top of page

Versagen der politischen Elite (6): Boris‘ Partygate – Ein Angriff auf die Demokratie.

  • lisaluger
  • 20. Nov. 2022
  • 28 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 9. Juni 2023


Downing Street and Whitehall - Sitz des Premierministers und der UK Regierung
Downing Street and Whitehall - Sitz des Premierministers und der UK Regierung

(UK) Was für ein Start in das Jahr 2022 für Boris Johnson! Kaum ein Tag vergeht ohne eine weitere Enthüllung über die Partys in der Downing Street Nr. 10 während des Lockdowns. In einer Zeit, in der es den Menschen verboten war, sich mit Personen, die nicht zu ihrem Haushalt oder ihren Betreuern gehörten, im Haus zu treffen, in der es den Menschen nur erlaubt war, sich eine Stunde lang im Freien zu bewegen und sich mit höchstens einer weiteren Person zu treffen.


Nach der letzten Zählung, Stand 14. Januar 2022, wissen wir von 16 Partys, von mehreren Weihnachtsfeiern, einschließlich eines Weihnachtsquiz unter der Leitung des Premierministers, von einigen Zusammenkünften, um das schöne Wetter im Garten der Residenz und des Büros des Premierministers, Downing Street Nr. 10, zu genießen und sich nach einem langen und harten Tag zu entspannen, und wir wissen von einigen Abschiedsfeiern für wertvolle Mitarbeiter. Die letzte und peinlichste Abschiedsfeier mit einem Trinkgelage und Tanz bis in die frühen Morgenstunden war für den Direktor für Kommunikation, James Slack, am Vorabend der Beerdigung von Prinz Philip. Am Morgen saß die Queen aufgrund der Lockdown-Bestimmungen allein im Chorgestühl von Westminster Abbey. Was für ein Kontrast!

Hier finden Sie eine vollständige Liste der Lockdown-Partys der Regierung, wie sie von der BBC am 14. Januar 2022 bekannt gegeben wurde. Quelle: Source: How many Lockdown parties were held in Downing Street? Timeline: the alleged Government gatherings. 14.1.2022. https://www.bbc.co.uk/news/uk-politics-59952395

Es gab Berichte über die Trinkkultur in Downing Street Nr. 10 und darüber, dass Mitarbeiter Alkohol aus dem nahe gelegenen Coop in Koffern hineinschmuggelten, die Flaschen gut eingewickelt, damit sie nicht klirrten, wenn sie die Sicherheitskontrolle passierten.


Die britische Bevölkerung reagierte wütend und erzürnt. Die Mitglieder des Parlaments wurden mit Briefen und E-Mails von verärgerten Wählern bombardiert, die zu dieser Zeit ihre schwerkranken oder sterbenden Angehörigen nicht sehen konnten, die wegen der Lockdownregeln in Bedrängnis geraten waren, sich aber im Interesse des Gemeinwohls daran gehalten hatten. Die Schlagzeilen in den Medien verurteilten das Verhalten der Regierungselite, die Regeln zwar aufstellt, aber denkt, sie stünde über dem Gesetz, frei nach dem Motto: „Es gibt verbindliche Regeln für das Volk. Aber für uns sind diese Regeln nur unverbindliche Optionen.“ Der Premierminister wurde beschuldigt, die Öffentlichkeit für dumm zu verkaufen.

Quelle: Downing Street Parties: How many wine bottles fit in a suitcase, and other questions. BBC. 14.1.22. https://www.bbc.co.uk/news/uk-politics-59959622

Leugnen, relativieren und dumm stellen

Peinlich waren auch die Ausreden und leeren Entschuldigungen.

Seit die ersten Berichte über Partys in der Downing Street Nr. 10 aufgetaucht sind, hat der Premierminister die Partys oder zumindest jegliche Kenntnis davon kategorisch abgestritten und darauf bestanden, dass alle Richtlinien von ihm und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie seinen Kabinettsmitgliedern zu jeder Zeit befolgt worden seien.


Als Videobeweise von einer Party auftauchten, zeigte er sich empört darüber, dass so etwas unter seiner Aufsicht geschehen sei, und verurteilte ein solches Verhalten in aller Deutlichkeit. Er beauftragte den Kabinettssekretär Simon Case mit einer Untersuchung. Simon Case trat jedoch bald von den Ermittlungen zurück, da er offenbar selbst an einer der Partys teilgenommen hatte.


Danach wurde Boris mit weiteren Anschuldigungen und Beweisen für Partys und Gerüchten über seine eigene Beteiligung konfrontiert. Als dann herauskam, dass Boris Johnson ebenfalls auf mindestens einer der Partys war, sagte er, er habe nicht gewusst, dass es sich um eine Party handelte, vielmehr habe er die Zusammenkunft für ein Arbeitstreffen mit Kollegen am Ende eines langen, harten Tages gehalten.

Als sich der Premierminister schließlich entschuldigte, klang das hohl, und niemand glaubte ihm. Er hatte nicht einmal den Anstand, sich persönlich bei der Königin für die Party am Vorabend der Beerdigung von Prinz Philip zu entschuldigen, sondern bat sein Büro, dies für ihn zu tun.


Später erklärte Boris Johnson, er habe nicht gewusst, dass die Gartenparty am 20. Mai 2020, zu der 100 Personen eingeladen worden waren, gegen die Lockdown-Regeln verstoßen habe. Niemand habe ihm das gesagt. Er bestritt kategorisch, dass er von mehreren Mitarbeitern gewarnt worden sei, dass eine Party im Garten seines Regierungssitzes gegen die Lockdown-Regeln verstoßen könnte. Das Dementi kam, nachdem sein langjähriger Sonderberater und enger Vertrauter, Dominic Cummings, eine Erklärung veröffentlicht hatte und sich bereit erklärte, unter Eid zu schwören, dass er und andere dem Premierminister gegenüber Bedenken wegen eines möglichen Verstoßes gegen die Covid-Regeln geäußert hätten und dass der Premierminister alle Warnungen ignoriert und die Party erlaubt habe. Dennoch beharrt er weiterhin darauf, dass die Gartenparty am 20. Mai 2020 ein Arbeitstreffen war und keine Regeln gebrochen wurden.

Quelle: Boris Johnson: nobody warned me No 10 party was against the rules. The Guardian, 18 January 2022. https://www.theguardian.com/politics/2022/jan/18/boris-johnson-nobody-warned-me-no-10-party-was-against-the-rules


Wie erbärmlich ist das denn?! Zuerst kennt der Premierminister seine eigenen Lockdownregeln und -vorschriften nicht, die jedem Menschen im Vereinigten Königreich bekannt sind, und als man ihn aufklärt, entschließt er sich, sie zu ignorieren! Boris Johnson scheint ein Anhänger eines komplett anderen Regierungssystems zu sein, als das der Demokratie und auch der Rechtsstaatlichkeit.

Interne Ermittlung – Bock zum Gärtner machen

Nicht nur die Opposition, sondern auch seine eigene Partei, die Konservative Partei der Torries, übt nach dieser Posse Druck auf ihn aus, zurückzutreten. Schließlich hat man Wählerstimmen zu verlieren!


Dennoch gedenkt der Premierminister die Sache auszusitzen. Boris Johnson und seine engen Verbündeten bitten alle Kritiker, den Bericht von Sue Gray, Beamtin und Zweite Staatssekretärin im Ministerium für Gleichstellung, Wohnungsbau und Kommunen, abzuwarten. Es geht vermutlich darum, Zeit zu gewinnen und die Veröffentlichung des Ermittlungsberichts irgendwie in den Griff zu bekommen. Es gibt diesbezüglich tatsächlich Hoffnung für Boris Johnson. Die Unabhängigkeit und Autorität von Sue Gray ist sehr fraglich trotz ihres an sich guten Rufes.


Sue Gray wurde mit der Aufgabe betraut, die Fakten über die mutmaßlichen Beteiligten zu ermitteln, als ihr Chef, Kabinettssekretär Simon Case, der ursprünglich mit dieser Untersuchung betraut worden war, von den Ermittlungen abgezogen werden musste. Er hatte selbst an einem Weihnachtsquiz in seinem Büro teilgenommen und war somit Beteiligter.


