Russlands Position in der Welt von 2007
- anon
- 20. Nov. 2022
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 18. Juni 2023
Peter Scholl-Latour: Russland im Zangengriff. Putins Imperium zwischen Nato, China und Islam. Erste Auflage 2007, 17. Auflage 2022, Ullstein Verlag
(DE) Der deutsch-französische Journalist, Sachbuchautor und Publizist Peter Scholl-Latour (geb. 1924, gestorben 2014) analysiert in diesem Buch die Situation Russlands aus der Perspektive eines Zeitgenossen des Jahres 2006. Im Vorwort, das 2007 geschrieben wurde, bezieht er sich noch explizit auf die Rede Wladimir Putins, in der dieser das Verhalten der USA und der Europäer bei der Münchner „Wehrkundetagung“ (später Münchner Sicherheitskonferenz genannt) als inakzeptabel anprangerte.
Die folgende Entwicklung in den Jahren bis zur Besetzung der Krim durch die Russische Föderation im Jahr 2014 und letztendlich bis zum Angriffskrieg im Jahr 2022 findet in diesem Werk, das 2022 neu aufgelegt wurde, keinen Niederschlag. Dennoch kann es in erheblichem Maß dazu beitragen, die Vorgeschichte dieser Eskalation zu begreifen.
Das letzte Kapitel ist der Ukraine gewidmet, beginnend bei der „Orangen Revolution“ auf dem Meidan in Kiew im Jahr 2004. Die Beschreibung der Situation und die Schilderung der Tapferkeit und der Leidensfähigkeit der Ukrainer kommt einem aus der Art der aktuellen Berichterstattung westlicher Medien im Jahr 2022 sehr bekannt vor.
Damals war es die ukrainische junge und schöne Politikerin Julia Timoschenko, die leidenschaftlich, an Evita Peròn erinnernd, für die Freiheit und Unabhängigkeit der Ukraine im Innern wie im Äußeren stritt. Die Medien verehrten sie, die Politiker taten zumindest so, als würden sie sie unterstützen.
Heute ist es der ukrainische Präsident Wolodimyr Selenskij, der als Held gesehen und entsprechend verehrt oder wenigstens respektvoll behandelt wird. Es gibt kaum mehr ein Treffen mächtiger westlicher Staaten, bei dem der ukrainische Präsident nicht zugeschaltet wird.
Damals harrten täglich Massen an Ukrainern auf dem zentralen Platz in Kiew aus, trotzten Eiseskälte und Hunger. Jedenfalls wurde dieses heroische Verhalten der Ukrainer, ähnlich wie heute, von den westlichen Medien bewundert, gefeiert und unterstützt. Die Presse ließ damals nicht zu, dass dieses heroische Bild von dem 1500 Menschen fassenden Versorgungszelt auf dem Platz in Kiew gestört wurde.
Die Ukraine und ihre Menschen wurden zu einer Ikone stilisiert.
Aber Bilder verblassen und Geschichten sowie ihre Protagonisten geraten in Vergessenheit.
Hat das die Ukraine tiefgreifend verändert? Hat das die Beziehungen der Ukraine zur EU und zu Russland verbessert?
Was wurde aus dieser Solidarität der westlichen Welt, der Europäer und der USA?
Welche Konsequenzen hatte der Rundumschlag Putins im Jahr 2007?
Diese Fragen stellen wir uns heute, da wir am Rand eines Weltkriegs stehen, der, sollte er tatsächlich ausbrechen, mit dem Einmarsch der Russischen Föderation in die Ukraine begann.
Es müsste eigentlich jeden politisch Verantwortlichen, jeden Journalisten und jeden politisch denkenden Menschen interessieren, wie die Situation im Jahr 2006 von einem erfahrenen Publizisten damals eingeschätzt worden war.
Daraus ließen sich, im Vergleich zum tatsächlichen Verlauf der Geschichte bis heute, 16 Jahre später, unschätzbare Erkenntnisse gewinnen.
Im Rückblick kann man vielleicht Irrtümer, aber auch Versäumnisse besser erkennen und eventuell Wege der Deeskalation finden. (TA)
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