Busgeschichten 2 – Typisch Gringa!
- lisaluger
- 20. Nov. 2022
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 10. Juni 2023
– Busfahrt in der Regenzeit, Ecuador, April 1980 –
Wenn in Ecuador die Regenzeit angebrochen ist, dann regnet es wirklich stundenlang in Strömen. An so einem Regentag im April saß ich im Bus und betrachtete die Landschaft durch einen Regenschleier. Der Bus fuhr durch große Pfützen, dass das Wasser nur so spritzte. Die Welt um uns herum tropfte und triefte, aber wir saßen im Bus im Trockenen und hatten das Gefühl, dem Wetter ein Schnippchen zu schlagen. Langsam versiegte der Regen, die schweren schwarzen tief hängenden Wolken verzogen sich und die Sonne kam zum Vorschein. Ein herrliches Schauspiel aus Licht und Schatten inmitten der tropischen Natur!
Da stoppte plötzlich der Bus. Mitten im Nirgendwo! Selbstverständlich versuchten sofort alle Passagiere zu erfahren, was denn der Grund für den außerplanmäßigen Halt sei. Ein Blick aus dem Fenster und allen war klar, dass man in Schwierigkeiten war. Kurz darauf standen der Busfahrer und einige seiner Fahrgäste recht ratlos vor einem großen See, in den die Straße eintauchte und erst etwa fünfzig Meter weiter, am anderen Ufer wieder auftauchte. Das kleine Rinnsal, das man normalerweise problemlos überqueren konnte, hatte sich aufgrund der Regenzeit in einen breiten Fluss verwandelt, der nun unseren Weg kreuzte.

Der Busfahrer und einige männliche Passagiere versuchten mit Stöcken herauszufinden, wie tief das Wasser sei. Vielleicht könnte man langsam durchfahren. Aber das Wasser war hüfthoch und somit war diese Option vom Tisch. Was tun? Alle Passagiere diskutierten und argumentierten, warben für ihre Lösungsansätze und verwarfen die der anderen. Einige wollten nicht tatenlos herumstehen, weswegen sie Bretter anschleppten, deren Sinn und Zweck nicht so recht erkennbar war. Ratlos standen sie mit ihren Brettern vor den Fluten und wussten nicht ein noch aus.
Letztendlich war man sich mehr oder weniger darüber im Klaren, dass man wohl warten müsse, bis das Wasser wieder zurückgehe, wenigstens so weit, dass man es durchqueren könne. Also warteten alle auf das Sinken des Wasserspiegels. Doch das konnte in der Regenzeit Tage dauern.
Inzwischen war am gegenüber liegenden Ufer eine vollbesetzte Chiva angekommen. Das ist eine Art Bus der überwiegend für die ländliche Bevölkerung benutzt wird. Auf der Ladefläche eines LKWs sind Sitzbänke angebracht und die ländlichen Passagiere werden darauf mit ihren Waren wie Hühnern, Schweinen, Gemüse und anderen Dingen zu den Märkten in der Region transportiert. Auch diese Fahrgäste standen nun ratlos auf ihrer Seite des Flusses und waren wohl zu demselben Schluss gekommen wie wir: Abwarten!
Mir, die einzige Gringa (Ausländerin) unter den Passagieren, kam jedoch eine logistische Lösung des Problems in den Sinn. Also gesellte ich mich zur Männergruppe um unseren Busfahrer und schlug vor, dass man zwar den Bus nicht durch das Wasser bringen konnte, wohl aber die Passagiere und ihr Gepäck. Ich schlug einen Bustausch der Passagiere vor, der ja später, wenn der Fluss passierbar wäre, wieder rückgängig gemacht werden könne. Aber in der Zwischenzeit könnten doch die Fahrgäste ihr Reiseziel einigermaßen pünktlich erreichen und alles wäre gut. So mein Ansinnen!