Sue Gray hat den Ruf, bei ihren Ermittlungen gründlich und fair zu sein. Aber was kann sie tun, wenn ihr die Hände gebunden sind? Sie hat keine wirklichen Ermittlungsbefugnisse. Sie kann Zeugen nicht zwingen, mit ihr zu sprechen, und sie hat daher nur begrenzte Möglichkeiten, den Sachverhalt zu klären. Ohne die Enthüllungen in dieser 2. Januarwoche in den Medien und durch undichte Stellen wüsste sie nicht einmal von den meisten Partys.


Andererseits dürfte die Ermittlung der Fakten nicht allzu schwierig sein, da jeder, der in Downing Street Nr. 10 ein- und ausgeht, von Sicherheitskräften kontrolliert werden muss. Es müsste also eigentlich jede An- und Abwesenheit dokumentiert sein. Warum dauert es dann so lange, bis Daten und Fakten vorliegen?


Eine weitere Frage ist, was mit dem Bericht geschehen wird. Sue Grays Aufgabe ist es, eine Bestandsaufnahme vorzunehmen. Es ist nicht ihre Aufgabe, ein Urteil zu fällen und politische sowie rechtliche Konsequenzen aus den Erkenntnissen zu ziehen. Wem übergibt Sue Gray ihre Ermittlungsergebnisse zu genau diesem Zweck? Wer bewertet also die Ergebnisse? Wer entscheidet über schuldig und nicht schuldig? Wer entscheidet, welche Informationen öffentlich gemacht werden und in welcher Form?

Truthähne stimmen über Weihnachten ab

Die Antwort, die einen logisch denkenden Menschen fassungslos macht, lautet: Simon Case und der Premierminister Boris Johnson.

Wie verrückt ist das denn? So wie Truthähne, die über ihre Beteiligung an Weihnachten abstimmen!


Der Premierminister könnte den Bericht Sue Grays als „Get out of Jail Karte” benutzen. Finde einen formalen Fehler! Zweifle Interpretationen der Ergebnisse an! Ignoriere Ergebnisse oder lege ein Veto ein! Übrigens ein häufiger praktiziertes Vorgehen des Premierministers, wie beispielsweise die Untersuchung zu Priti Patels schikanösem Verhalten gegenüber Mitarbeitern gezeigt hat.


Boris Johnson verweist all diejenigen, die Aufklärung und Konsequenzen fordern, auf die noch nicht vorliegenden Ergebnisse der Ermittlungen. Hofft er, dass der Skandal auf eine formale geringfügige Verfehlung heruntergestuft werden kann? Oder weiß er gar, dass dieser Bericht keine Bedrohung für ihn darstellen wird?

Hochrangige Beamte, Politiker und Medienvertreter befürchten zu Recht, dass die Ergebnisse der Untersuchung von denjenigen, die an den Vorgängen beteiligt waren, unter die Lupe genommen und modifiziert und umgedeutet werden könnten. Sie schlugen daher vor, dass stattdessen eine unabhängige Person, z.B. ein pensionierter Richter, die Ergebnisse von Sue Gray entgegennehmen, überprüfen und Empfehlungen für das weitere Vorgehen abgeben sollte. Andere forderten eine professionelle polizeiliche Untersuchung.

Quelle: The Guardian: No. 10 Parties inquiry should have more independence, say former civil servants. 13.01.22. https://www.theguardian.com/politics/2022/jan/13/no-10-parties-inquiry-boris-johnson-sue-gray-former-civil-servants


Diese Vorschläge zur neutralen und objektiven Bewertung von Untersuchungsergebnissen ist nicht einmal nur eine Frage des Anstandes oder des gesunden Menschenverstandes, es ist eine Frage von Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit, letztendlich von demokratischen Grundsätzen.

Wie wäre es mit einer polizeilichen Untersuchung?

Als Berichte über Partys in der Downing Street Nr. 10 auftauchten, haben besorgte Oppositionsabgeordnete die Metropolitan Police um Ermittlungen gebeten. Die Metropolitan Police lehnte eine Untersuchung der illegalen Partys mit der Begründung ab, es gäbe keine Beweise.


Die E-Mail, in der 100 Mitarbeiter zu einer „Bring your own booze“-Veranstaltung eingeladen werden, an der der Premierminister zugegebenermaßen selbst teilgenommen hat, sowie die Videoaufnahmen von Mitgliedern des Pressebüros der Downing Street Nr. 10, die diskutieren, wie sie die Party beschreiben sollen, wenn sie von den Medien gefragt werden, und der anschließende Rücktritt von Allegra Stratton, der Pressesprecherin, sind offensichtlich nicht genug Beweise für die Polizei. Die Metropolitan Police lässt verlauten, man verlasse sich auf Sue Grays Bericht, bevor man eine eigene Untersuchung einleite.


Auch als immer mehr Fälle an die Öffentlichkeit gelangten und das Good Law Project um Ermittlungen bat, verweigerte die Polizei jedwede Ermittlungsarbeit. Der Fall von Missachtung der Kontaktbeschränkungen und Lockdown-Regeln im Regierungssitz Downing Street Nr. 10 wurde geschlossen. Es sieht so aus, als ob die Polizei den Zusicherungen der Regierung, also der Beschuldigten, dass keinerlei Regeln gebrochen worden seien, einfach glaubt.


Ernsthaft? Ist das das übliche Vorgehen bei Straftaten, dass man der Versicherung des Beschuldigten, kein Gesetz gebrochen zu haben, mehr glaubt, als Indizien und Zeugen?!


In der Zwischenzeit hat die Presse eine Menge Ermittlungsarbeit für die Metropolitan Police geleistet und jeden Tag tauchen weitere Beweise auf.

Die Untätigkeit der Metropolitan Police legt den Gedanken nah, dass die Polizei ebenfalls, wie die Regierungselite, mit zweierlei Maß misst. Vor dem Gesetz sind eben nicht alle gleich! Das Good Law Project schickt sich an, rechtliche Schritte einzuleiten, um die Metropolitan Police zu zwingen, ihre Arbeit zu machen.

Es deutet jedoch einiges darauf hin, dass die Polizei hinsichtlich der Einhaltung von Corona-Maßnahmen eine gewisse Strategie verfolgt.

Polizei setzt auf Überzeugungsarbeit – Politik auf Bestrafung

Justizminister Dominic Raab sagte in einem BBC-Interview, dass die Polizei normalerweise nicht im Nachhinein Dinge untersuche, die ein Jahr zurückliegen würden.

Diese unwahre Behauptung des Justizministers hat einen wahren Kern. Natürlich untersucht die Polizei Verbrechen, die in der Vergangenheit stattgefunden haben und nicht verjährt sind, aber bei Verstößen gegen die Covid-Vorschriften ermittelte die Polizei jedoch nicht routinemäßig rückwirkend.

Was besagt nun das Gesetz über die Untersuchung von Verstößen gegen die Coronavirus-Bestimmungen?

Nach den Leitlinien des Crown Prosecution Service (der Staatsanwaltschaft) fallen Covid-Verordnungen unter die weniger schweren Arten von Straftaten, die in der Regel vor einem Magistratsgericht verhandelt werden. Die Befugnisse zur Strafzumessung sind dort begrenzter und es gibt auch Fristen für die Einleitung eines Verfahrens. Bei Verstößen gegen die Covid-Vorschriften liegt die Frist für die Einleitung eines Verfahrens jedoch innerhalb von drei Jahren nach der mutmaßlichen Straftat. Doch in der Regel erlässt die Polizei einen Bußgeldbescheid, bei dem der Zuwiderhandelnde eine Geldstrafe zahlen kann, um ein Strafverfahren zu vermeiden.

Nach dem Gesetz kann die Polizei also Verstöße gegen die Covid-Vorschriften verfolgen und hat dies auch in vielen Fällen getan, allerdings nicht rückwirkend.

Es wurden keine Ermittlungen aufgenommen und Strafverfahren eingeleitet, als einzelne politische Persönlichkeiten gegen die Covid-Vorschriften verstießen. Als beispielsweise Dominic Cummings, der damalige Sonderberater von Boris Johnson, während des ersten Lockdowns von London nach Durham reiste oder als Matt Hancock, der damalige Gesundheitsminister, gefilmt wurde, wie er in der Zeit von Covid-Vorschriften zur sozialen Distanzierung im Büro seine Assistentin küsste, war das ein Skandal, aber ohne rechtliche Konsequenzen.


