er sich vor mir verstecken. Doch ich beschwerte mich natürlich nicht, sondern machte ihm ein Kompliment für seine Fahrkünste und dankte ihm dafür, dass er uns so sicher gefahren hatte. Uns standen nur wenig Worte zur Verfügung, aber die Zeichensprache glich den Mangel aus. Er verstand und ein breites Lächeln entblößte die vom Betelkauen rotgefärbten Zähne.

(LL)

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