Krieg in der Ukraine - Teil 2/1
- titanja1504
- 29. Jan. 2023
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 17. Juni 2023
Gräueltaten
(DE) „Butscha“ ist seit Anfang April 2022 das Schlagwort, bei dessen Erwähnung jede Politikerin und jeder Politiker, jede Journalistin und jeder Journalist sowie jeder auch nur minimal informierte Mensch zumindest in Europa weiß, worum es geht. Kriegsverbrechen. Gräueltaten.
russische Gräueltaten und ukrainische Waffenforderungen
Es geht um die Entdeckung von Gräueltaten der russischen Armee in der besetzen und inzwischen befreiten Stadt Butscha 25 Kilometer nord-westlich von Kiew!
Presse und Spitzenpolitiker rufen empört: Kriegsverbrechen! Putin ist ein Kriegsverbrecher!
Forensiker, Experten und Journalisten suchen akribisch nach Beweisen dafür, dass es russische Soldaten waren, die geplündert, gefoltert, vergewaltigt und gemordet haben, denn der Kreml leugnet.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij setzte augenblicklich noch eins drauf, indem er sagte, es würden tausende Ukrainer vermisst. Nach Russland verschleppt? Ermordet und in Massengräbern verscharrt? Verbrannt?
Aus allen Gebieten, aus denen sich die russische Armee zurückgezogen hat, drangen seither Meldungen und Einzelbeispiele von Gräueltaten an die Öffentlichkeit.
Standardmäßig fügten die Medien diesen Schilderungen hinzu, dass diese Berichte unbestätigt seien und noch objektiv überprüft bzw. verifiziert werden müssten. Das scheint jedoch niemanden zu stören, denn die Meldung war raus und damit ist sie zur Tatsache geworden.
Für US-Präsident Joe Biden, für die Nato-Außenminister und den Ministerrat der EU wie auch für die deutsche Regierung gibt es keine Zweifel an der Wahrhaftigkeit der ukrainischen Darstellung.
Und die ukrainische Regierung wie auch die Diplomaten erhöhen den Druck auf Europa, aber ganz besonders auf Deutschland nach dem Motto: Was muss denn noch passieren, bis ihr uns mit mehr und besseren Waffen unterstützt und einen kompletten Energieeinfuhrstopp für russisches Öl und Gas beschließt, sodass ihr mit eueren Zahlungen nicht Putins Kriegskasse füllt?!
Das EU-Parlament hat in diesen Tagen einen radikalen Schritt in Richtung eines kompletten Öl- oder gar Gasembargos gefordert.
Allerdings streiten sich die EU-Staaten schon über die Übergangsfrist für den Importstopp von Kohle. Als im Rahmen des sechsten Sanktionspakets gegen Russland die EU-Kommission Ende April 2022 einen Stufenplan für ein Ölembargo vorstellt, verweigert Ungarn die Teilnahme. Ungarn bezieht sein gesamtes Öl aus Russland. Was würde da erst bei viel schwerwiegenderen Maßnahmen wie beispielsweise bei einem Gasembargo los sein?! Hier sind Deutschland und auch Italien in starker Abhängigkeit.
Nahezu panisch reist Wirtschaftsminister Habeck (Grüne) durch die Welt, um neue Energiequellen aufzutun.
Aber nicht nur die Verschärfung von Sanktionen wird von der Ukraine im Frühsommer 2022 gefordert. Wohl gemerkt „gefordert“ nicht „erbeten“!
Vor dem Hintergrund von Butscha verlangt Präsident Selenskij massiv nach Angriffswaffen, um ukrainische Gebiete besonders im Donbass und im Süden um Mariupol und der Krim zurückerobern zu können, damit weitere Gräueltaten verhindert werden. So die Argumentation von ukrainischer Seite.
Ich glaube wirklich, dass russische Truppen Gräueltaten verübten, denn aufgrund einer privaten freundschaftlichen Beziehung habe ich schon vor „Butscha“ von Gräueln gehört. Eine Mutter, die in der Ukraine geblieben ist, erzählte ihrer Tochter davon, die nach Deutschland geflüchtet war, wollte aber das Ausmaß lieber nicht vor ihr ausbreiten. Das ist für mich persönlich glaubwürdig, denn diese Mutter hat bestimmt keine propagandistischen Absichten.
Die Leichen in den Straßen Butschas, die man auf Fotos und in Videos sehen kann, die z. T. gefesselt worden waren, wurden getötet. Keine Frage! Aber von wem? Die russischen Truppen waren Besatzer zum Zeitpunkt der Tötung und Zeugen berichteten in Videos von Gräueltaten und willkürlichen Erschießungen.
Wer diese Aufzeichnungen wann gemacht hat, ist teilweise unklar.
Aber was war in dieser Besatzungszeit sonst noch los in der Stadt?
Gab es keine Widerstandskämpfer? Keine Guerillas? Keine Kollaborateure und Racheaktionen an diesen Kollaborateuren?
Zu Beginn des Krieges wurde jeder in der Ukraine, der wollte, von der Regierung bewaffnet. Wo befanden sich diese bewaffneten Männer während der Besatzung? Bei der ukrainischen Armee? Die hat doch eigene Waffen?!