Die Polizeibehörden vermieden nach eigenen Angaben generell, Verstöße gegen die Covid-Vorschriften rückwirkend zu verfolgen. Stattdessen zogen sie es vor, mit den Menschen zu sprechen und sie zu ermutigen, nicht gegen die Vorschriften zu verstoßen, und nur als letztes Mittel wurden Verfahren eingeleitet und Bußgeldbescheide ausgestellt.


Dennoch wurde bekannt, dass die Metropolitan Police in einigen Fällen von Verstößen gegen die Covid-Regeln ermittelt hat und dass vor dem Westminster Magistratsgericht seit Dezember letzten Jahres mehr als ein Dutzend Verstöße gegen die Covid-Bestimmungen strafrechtlich verfolgt wurden, darunter auch solche, bei denen Partys veranstaltet worden waren.


Während die Polizei also auf Überzeugungsarbeit setzte, forderten Politiker Denunziation und Bestrafung. Boris Johnson und seine Kabinettsminister, allen voran die Innenministerin Priti Patel, forderten die Öffentlichkeit in Fernsehinterviews dazu auf, ihre Freunde und Nachbarn bei der Polizei zu melden, wenn diese gegen die Lockdown-Regeln verstießen und sich mit mehr Freunden und Familienmitgliedern als erlaubt versammelten. Was für Heuchler!

Tatsächlich hat die Polizei Tausende von Menschen mit Bußgeldern belegt, die sich in Parks und Gärten mit Freunden und Familienangehörigen getroffen und damit gegen die Covid-Kontaktbeschränkungen verstoßen hatten. Vielleicht sollte die Polizei ihnen dieses Geld zurückzahlen?


Peter Stefanovic, der Anwalt und Filmemacher von CWU News, hat diese schockierende Heuchelei in einem brillanten Videoclip auf Twitter aufgezeigt. Siehe unten.




Nach großem öffentlichen Druck kündigte die Polizeipräsidentin der Metropolitan Police (Met), Cressida Dick, am Dienstag, den 25. Januar 2022, schließlich an, dass die Met eine strafrechtliche Untersuchung der Partys in der Downing Street Nr. 10 einleiten werde. Die Entscheidung der Met wurde von vielen begrüßt, die hoffen, dass die Partygate-Affäre bald aufgeklärt werden könnte. Sue Gray versprach ihre volle Kooperation und die Übergabe ihrer Ergebnisse an die Met.


Einige Tage später, als Sue Gray dem Premierminister ihren Bericht vorlegen wollte, wurde sie jedoch von der Met gebeten, nur eine zensierte Version des Berichts zu veröffentlichen, wichtige Abschnitte, die sich mit den schwerwiegendsten Vorwürfen befassen, zu streichen und ihre brisantesten Erkenntnisse zu schwärzen.

Warum um alles in der Welt sollte die Met Sue Gray bitten, Teile ihres unabhängigen Berichts, auf den alle warten, zu schwärzen?


Das Ersuchen der Met löste in der Öffentlichkeit Verwirrung und einen Aufschrei aus ungläubiger Wut aus. Sowohl die Oppositionsparteien als auch besorgte Tory-Politiker verurteilten das Ersuchen der Met, da dieses Ersuchen auf ein abgekartetes Spiel hindeuten könnte. Die Met verteidigte ihre Entscheidung mit dem Argument, dass die vollständige Veröffentlichung des Berichts ihre Ermittlungen behindern würde. Die Met versprach jedoch, dass der Bericht von Sue Gray nach Abschluss der polizeilichen Ermittlungen vollständig veröffentlicht werden könne.


Kritiker warnten, dass dies eine weitere Verzögerung von Wochen, wenn nicht Monaten bis zur vollständigen Veröffentlichung des Berichts bedeuten würde. Und diese Verzögerung käme Boris Johnson zugute, da er hofft, dass bis dahin alles vergessen sein würde oder sich wenigstens die Wogen in der Öffentlichkeit geglättet haben würden.


Einige Tory MPs warten derzeit auf die Veröffentlichung des Berichts von Sue Gray, um sich zu entscheiden, ob sie sich anderen Rebellen innerhalb der Konservativen Partei anschließen wollen. Dies würde bedeuten, dass die Tories beabsichtigen, Premier Johnson durch einen anderen Tory-Abgeordneten zu ersetzen. Um den Prozess in Gang zu setzen, müssen 54 von 360 Tory-Abgeordneten (15 Prozent) schriftlich ihr Misstrauen gegen Boris Johnson beim „1922-Committee“ (Komitee der Tory-Hinterbänkler) einreichen. In der folgenden Abstimmung innerhalb der Tory-Fraktion muss der Premier 50 Prozent der Stimmen für sich gewinnen, wenn er im Amt bleiben will. Die Rebellen zögern jedoch, denn sollte der Premier die nötigen Stimmen erhalten, ist er ein Jahr lang immun gegen weitere Misstrauensanträge seiner Parteikollegen.

Die unschlüssigen Tory-MPs müssen nun wohl abwarten, bis die Polizei ihre Ermittlungen abgeschlossen hat.


Diese Verzögerung verschafft Boris Johnson etwas Zeit, die Kritiker innerhalb der eigenen Partei zu bearbeiten und durch Ablenkung von diesem Thema die Basis bei der Stange zu halten. Das würde wiederum die durch den Skandal gefährdeten Wahlkreiskandidaten an seiner Seite halten.


Kein Wunder, dass sein Auftritt in der Fragestunde des Premierministers am Mittwoch im Parlament optimistisch und heiter war. Auf die Frage des Oppositionsführers versprach er, den Bericht natürlich vollständig zu veröffentlichen. Er lachte darüber, dass er zurücktreten müsse, weil ein Premierminister, gegen den die Polizei wegen krimineller Aktivitäten ermittelt, nicht in der Lage sei, das Land zu führen.

Obwohl das Ersuchen der Met erst zwei Tage später, am Freitag, veröffentlicht wurde, kann davon ausgegangen werden, dass Boris schon vorher davon wusste.

Viele Tory-Politiker äußern privat die Meinung, dass das öffentliche Vertrauen in das politische System erodiere.

Quelle: Downing Street Parties: Sue Gray won’t wait for police inquiry. https://www.bbc.co.uk/news/uk-politics-60177028


Am Samstagabend (29. Januar 2022) wurden Forderungen laut, die Met solle wegen eines Interessenkonflikts von den Ermittlungen abgezogen werden. Dame Cressida Dick, die Polizeipräsidentin der Metropolitan Police, ist die ranghöchste Polizeibeamtin des Landes. Ihre direkte Vorgesetzte ist die Innenministerin Priti Patel, die ihr Amt wiederum Boris Johnson verdankt. Priti Patel verlängerte 2021 Cressida Dicks Position als Polizeichefin um weitere zwei Jahre, trotz einer Reihe von Skandalen um Cressida Dick.

Es wird gefordert, dass eine andere Person, vielleicht ein pensionierter Polizeichef, mit der Leitung der Ermittlungen der Met beauftragt werden sollte.

Quelle: Conservatives accused of ‘levelling up’ stunt to save Boris Johnson’s job. https://www.theguardian.com/politics/2022/jan/29/conservatives-accused-of-levelling-up-stunt-to-save-boris-johnsons-job. 29. January 2022.


Was ist die Botschaft dieses Tauziehens um Ermittlungen gegen die Regierung? Offensichtlich mangelt es im Regierungssystem des Vereinigten Königreichs an objektiven unabhängigen Kontrollinstanzen. Hängt das vielleicht damit zusammen, dass britische Regierungsmitglieder ihre Sonderstellung über dem Gesetz für Gott gegeben oder ein Naturgesetz halten? Die berechtigte Frage ist, ob das Volk, das sie vertreten, das auch so sieht oder wenigstens billigend hinnimmt.

Strategien zur Rettung von Boris‘ Bacon (Speck)

Nach einer Woche des Aufruhrs (Mitte Januar 2022) mit Rücktrittsforderungen aus allen Parteien soll sich der Premierminister am Wochenende in der Downing Street Nr. 10 eingeschlossen und überlegt haben, wie er den Konflikt überleben könnte. Ablenkung ist das Mittel der Wahl aller Populisten und auch der englischen Regierungselite.