Das Überraschungsmoment, dass eine Frau, noch dazu eine Gringa, einer Männergruppe einen Lösungsvorschlag unterbreitete, bewirkte zwar, dass ich meine Idee bis zum Ende ausführen konnte. Die Antwort auf meinen Vorschlag war jedoch schallendes Gelächter!
Die Männer konnten nur ihre Köpfe schütteln. Was dieser Gringa nun wieder einfiel! So etwas Dummes! Das geht doch nicht! Wir waren doch die Reisenden in einem Bus der ersten Klasse und das Gefährt gegenüber war doch höchstens drittklassig. Ein Tausch unmöglich! Diese Lösung sei schlicht nicht machbar, beschlossen die anwesenden selbst ernannten Experten einschließlich des Busfahrers.
Naja, ich konnte es nicht nachvollziehen, aber dennoch trottete ich zurück zu den wartenden Mitreisenden und verbrachte die nächsten drei Stunden gemeinsam mit ihnen damit, ein Auge auf den Pegelstand des Flusses zu haben. Aber da tat sich absolut nichts und es würde bald dunkel werden.
Die Busfahrer auf beiden Seiten des Flusses und ihre „Teams“ versuchten sich zu durch Gesten zu verständigen und eine machbare Lösung zu finden.
Plötzlich brach Hektik auf beiden Seiten des Flusses aus. Ein Entschluss war gefasst worden. Endlich wurden Anweisungen erteilt und Vorbereitungen getroffen! Bloß worauf sollten wir uns vorbereiten? Was genau sollten wir denn tun?
Alle Passagiere beider Seiten sollten ihr Gepäck auf den Rücken schnallen und sich auf den Weg durch den Fluss machen, um dann auf der jeweils anderen Seite in den wartenden Bus bzw. Chiva zu steigen und weiterzufahren.
Aha! Mehr konnte ich nicht denken, denn nun wurden wir angetrieben, uns zügig auf den Weg zu machen.
Also zogen wir unsere Schuhe aus und wateten durch das Wasser. Starke Männer halfen schwächeren Frauen ihre Koffer und sonstiges Gepäck durch das Wasser zu schleppen und möglichst trocken ans andere Ufer zu bringen. Und das war teilweise reichlich schwierig, denn den größeren Passagieren ging das Wasser bis zu den Hüften, aber kleinere Männer und Frauen versanken bis zur Brust in den Fluten. Ich versuchte, nicht dran zu denken, was in dem Wasser noch alles herumschwimmen mochte. Vielmehr konzentrierte ich mich darauf, nicht zu stolpern und heil ans andere Ufer zu kommen und zwar ohne dass mein Rucksack ein Bad in der warmen Schlammbrühe nahm.
Auch die Fahrgäste des Chiva machten sich auf den Weg durch den Fluss und wateten in entgegengesetzter Richtung an uns vorbei. Die mitreisenden Hühner schlugen panisch mit den Flügeln und waren kaum zu bändigen. Eine Frau verlor ihr Plastikpantoffeln und versuchte aufgeregt sie aus dem Wasser zu angeln, bis ein junger Mann sie erfolgreich herausfischen konnte.
Aber es ist niemand ausgerutscht oder kam sonst wie zu Schaden. Wir haben es alle geschafft, ohne größere Verluste ans andere Ufer zu gelangen. Nun konnten wir unser neues Gefährt besteigen und unsere Weiterreise antreten.

Für mich und mein Hinterteil war es eine neue Erfahrung, auf den Holzbrettern einer Chiva durch die Landschaft zu schaukeln. Ich hätte jedoch zu gerne gewusst wer letztlich die Entscheidung getroffen hatte, auf den Vorschlag der Gringa zurückzugreifen, über den alle vorher gelacht hatten. Keiner sprach darüber, aber ich vermute das war eine neue Erfahrung für die anwesende Männerwelt, dass diese Idee der Gringa durchaus brauchbar war. (LL)
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