In allen Kriegen kam und kommt es in besetzten Gebieten zu Widerstand. Guerillakämpfer können einer Besatzungsmacht das Leben wirklich schwer machen und so recht erfolgreich ihr Land verteidigen. Es wäre nicht das erste Mal, wenn dabei eigene Landsleute zu Schaden kämen. Niemand würde das in der jetzigen Situation groß verurteilen.
Bedauern ja, aber verurteilen? Nein!
Allerdings könnte man diese kriegerischen Auseinandersetzungen nicht für Waffenforderungen benutzen.
Das mag jetzt zynisch klingen, ist aber nur realistisch. Vielleicht ist mein Misstrauen ungerechtfertigt. Vielleicht werden meine Zweifel ausgeräumt. An die Leugnung des Kreml glaube ich jedenfalls auch nicht.
Ich persönlich halte Kriegsverbrechen von beiden Seiten für wahrscheinlich. Aber es ist derzeit mit Sicherheit nicht opportun, beide Seiten mit Anklagen zu konfrontieren. Es gibt in der öffentlichen Meinung nur einen Kriegsverbrecher. Basta!
In diesem Zusammenhang ist eine Beobachtung ganz interessant und recht aufschlussreich.
Eine Freundin, die über jeden Verdacht der Einseitigkeit erhaben ist, hat in einer Nachrichtensendung des deutschen Fernsehens einen kurzen Ausschnitt zu Kriegsverbrechen der ukrainischen Armee zu Gesicht bekommen. Offensichtlich schossen ukrainische Soldaten gefangenen und gefesselten russischen Soldaten in die Beine.
Ich habe dazu nirgends etwas gelesen, gehört oder gesehen. Auch wurde über die Erkenntnis berichtet, dass sowohl die russische wie auch die ukrainische Armee verbotene Streubomben eingesetzt hätten. Auch das blieb nur eine Marginalie am Rand des Kriegsgeschehens.
In meinen Augen gibt es in der Kriegsberichterstattung Tabus, die es nicht geben dürfte. Wessen Interessen werden dadurch gewahrt?
Reaktion auf das alltägliche Grauen
Ein eindeutiges und offensichtliches Kriegsverbrechen, auch laut Genfer Konvention, ist in meinen Augen ebenfalls die Zerstörung von Wohngebäuden und zivilen Einrichtungen. Dieser Anblick erfüllt mich ebenso mit Schaudern wie die Ermordeten in den Straßen von Butscha. Womöglich liegt das an persönlichen Erinnerungen an eine schöne Zeit einige Jahre vor den Maidan-Protesten in einem dieser irrsinnig hohen Wolkenkratzer in einem Stadtteil Kiews.
Ich sehe noch die unendliche Weite dieser gigantischen Hochhaussiedlung im U-Bahnbereich Kiews vor mir. Es gibt keine Straßenschilder, dafür vollgelaufene Baugruben und Horden von wilden herrenlosen Hunden. Ich habe immer Angst, verloren zu gehen, da mein Orientierungssinn nicht der beste ist.
Ich verbrachte eine Woche in der Wohnung einer ukrainischen Bekannten mit deren Familie, bestehend aus drei erwachsenen Kindern und einem Schwiegersohn. Ich durfte Borschtsch unter Anleitung kochen, trank beim Kochen, während und nach dem Essen reichlich Wodka und lachte und diskutierte mit den jungen Leuten über Europa und die Politik.
Ich weiß und bin froh darüber, dass alle, bis auf die Männer, geflohen sind, denn aus diesen Häusern käme beim Einschlag einer Rakete niemand mehr lebend heraus. Und mir wurde versichert, dass es dort Raketenbeschuss gab.
Ja und an dieser Stelle gestehe ich mir beschämt ein, dass mich die zerstörten Wohnhäuser in Syrien, im Irak, in Afghanistan und in Gaza nicht so stark emotional berührt haben wie die ukrainischen.
Warum ist das so? Ich hätte das nie von mir gedacht. Das Leid der Syrer, Iraker, Afghanen und Palästinenser ist schließlich genauso groß wie das Leid der Ukrainer.
Wie kann ich unterschiedlich empfinden?! Was ist bloß los mit uns Europäern und auch mit mir?!
Ich kritisiere Polen, weil es mit Stacheldraht und Gewalt Flüchtlinge aus diesen genannten Ländern abhielt und immer noch abhält ins Land und nach Europa zu kommen, weil es seit 2015 niemals bereit war, wie andere europäische Länder Flüchtlinge aufzunehmen.
Nun aber öffnet es für Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine die Tore weit und heißt sie willkommen. Weil sie Nachbarn sind? Weil sie Europäer sind? Weil sie demselben Kulturkreis angehören? Weil sie denselben Feind haben? Weil sie Christen im weiteren Sinn sind?… Wahrscheinlich sollte ich dieses Phänomen mit weniger Abscheu und mehr „Psychologie“ betrachten.
Mich beschämt dieses Messen mit zweierlei Maß und es macht mich wütend, dass in all den Wochen des Ukraine-Krieges nur wenig Kommentatoren diese Ungleichheit und unterschiedliche Zumessung von Menschenrechten und Menschenwürde angeprangert haben.
Meines Wissens machte sich keine einzige Politikerin und kein einziger Politiker für die Gleichbehandlung der Flüchtlinge stark. (TA)

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