– Operation Safe Big Dog – Rette den dicken Hund

Zunächst einmal wird berichtet, dass er und die ihm nahestehenden Personen die „Operation Save Big Dog“ (Rette den dicken Hund) ins Leben gerufen haben.

Diese Strategie umfasse zwei Aspekte.

Boris Johnson zeigt sich entschlossen, die Kultur in der Downing Street Nr. 10 zu ändern. Es könne nicht angehen, dass dort ungeniert Alkohol getrunken und gefeiert werde, während im ganzen Land Restaurants und Pubs geschlossen und private Kontakte verboten seien. Damit würde er den Nagel auf den Kopf treffen. Aber ein Kulturwandel ist das ja nicht. Was ist also gemeint? Einführung eines Alkoholverbots? Aber das gibt es schon. Ein Beamter, der in der Mittagspause einkaufen geht und eine Flasche Wein fürs heimische Abendessen mit ins Büro nehmen will, bekommt Schwierigkeiten. Jeder kennt dieses Verbot, auch die feierwütige Gesellschaft in Downing Street Nr. 10, denn wieso hätte sie sonst den Alkohol in Koffern an der Security vorbei geschleust?!

Was sonst könnte Kulturwandel bedeuten? Anstand? Gesetzestreue? Ernsthaftigkeit?


Zur Diskussion stehe auch eine Überholung des Spitzenteams des Premierministers, hört man. Einige seiner Anhänger sind der Meinung, dass dies funktionieren könnte, andere sagen, so eine Maßnahme sei zu lasch und gehe nicht auf die entscheidenden Probleme ein. Was auch immer darunter verstanden wird!

Es gibt jedoch Gerüchte, die vom Sprecher Boris Johnsons vehement dementiert werden, nämlich dass der Premier einige seiner Mitarbeiter als Sündenböcke auswählen werde, die für ihn den Kopf hinhalten müssten. Man nennt das Bauernopfer!


Wer stünde in der Schusslinie?

Laut The Guardian gehört zu den am meisten gefährdeten Personen Johnsons Erster Privatsekretär Martin Reynolds. Er arbeitet seit vielen Jahren mit Johnson zusammen und hat einen großen Einfluss auf die täglichen Entscheidungen. Ihm droht die Entlassung, weil er die E-Mail verschickt hat, in der 100 Mitarbeiter zu der berüchtigten „Bring your own booze“-Party im Mai 2020 eingeladen wurden.

Ebenfalls gefährdet ist Stabschef Dan Rosenfield, der das Amt nach dem Ausscheiden von Dominic Cummings und Eddie Lister Ende 2020 übernommen hat. Ihm wird vorgeworfen, die Behauptung gebilligt zu haben, dass in Downing Street Nr. 10 keine Partys stattgefunden hätten, was sich als schwerer strategischer Fehler erwiesen habe.


Jack Doyle, der nach dem Weggang von Lee Chain und James Slack zum Direktor für Kommunikation ernannt worden war, ist gefährdet, weil die Pressestelle das Zentrum der Party-Kultur und der Trinkgelage war. Doyle hatte seinen Rücktritt angeboten, als bekannt wurde, dass er auf der Weihnachtsfeier am 18. Dezember 2020 eine Rede gehalten hatte.

Man darf gespannt sein, wer für Boris den Kopf hinhalten wird.

Quellen:

https://www.huffingtonpost.co.uk/entry/boris-johnson-operation-big-dog-red-meat-nadhim-zahawi_uk_61e51df0e4b0a864b074bdbd Minister Denies Operations ‚Big Dog‘ And ‚Red Meat‘ Are Underway To Save The PM, 17 January 2022.

-Operation Red Meat (Rotes Fleisch) – Ablenkungsmanöver

Boris Johnson sucht verzweifelt nach Ablenkungsszenarien und fordert von seinen Parteifreunden im Kabinett, sich etwas einfallen zu lassen, womit er die Hinterbänkler seiner Partei auf seiner Seite halten kann – eine Strategie, die als „Operation rotes Fleisch“ bezeichnet wird. Selbstverständlich wird dies von Regierungsseite und von Seiten der Tories abgestritten. Nicht abzustreiten ist jedoch die Tatsache, dass zunehmend Tory-Abgeordnete von ihrer frustrierten Basis gedrängt werden, sich vom Premier zu distanzieren, wenn sie wiedergewählt werden wollen.

Daher kann man alle paar Tage sehen, wie Ablenkungsmanöver inszeniert werden.

Dazu gehören beispielsweise Pläne, die BBC-Gebühren ganz zu streichen. Ein Plan, der die Zukunft der BBC ernsthaft gefährden würde, da dies ihre Haupteinnahmequelle ist. Viele Tory-Minister und Hinterbänkler, die die BBC seit langem für ihre politische Berichterstattung kritisieren, würden sich darüber sicherlich freuen. Man könnte so zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Ablenkung durch einen Medienhype und das Schließen der Reihen in der Konservativen Partei.

Die BBC genießt auf nationaler und internationaler Ebene Vertrauen und Bewunderung für die Gründlichkeit und Ehrlichkeit ihrer Nachrichten und Berichterstattung und ihr breites Programmangebot für alle Altersgruppen. Sie ist die älteste und größte nationale Rundfunkanstalt der Welt. Sie feiert in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag (18. Oktober 2022). Die BBC finanziert sich in erster Linie durch eine jährliche Fernsehgebühr, die von allen britischen Haushalten, Organisationen und Unternehmen erhoben wird, die ihre Radio-, Fernseh-, Online- und iPlayer-Dienste nutzen. Die Gebühr wird von der Regierung festgelegt und vom Parlament beschlossen. Im Jahr 2019 beliefen sich die jährlichen Einnahmen aus den Rundfunkgebühren auf fast 3,7 Mrd. £, was 76% der Gesamteinnahmen der BBC in Höhe von 4,9 Mrd. £ entspricht. (159£ im Jahr per Haushalt, das sind 13£ (15.60 Euros) im Monat).

Der Angriff der Regierung auf die BBC ist eine Bedrohung der Meinungs- und Pressefreiheit wie auch der Demokratie. Mit ihrer Absicht, die nationale öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt abzuschaffen, greift die Regierung das Prinzip einer demokratischen Gesellschaft an, nämlich den Zugang zu fairen, unabhängigen und ausgewogenen Nachrichtenmedien für alle zu gewährleisten, Medien, die informieren, aufklären und herausfordern sollen und eine gewisse Kontrollfunktion gegenüber der Regierung und dem Parlament ausüben. Es ist eine wichtige Aufgabe der Nachrichtenmedien, die Regierenden zur Rechenschaft zu ziehen. Kein Wunder, dass die BBC und andere unabhängige Medien dieser Regierung ein Dorn im Auge sind.


Wie Polly Toynbee in The Guardian (16. Januar 22) schreibt: „Großbritanniens Einfluss wurde von den Konservativen absichtlich zerstört, die gedankenlos von „Patriotismus“ sprechen, während sie alle Einrichtungen des Nationalstolzes im Ausland demolieren: Die Auslandshilfe wurde stark gekürzt, während der British Council – fast so alt wie die BBC – 20 Büros in aller Welt schließen soll. Der britische akademische Einfluss wurde durch den unnötigen Rückzug aus dem Erasmus-Programm beschädigt, und Wissenschaftler werden von der Horizon-Forschungsförderung ausgeschlossen. Jetzt ist die BBC tödlich bedroht.“

Quelle: The BBC must defend itself with all its might against this mortal threat. The Guardian 16 January 2022. https://www.theguardian.com/commentisfree/2022/jan/16/bbc-culture-secretary-funding-licence-fee


Kulturministerin Nadine Dorries drohte am Sonntag mit der endgültigen Abschaffung der Rundfunkgebühren (TV Licence), schwächte ihre Haltung aber einen Tag später ab. Sie kündigte an, die BBC-Gebühren bis 2024 einzufrieren und dann schrittweise entsprechend der Inflation anzuheben. Sie begründete das Einfrieren damit, dass dies notwendig sei, um den armen Menschen zu helfen, die sich die Rundfunkgebühren nicht leisten könnten und denen eine Gefängnisstrafe drohe, wenn sie nicht zahlten.

Dieser Beschluss ist weniger radikal als erwartet, auch wenn die BBC durch das vorübergehende Einfrieren bis 2027 eine Finanzierungslücke von 285 Millionen £ zu verzeichnen hat.


Die BBC mag wirtschaftlich geschädigt sein, ist aber vorerst sicher. Es scheint, dass entweder die Regierung erkannt hat, dass sie mit dem Versuch, die BBC zu zerstören, einen großen Fehler begeht, oder dass die Drohung ein Ablenkungsmanöver von Boris Johnsons aktuellen Problemen darstellt.


Auch die Ankündigung von Lockerungen der Pandemie-Maßnahmen eignet sich hervorragend als Ablenkung und als Wählergeschenk der Tories für ihre Wahlkreise.

Als überraschende Maßnahme kündigte der angeschlagene Boris Johnson am Mittwoch (19. Januar 2022) an, er werde die Plan-B-Maßnahmen fallen lassen, da das Land mit dem Virus leben müsse.


Damit würden die Covid-Vorschriften, darunter die Pflicht zum Tragen von Gesichtsmasken, in England aufgehoben. Plan-A-Maßnahmen (wie die Empfehlung, weiterhin Gesichtsmasken zu tragen, wenn man sich in Innenräumen zusammen mit vielen Menschen aufhält, und die Verpflichtung für Reisende, sich zwei Tage nach der Einreise ins Vereinigte Königreich einem Test zu unterziehen) bleiben vorerst in Kraft. Boris Johnson versprach jedoch, dass bald weitere Lockerungen der Reisebestimmungen bekannt gegeben würden.


Die Tory-Abgeordneten, die sich gegen die Einreisebeschränkungen ausgesprochen hatten, zeigten sich erfreut, und diese Ankündigung ist durchaus geeignet, den Premierminister zu mehr Unterstützung zu verhelfen.

Wirtschaftsbosse begrüßten jedenfalls die Nachricht vom Ende des „Plan B“ als wirtschaftlichen Impuls. Doch einige Wissenschaftler und Praktiker meinten, es sei zu früh und zu viel Befreiung von Schutzmaßnahmen. Die Vorstandsvorsitzende des Royal College of Nursing, Pat Cullen, sah den Grund und den Zeitpunkt der Änderungen in der politischen Krise des Premierministers und warnte, das Land könne sich nicht allein auf Impfstoffe verlassen. Der Druck auf das Gesundheitssystem sei ungebrochen. Dr. Susan Hopkins, die leitende medizinische Beraterin der britischen Gesundheitsbehörde, riet den Menschen, in Zügen, U-Bahnen, Bussen und in belebten Innenräumen weiterhin Masken zu tragen und sich regelmäßig zu testen. Der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan erklärte, dass das Tragen von Masken in den öffentlichen Verkehrsmitteln der Hauptstadt trotz der Abschaffung des Gesetzes weiterhin vorgeschrieben sein werde.


Und was soll man sagen? Illegale Migranten sind doch ein Ablenkungsmanöver, das immer funktioniert!

Diesbezüglich sind Maßnahmen in Vorbereitung, die durchaus Diskussionspotential aufweisen.

Eine Politik zur Bekämpfung der illegalen Überquerung des Ärmelkanals durch Migranten, die die Regierung seit langem versprochen hat, könnte in Kürze in Angriff genommen werden, wird gemunkelt. Innenministerin Priti Patel werde demnächst ankündigen, dass die Marine eingesetzt werden solle, um Boote von illegalen Migranten abzuwehren. Kritiker unter den Verteidigungsexperten geben zu bedenken, dass dies eine Ablenkung von eigentlichen Problemen darstellen würde, wenn man Streitkräfte auf diese Weise einsetze, anstatt sich auf die Bedrohungen durch Russland und China zu konzentrieren.


Aber als Ablenkung vom Versagen des Premiers scheint nun Mal für die britische Bevölkerung der Umgang mit Flüchtlingen besser geeignet zu sein, als die Spannungen zwischen Europa bzw. dem Vereinigten Königreich und Russland sowie China. Die Außenpolitik wird womöglich dem politischen Wohlergehen des Premiers und der Konservativen Partei untergeordnet.


Auch eine Reihe von längst fälligen sozialen Maßnahmen und Steuergesetzen könnten dazu benutzt werden, um dem Premier und seiner Partei Stimmen zu sichern und seine Verfehlungen der Vergessenheit zuzuführen.

Die lang erwartete Nivellierungspolitik zur Verbesserung der benachteiligten Städte und Gebiete steht kurz bevor. Diese Politik wird von den Tory-Abgeordneten dringend erwartet, insbesondere von denjenigen, die ihren Sitz bei den letzten Wahlen 2019 gewonnen haben, als frustrierte Labour-Anhänger für die Tories stimmten, weil man ihnen große Verbesserungen ihrer Lebensverhältnisse versprach. Aber wenn Boris Johnson und Michael Gove, Minister für die Anhebung des Niveaus, nicht baldmöglichst mit einer klaren Strategie aufwarten, würden diese Wahlversprechen vom Wähler als hohl und leer den aktuellen Verfehlungen zugerechnet werden.


Unter Zeitdruck gab Michael Goves Ministerium für Gleichstellung, Wohnungsbau und Kommunen nun Ende Januar eine Presseerklärung heraus, in der es hieß, dass 20 Städte und Gemeinden der ursprünglichen „Red Wall“-Wahlkreise (Ex-Labour-Wahlkreise) im Norden des Landes von einem angeblich neuen 1,5-Milliarden £-Fond profitieren würden. Damit sollte gezeigt werden, dass die Regierung ihr Wahlversprechen der Nivellierung von benachteiligten Regionen erfüllen würde.

Diese Ankündigung ging jedoch gründlich nach hinten los. Goves Ministerium musste einen Rückzieher machen und zugeben, dass es sich bei dem neuen Fond gar nicht um neue Mittel, sondern um bereits im Herbst 2021 genehmigte Haushaltsmittel handelt. Die Erklärung wurde folglich von Oppositionspolitikern in der Luft zerrissen. Sie wurde als Schachzug entlarvt, wie weit Johnson und seine Minister zu gehen bereit seien, um die Tory-Abgeordneten der „Red Wall“-Wahlkreise dazu zu bringen, zum Premierminister zu halten.


Diese überstürzte Ankündigung offenbart auch eine andere wichtige Sache: Die Regierung meint es nicht im Entferntesten ernst mit der Angleichung und Verringerung der Ungleichheit in diesem Land.


Äußerst schwierig gestaltet sich die Reformierung und Sanierung des Gesundheitssystems. Durch Covid hat sich der Rückstau im NHS, d. h. die Verlängerung von Wartezeiten für Untersuchungen und Operationen, verschlimmert. Die Beseitigung des Rückstaus im NHS wird seit langem versprochen und ist dringend notwendig. Die geplante Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge soll Maßnahmen zum Abbau des Rückstaus finanzieren, aber laut Expertenmeinung wird dies nicht reichen. Vermutlich werden Tory-Abgeordnete vor der Wahl nicht bereit sein, weitere Steuererhöhungen oder Abgaben zu akzeptieren. Vermutlich wird dieses Thema daher keine Priorität in nächster Zeit haben.


Wohingegen das Thema Bekämpfung der Inflation durchaus positive Auswirkungen auf die Zustimmungswerte der Tories und Boris Johnsons haben könnte. Die Lebenshaltungskosten sind im letzten Jahr durch die Inflation, den Anstieg der Energiekosten und die wirtschaftlichen Folgen von Covid und Brexit usw. gestiegen, was Familien mit geringem Einkommen besonders hart trifft. Boris Johnson könnte über eine Abschaffung der Mehrwertsteuer nachdenken. Das würde eine gewisse Entlastung darstellen. Es wird erwartet, dass Finanzminister Rishi Sunak bald einen derartigen Gesetzesentwurf ankündigen wird. Das könnte eine Art „Raus aus dem Gefängnis“ Karte für Boris Johnson sein – solange Kanzler Rishi Sunak nicht die Lorbeeren dafür erntet.

Quelle: Operation Red Meat: The Policy announcements to help save Boris Johnson and if they will work. https://inews.co.uk/news/politics/operation-red-meat-explained-boris-johnson-policy-announcements-1405473 17 January 2022.


Wie panisch und planlos mit existenziellen Maßnahmen jongliert wird, zeigen fast irrwitzige Vorschläge aus den Reihen der Regierung.

Ein ranghoher Abgeordneter riet zu einer Kabinettsumbildung, um illoyale Minister aus dem Kabinett zu entfernen, und er schlug vor, die Erhöhung der Lebenshaltungskosten durch einen Verzicht auf die ab April 2022 geplante Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge aufzufangen.

Der Verzicht auf die geplante Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge mag zwar einige Tory-Abgeordnete erfreuen, ist aber kontraproduktiv hinsichtlich der Notwendigkeit, den Ausgleich des eklatanten Arbeitsrückstands innerhalb des NHS zu finanzieren. Wo liegen wohl die Prioritäten dieser Regierung?

Ist die Party für Boris bald vorbei?

„Vor zwei Jahren war der britische Premierminister Boris Johnson an der Spitze der politischen Welt. Heute sieht er wie ein toter Mann aus.“ So kommentierte die Washington Post am 13. Januar 2022 die jüngsten Skandale um den Premier. Die Post warnte, wenn die Konservative Partei nicht aufpasse, könne sie bald ebenso abtreten. „

In der Tat sind Mitglieder der Konservativen Partei besorgt über die Auswirkungen, die der Party-Gate-Skandal auf die Partei haben könnte, und darüber, ob sie in der Lage wären, ihre Sitze im Parlament zu behalten. „Führen Sie oder treten Sie beiseite!“, forderte eine wachsende Gruppe konservativer Abgeordneter.

– Loyale Gefolgschaft

Merkwürdigerweise halten die meisten seiner Kabinettsmitglieder immer noch zu ihm und verteidigen ihn.

So auch sein treuer Unterstützer Jacob Rees-Mogg – in seiner gewohnt herablassenden Art. Als Douglas Ross, der Vorsitzende der schottischen Konservativen und potenzieller Anführer einer Rebellion der Tory-Abgeordneten, Boris Johnson kritisierte, machte Rees-Mogg aus seiner Verachtung für seinen Parteikollegen kaum einen Hehl. In einem Fernsehinterview in der Sendung Newsnight erklärte er abfällig, Douglas Ross sei schon immer ein unbedeutendes Leichtgewicht gewesen, das immer in Opposition zum Premierminister gestanden habe. Dass Ross die volle Unterstützung der schottischen Tory-Partei hinter sich hat und für die Regierung potenziell gefährlich sein kann, ignoriert ein Rees-Mogg aus Gründen der Überheblichkeit oder des Realitätsverlustes.


Auch andere Kabinettsmitglieder loben Boris Johnson, verweisen auf die Erfolge unter seiner Führung und fordern die Abgeordneten auf, den Premierminister zu unterstützen.

Zu ihnen gehört Nadine Dorries, die Kulturministerin. Sie ist vielleicht die größte Befürworterin im Kabinett und in der ganzen Partei. Allerdings wurde sie kürzlich brüsk aus einer Lockdown kritischen WhatsApp-Gruppe der Tories ausgeschlossen, weil sie dort versucht hatte, für Johnson zu mobilisieren.

Priti Patel, die Innenministerin, verdankt ihren Posten und die Tatsache, dass sie ihn immer noch innehat, Boris Johnson. Er wies Mobbingvorwürfe von Patels Mitarbeitern zurück und rettete sie so vor Negativschlagzeilen, Untersuchungen und Entlassung.


Nadhim Zahawi, Bildungsminister, ein langjähriger Verbündeter des Premierministers, lässt alle wissen, dass Boris Johnsons Job sicher sei und was für ein erfolgreicher Premierminister er sei. Worin genau diese Erfolge bestünden und ob sie auch auf Boris Johnson zurückzuführen seien, legt er nicht so schlüssig dar.

Boris Johnsons sogenannte Erfolge fanden statt, als Dominic Cummings seine Aktivitäten leitete. Nachdem er seinen Chefberater verloren hatte, stolperte er von einer Fehleinschätzung zur nächsten.


Außerdem sind seine Erfolge zweifelhaft: Jeder Tory-Chef hätte die letzten Wahlen gegen eine gespaltene Labour-Partei gewonnen und die Anerkennung für die erfolgreiche Impfkampagne gebührt vor allem den Wissenschaftlern und dem NHS.

Unter Johnsons Führung ist Großbritannien als internationale Macht geschrumpft, was eine Folge des Brexit ist, der die Beziehungen zu den Verbündeten und den wichtigsten Handelspartnern in Europa schwächte. Aber das ist ein anderes Thema.

– Intrigen, Verrat und Wettlauf um Regierungspositionen

Neben den nutznießenden „Cheerleadern“ bei den Konservativen gehen aber auch einige auf Distanz zum Premierminister. Ein Teil erhofft sich eine Chance auf Aufstieg unter einem Nachfolger bzw. einer Nachfolgerin.

Als potenzielle Gegenkandidaten zu Boris Johnsen werden Rishi Sunak und Liz Truss gehandelt. Noch unterstützen ihn beide halbherzig, haben aber bereits begonnen, sich für einen wahrscheinlichen Kampf um die Führung zu positionieren und werben um die Zustimmung der Tory-Hinterbänkler.


Ein anderes Motiv für die Demontage des Premierministers Boris Johnson könnte Rache sein. Nachdem Boris Johnson seinen langjährigen Freund und Wegbegleiter Dominic Cummings fallen gelassen hatte, sann dieser offensichtlich auf Rache.

Cummings und seine Freunde von Vote Leave hatten Boris Johnson in der Brexit-Kampagne unterstützt und ihm geholfen, die Wahlen 2019 zu gewinnen. Als Boris Johnson an die Macht gekommen war, schloss sich ihm Dominic Cummings als Sonderberater an und sein Kollege Lee Cain wurde Direktor für Kommunikation. Unter dem Druck der Covid-Krise kam es zu großen Spannungen und heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Vote Leave-Fraktion und der Ehefrau des Premierministers, Carrie, und ihren Freunden. Man stritt über die Richtung, die die Regierung einschlagen sollte. Boris kappte seine Verbindungen zu Vote Leave und sowohl Dominic Cummings als auch Lee Cain verließen Mitte November 2020 Downing Street. Man könnte sich fast in die Zeit Heinrichs VIII., Ann Boleyns und Master Cromwells versetzt fühlen.


Es ist immer gefährlich sich einen Freund mit intimen Kenntnissen zum Feind zu machen. Cummings Enthüllungen vor dem Sonderausschuss des Unterhauses am 19. Mai 2021 über Boris‘ Inkompetenz haben viele schockiert. Aber Boris Johnsons Position hat dies alles nicht geschadet. Nach dem Motto, dass steter Tropfen den Stein höhle, füttert Cummings weiterhin die Medien mit negativen Informationen über seinen ehemaligen Chef Boris Johnson.

Aber nichts, nicht einmal ein entfesselter Boris Johnson, kann so schädlich und entlarvend sein, wie das, was sich die Konservative Partei gerade selbst antut. In ihrer grenzenlosen Angst vor Stimmen- und Machtverlust überschreiten sie rote Linien.

Ein letztes Aufbäumen der untergehenden Boris Johnson Anhänger

Das derzeitige Szenario hat aus der Sicht der Tories etwas Apokalyptisches. Tory-Abgeordnete berichten von wütenden E-Mails und Anrufen ihrer Wähler. Sie würden regelrecht damit überschwemmt. Konservative Verbände im ganzen Land berichten von frustrierten Mitgliedern und Parteiaustritten aus Protest gegen Boris Johnson und die unverbrüchliche Treue der Konservativen zu ihm.

„Er ist ein Feigling“. …“ Es ist die Tatsache dass er gelogen hat. Wenn er gesagt hätte, ich habe es getan, es tut mir leid, dann wäre es in Ordnung gewesen. Aber er hat gelogen. Er hat das Vertrauen aller verloren.“ (Stimmen von Tory-Wählern)

Quelle: https://www.theguardian.com/politics/2022/jan/17/grassroots-tories-want-boris-johnson-to-quit


Mit Recht fürchten viele Tory-Abgeordnete, dass sie die anstehenden Kommunalwahlen im Mai 2022 verlieren werden, wenn Boris Johnson nicht zurücktritt. Ein Abgeordneter sagte: Das Traurige ist, dass gute Abgeordnete und Menschen, die hart für ihre Wähler vor Ort arbeiten, bei den Kommunalwahlen im Mai den Preis dafür (gemeint ist das untragbare Verhalten Boris Johnsons) zahlen müssen.

"In the name of God, go!"

Diese ablehnende Haltung vieler Parteimitglieder der Konservativen spitzte sich für alle sichtbar in der Fragestunde des Premierministers im Parlament am Mittwoch, den 19. Januar 2022, zu. An diesem dramatischen Tag sah sich Boris Johnson mit dem Übertritt eines Tory-Abgeordneten zur Labour-Partei konfrontiert, der vor laufenden Kameras zu den Bänken der Labour-Partei überlief. An diesem Tag forderte einer der ranghöchsten Tory-Abgeordneten und Ex-Minister, David Davies, Boris Johnson auf zurückzutreten („In the name of God, go!“).


Gerüchten zufolge haben im Januar 2022 etwa 30 Tory-Abgeordnete erklärt, ein Misstrauensvotum gegen den Premierminister zu unterstützen. Es wird erwartet, dass nach Sue Grays Untersuchungsergebnis noch weitere Parteikollegen dem Premier ihr Vertrauen entziehen. Die Entscheidung vieler Tory-Kollegen über ein Stützen oder Stürzen von Boris Johnson hängt davon ab, ob sie glauben, dass er ihnen Stimmenverluste oder Stimmengewinne bei den Kommunalwahlen 2022 bringen wird.


Und hier setzt auch die Regierung an. Das Vorgehen gegen die Rebellen unter den Konservativen ist perfide.

Tory-Abgeordnete berichten, dass einigen von ihnen mit Mittelkürzungen gedroht worden sei. Auch die geplante Neuordnung der parlamentarische Bezirke im nächsten Jahr bei der vermutlich eine Reihe von Wahlbezirken aufgelöst werden, sei als Disziplinarmaßnahme zur Niederschlagung der Rebellen genutzt worden. Minister hätten sie unter Druck gesetzt und eingeschüchtert, damit sie ihre Verschwörung gegen Boris Johnson aufgeben. Ein ranghoher Tory-Abgeordneter, William Wraggs (Vorsitzender eines Unterhausausschusses), beschuldigt die Regierung der Erpressung. Man habe den Rebellen damit gedroht, Regierungsinvestitionen in ihren Wahlkreisen zu streichen.


Abgeordnete berichten, dass Minister, Berater und Mitarbeiter von Downing Street Nr.10 die Presse oder die sozialen Medien ermutigt hätten, peinliche Geschichten über diejenigen zu veröffentlichen, die verdächtigt werden, dem Premierminister das Vertrauen zu entziehen. Wakeford, der von der Tory-Partei zur Labour-Partei übergelaufen ist, sagt, er sei bedroht und zur Unterstützung der Regierung gezwungen worden. Man teilte ihm mit, er werde (andernfalls) die Mittel für die versprochene Schule in seinem Wahlkreis nicht erhalten. In der Zwischenzeit haben sich weitere Abgeordnete gemeldet, die die Regierung beschuldigen, Druck auf sie auszuüben, indem sie damit drohen, ihnen die Mittel für ihre Wahlkreise zu entziehen.


Die Vorstellung, dass einigen Gegenden des Landes versprochene Mittel für Schulen, Straßen und andere Projekte vorenthalten werden, weil ihre Abgeordneten nicht bereit sind, dem versagenden Premierminister zur Seite zu stehen, ist für Demokraten unerträglich.


Der Vorsitzende der LibDem, Sir Ed Davey, warf Boris Johnson vor, sich eher wie ein Mafiaboss als wie ein Premierminister zu verhalten. Die stellvertretende Vorsitzende der Labour-Partei, Angela Raynor, forderte eine gründliche Untersuchung.

Die Regierung wies jedoch jedes Fehlverhalten zurück. Boris Johnson sagte, er sehe keine Beweise für Erpressung. Er weigerte sich, die Anschuldigungen der Tory-Abgeordneten zu untersuchen, solange diese keine Beweise für ihre Behauptungen vorlegen würden. Dies könnte sich als schwierig erweisen, da die Einpeitscher der Partei wissen, wie sie Druck auf Abgeordnete ausüben können, ohne Spuren zu hinterlassen.


Die Aufgabe eines Einpeitschers ist es, die Abgeordneten auf Linie zu bringen, um sicherzustellen, dass sie so abstimmen, wie es die Parteiführung wünscht. Der Name „Einpeitscher“ stammt vermutlich von einem alten Jagdbegriff, bei dem die Einpeitscher die Aufgabe hatten, die Hundemeute unter Kontrolle zu halten. Die Einpeitscher sind dafür bekannt, dass sie mit Einschüchterung und Versprechen auf Beförderung dafür sorgen, dass potenziell abweichende Abgeordnete auf Linie gebracht werden.


Diesmal könnten die Einpeitscher über das Ziel hinausgeschossen sein, denn die Vorwürfe der Erpressung und der Drohung, Mittel für ihre Wahlkreise zurückzuhalten oder lange versprochene Projekte zu streichen, grenzen an kriminelles Verhalten und Betrug. Damit wurde eine rote Linie überschritten.

Und dieses Mal werden sie vielleicht nicht ungestraft davonkommen. Die bedrängten Abgeordneten planen, ein heimlich aufgezeichnetes Gespräch mit dem Chief Whip, Mark Spencer, und Nachrichten zu veröffentlichen, um ihre Behauptung über Einschüchterungen zu untermauern.

Boris Johnson: I have seen no evidence of blackmailing. BBC 20.1.22. https://www.bbc.co.uk/news/uk-politics-60068612


Was, wenn der ganze Partygate-Skandal ein Ablenkungsmanöver von etwas viel Schlimmerem ist?

Ja, die Partys in der Downing Street Nr. 10 sind unverschämt und der Premierminister und seine Kollegen lachen uns allen ins Gesicht. Aber was ist, wenn dieser Party-Gate-Skandal nur ein Ablenkungsmanöver von viel schwerwiegenderen Vorhaben ist?

George Monbiot von @DoubleDownNews warnte, dass die Regierung uns in großem Stil unsere Freiheiten nimmt, ohne dass wir es merken. Hier ist ein Link zu seinem Podcast auf Twitter.




Er erinnerte uns daran, dass derzeit ein Gesetzentwurf im Parlament seine letzte Phase durchläuft, das Polizeigesetz. Dieses Gesetz bedroht unsere Demokratie. Es enthält Maßnahmen, die jegliche Art von Protest im Land unterbinden und verbieten. Dazu gehören das Verbot aller Formen gewaltfreier Proteste, die im Laufe der Geschichte überall auf der Welt angewandt wurden, neue Befugnisse für die Polizei zum Stoppen und Durchsuchen von Personen sowie die Befugnis, bestimmten Personen die Teilnahme an einer Demonstration zu untersagen, auch wenn sie keine Straftat begangen haben. Wenn dieses Gesetz verabschiedet wird, werden uns unsere grundlegenden demokratischen Rechte genommen.


Daher ist es ausgesprochen beunruhigend, dass dieser Gesetzentwurf in aller Stille ins Parlament eingebracht werden konnte und es in den Medien kaum zu Diskussionen kam. Die Stimmen der Opposition verhallten ungehört und mit ihrer großen 80-Stimmen-Mehrheit im Parlament war es ein Leichtes für die Regierung diese Gesetzesvorlage durchzudrücken. Glücklicherweise bewiesen die Mitglieder im Oberhaus, das Gesetzesentwürfe bestätigen muss, mehr Demokratie-Verständnis und sandten den Gesetzentwurf mit Änderungsvorschlägen zurück an das Unterhaus zur weiteren Diskussion und Abstimmung. Dadurch wird etwas Zeit gewonnen werden.


Während also alle, Medien, Volksvertreter und das ganze Volk, gebannt und wie paralysiert auf das dreiste Fehlverhalten der Regierung starren, werden, von der Öffentlichkeit unbeachtet, Menschen- und Bürgerrechte beschnitten.

Auch die Nationalitäts- und Grenzschutzgesetzgebung ist ein weiterer repressiver Rechtsakt. Mit diesem neuen Gesetzentwurf will die britische Regierung das Asyl- und Einwanderungssystem überarbeiten, angeblich um es gerechter und effizienter zu gestalten. In Wahrheit erhält der Innenminister neue Befugnisse, um Flüchtlinge und Asylbewerber, die im Vereinigten Königreich Zuflucht suchen, abzuweisen und unerwünschte Personen auszuweisen. Es ist sogar vorgesehen, britischen Staatsbürgern die Staatsbürgerschaft zu entziehen und sie staatenlos zu machen, ohne sie vorher zu informieren.


Oppositionspolitiker und viele nationale und internationale Organisationen wie UNHCR (die UN Flüchtlingsorganisation) und Ärzte ohne Grenzen (MSF) haben ernsthafte Bedenken geäußert. Sie sind der Ansicht, dass die im Gesetzentwurf vorgesehenen Maßnahmen eklatante Mängel aufweisen und wahrscheinlich schwerwiegende Folgen für Menschen haben werden, die vor Verfolgung und Gewalt fliehen. Der Gesetzentwurf verstößt gegen die Flüchtlingskonvention von 1951, das Abkommen, das Flüchtlinge seit Jahrzehnten schützt und das auch vom Vereinigten Königreich unterzeichnet wurde, sowie gegen andere rechtliche Verpflichtungen des Vereinigten Königreichs und untergräbt das internationale Ansehen des Landes drastisch. Mit diesem Gesetzentwurf versucht die Innenministerin Schutz suchende Menschen zu kriminalisieren, zu inhaftieren und zurückzudrängen, darunter auch Kinder und Überlebende von Folter und sexueller Gewalt. Dies würde das Vereinigte Königreich zu einem der flüchtlingsfeindlichsten Länder der Welt machen. Anstatt den Schutz für Verfolgte zu verbessern, sollen Flüchtlinge mit allen Mitteln von der Einreise nach Großbritannien abgehalten werden.


Priti Patel, die Innenministerin, hat bereits 18 weitere Maßnahmen dieser Art im Rahmen des Polizeigesetzes in Aussicht gestellt.


Das sind beunruhigende, erschreckende Nachrichten. Eigentlich müsste ein Aufschrei durch die Medien und durch die Gesellschaft gehen. Aber nichts dergleichen passiert. Wenn alle auf einen Punkt starren, dann schau dich um! So lautet eine weise Regel. Ablenkung ist das A und O für Zauberer, Diebe und für Politiker.


Wir täten daher gut daran, wachsam zu sein, um unsere Demokratie zu schützen und aufzupassen, dass wir uns nicht von Parteien, Skandalen und den albernen Clownseinlagen des Premierministers sowie von seinem unverschämten und irritierenden Verhalten ablenken lassen, während die drakonischsten Gesetze durchgesetzt werden.

Einschätzung der Figur Boris Johnson als Vertreter eines Systems

Ob er nun stürzen wird oder nicht, jetzt oder später, Boris Johnson ist als Politiker und Premierminister schwer verwundet. Die Analyse von Patrick Cockburn in den i-news (22.1.2022), der sich mit Johnsons Platz in der Geschichte beschäftigt, bringt es auf den Punkt: „Aber ein verwundeter Populist ist eine gefährliche Sache, wie Donald Trump gezeigt hat, als er seine Anhänger zum Kampf aufrief, um sie hinter sich zu scharen. Johnson reagiert in ähnlicher Weise, indem er der BBC, einer der wenigen verbliebenen britischen Institutionen mit wahrem Ansehen in der Welt, mit der Streichung von Geldern droht und die Royal Navy schickt, um Flüchtlinge an der Überquerung des Ärmelkanals zu hindern. Der Egoismus und die Verantwortungslosigkeit, die Johnson an den Tag legt, sind atemberaubend, und es wird wahrscheinlich noch schlimmer werden. Er hat vielleicht nicht den Niedergang Großbritanniens eingeleitet, aber er hat ihn sicherlich beschleunigt.“

Quelle: Patrick Cockburn’s Dispatches. What will be Johnson’s place in British history? Expert analyses on world news. I-news, 22.01.2022.


Okay, das mag ja stimmen. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass es nicht das Verhalten und die Einstellung einer einzelnen Person wie Boris ist, die einem demokratisch geprägten Land nicht gerecht wird. Es ist das elitäre System, das er vertritt und aufrechterhält. Boris könnte bald durch einen anderen elitären Premierminister ersetzt werden und die Show würde weitergehen. Solange dieses System aufrechterhalten bleibt, wird es eine Regel für die Elite und eine völlig andere Regel für das Volk geben. Es wird keine Rechenschaftspflicht und keine redliche Führung geben, die im Interesse der Bevölkerung arbeitet. (LL)


 

Update am 4. Februar 2022:

Nachdem ich diesen Artikel geschrieben hatte (31. Januar 2022), folgte eine turbulente Woche, die für den Premierminister, Downing Street und das Parlament noch mehr Chaos brachte. Ich werde daher noch einige wichtige Punkte aufgreifen.


  1. Am Montag enthüllte der abgeschwächte Bericht von Sue Gray immerhin, dass die Met nicht weniger als 12 Parteiveranstaltungen untersucht, darunter eine in der Wohnung des Premierministers in der Downing Street. Gray machte auch Führungsschwächen und mangelndes Urteilsvermögen für den Skandal und den übermäßigen Alkoholkonsum in den Büros in der Downing Street verantwortlich.

  2. In seiner Erklärung vor dem Parlament akzeptierte Boris Johnson die Ergebnisse und versprach, die Strukturen in der Downing Street umzugestalten. Er sah sich jedoch Kritik von seiner eigenen Seite und der Opposition ausgesetzt. Ein angeschlagener Johnson griff den Oppositionsführer Keir Starmer zu Unrecht an. Er benutzte eine unwahre Verschwörungstheorie von einer rechtsextremen Website, um ihn zu verleumden. Er beschuldigte Keir Starmer, in seiner früheren Funktion als Leiter der Staatsanwaltschaft versagt zu haben, als es darum ging, Jimmy Saville, den schlimmsten Kinderschänder der Geschichte, zu verfolgen.

  3. Diese falsche Behauptung hatte einen schweren Rückschlag zur Folge. Der Premierminister sah sich einem Proteststurm ausgesetzt, dem auch seine eigenen Abgeordneten und die Anwälte der Opfer von Savilles Missbrauch angehörten. Die Saville-Verleumdung beherrschte die politische Debatte, und seine Kabinettsminister sahen sich gezwungen, Johnson zu verteidigen.

  4. Am Donnerstag, innerhalb von 24 Stunden, verlor Boris Johnson fünf seiner wichtigsten Mitarbeiter in der Downing Street. Zunächst trat seine langjährige politische Beraterin Munira Mirza zurück und begründete ihren Rücktritt damit, dass Johnson die unwahren Behauptungen über den Fall des Kindesmissbrauchs benutzt habe, um auf diese Weise politisch zu punkten. Weitere Rücktritte in der Downing Street folgten. Einige (Doyle, Rosenfield und Reynolds) im gegenseitigen Einvernehmen, andere (Elena Narozanski, politische Beraterin der No 10 Policy Unit) hielten es nicht mehr aus.

Quelle: https://www.huffingtonpost.co.uk/entry/exclusive-boris-johnson-emails-tory-mps-promising-to-listen_uk_61fd43e6e4b09170e9d01acf, 4. February 2022.

https://www.bbc.co.uk/news/uk-politics-60254837. What do key resignations mean for the PM? Was bedeuten die wichtigsten Rücktritte für den Premierminister? 4. Februar 2022.



Und so geht die Geschichte weiter. Aber Johnson will nicht gehen, sondern kämpft weiter. Damit fügt er unserer Demokratie immer mehr Schaden zu. Die Menschen werden einfach das Vertrauen verlieren, nicht nur in die Tory-Politiker, sondern auch in die Demokratie und unser politisches System. LL


 

Weitere Analysen zu diesem Thema: In anderen Beiträgen befasse ich mich mit weiteren Phänomenen, die im Zuge der Krise zutage traten.


Comments


20200429_074336.jpg

Wollen Sie über neue Beiträge informiert werden?

Dann tragen Sie bitte Ihre E-Mail-Adresse unten ein. Danke!

Danke!

bottom of page