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Recycling im Stil der 50 und 60er

  • lisaluger
  • 20. Nov. 2022
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 16. Juli 2023

(DE) Als ich ein Kind war, beklagte meine Mutter immer, dass ich mit dem, was ich hatte, nie zufrieden war. Es ging nicht um Spielsachen, sondern meistens hatte es mit meiner Kleidung zu tun. Ich hatte es satt und beschwerte mich bitterlich, wenn ich wieder die alten ausgewaschenen Kleider oder Pullover tragen musste, die ich von meiner großen Schwester oder meinen Cousinen geerbt hatte. Dieses Schicksal teilen natürlich bis heute die Jüngsten in der Familie, aber damals wurde beim Nähen oder Kauf von Kleidung die Langzeit- bzw. Mehrfachverwendung schon eingeplant.

Alte Fertigkeiten und neuer Zeitgeist

Meistens hatten meine Kleidchen und Röcke einen breiten Saum, der immer schmaler wurde, je mehr ich wuchs. Und auch Seitennähte waren üppig, sodass eine Anpassung auch in die Weite leicht bewerkstelligt werden konnte.


Aber ich blickte skeptisch auf diese Praxis. Ich wollte lieber so adrett wie meine Schulfreundin Lizzy gekleidet sein. Sie war das einzige Mädchen in der Familie und immer sehr hübsch angezogen, mit schönen neuen Kleidern über ihren Petticoats, neuen Strümpfen und passenden Schuhen.

Man beachte die Knie! Sie trugen stets die  Spuren meiner sportlichen Wettkämpfe.
Man beachte die Knie! Sie trugen stets die Spuren meiner sportlichen Wettkämpfe.

Neben ihr fühlte ich mich wie ein Trampel. Meine Kleider waren, selbst wenn ich sie sauber anzog, binnen kürzester Zeit schmutzig oder sogar ruiniert. Wahrscheinlich lag es daran, dass ich mit meinen Freunden auf der Straße tobte und definitiv keinen Gedanken beispielsweise an meine neuen Strümpfe verschwendete. Beim Rennen auf meinen Rollschuhen wollte ich gewinnen und nicht hübsch aussehen und verlieren. Im Eifer des Gefechts fiel ich regelmäßig auf die Knie und meine neuen Strümpfe hatten große Löcher. Egal, meine Knie waren daran gewöhnt aufgeschürft zu sein.

Das Traurige aber war, dass meine Mutter, anstatt ein Paar neue Strümpfe zu kaufen, wie Lizzys Mutter es sicherlich getan hätte, die Strümpfe mühsam stopfte, sodass sie für den Rest der Saison taugten. Neue, wie bei meiner Freundin, gab es nicht. Aber sie ist auch nie hingefallen und auch nie Rollschuhgelaufen.


Meine Mutter erklärte sich meine Unzufriedenheit nicht nur damit, dass ich das Jüngste von vier Kindern war, sondern auch mit der Zeit, in die ich hineingeboren wurde.

Während meine älteren Geschwister (die anscheinend zufriedener waren – obwohl ich mich daran erinnere, dass sich meine Brüder über ihre juckenden gestrickten Strümpfe beklagten) in der Nachkriegszeit (zwischen 1946 und 1951) aufwuchsen, als niemand Geld hatte, wurde ich 1953 geboren. Dies war die Zeit, als das sogenannten Wirtschaftswunder in Deutschland begann. Die meisten Menschen waren damals noch arm und erlebten nur ein sehr langsam fortschreitendes Wirtschaftswunder. Andere wiederum, vor allem diejenigen, die ein Geschäft hatten, waren irgendwie wohlhabender als wir, besaßen ein Auto, fuhren in den Urlaub oder konnten sich eben leisten, neue Kleidung für ihre Kinder zu kaufen, wie beispielsweise Lizzys Eltern. Ich wuchs also durchaus mit dem Blick auf besser gestellte Nachbarn auf, verglich mich mit deren Kindern und wurde unzufrieden.

Prioritäten der Eltern sind anders

Meine Eltern, allen voran meine Mutter, waren bescheidene Leute und wurden vom Blick über den Gartenzaun eher weniger beeinflusst. Sie machten aus allem das Beste.

Ich erinnere mich noch gut, als ich einen neuen blauen Mantel mit einem kleinen weissen Pelzkragen bekam. Ich war sehr stolz und trug ihn sonntagmorgens in der Kirche. Endlich ein nagelneues Kleidungsstück für mich. Ich wusste nicht, dass meine Mutter und meine Cousine diesen Mantel aus dem alten Mantel einer meiner Tanten gemacht hatten. Sie drehten den Stoff um und nähten daraus einen schönen kleinen Mantel für mich. Nähen war billiger als kaufen, und die alten Stoffe der damaligen Zeit waren immer noch gut genug, um neue Bekleidung daraus herzustellen. Alles eine Frage der Qualität.


Meine Mutter strickt und hört dabei Radio
Meine Mutter strickt und hört dabei Radio

Und warum einen schönen Pullover nur deshalb wegwerfen, weil er ein Loch am Ellbogen hat oder schütter geworden ist? Kein Problem! Mit einem Stück Stoff oder Leder wurde das gute Stück an dieser ramponierten Stelle sogar noch verschönert. Oder man stopfte die Stelle kunstvoll mit Nadel und Garn, sodass der Pulli noch mindestens weitere 5 Jahre getragen werden konnte. Und sogar dann wurde der Pullover höchstwahrscheinlich aufgetrennt und aus der wieder gewonnenen Wolle wurden Socken, Handschuhe und Schals gestrickt.

Das beste aus dem machen, was man hat

Das Wirtschaftswunder zeigte sich natürlich auch uns. Wir konnten im Rahmen eines Programms zur Unterstützung katholischer und kinderreicher Familien ein Haus kaufen. Wir waren dann zwar Hausbesitzer, aber das hieß noch lange nicht, dass wir uns ein Auto leisten konnten oder in den Urlaub fuhren.


Mein Vater radelte weiterhin täglich mit seinem alten Fahrrad zur Arbeit und kehrte zum Mittagessen nach Hause zurück. Nach der Mittagspause wurde wieder zum Arbeitsplatz zurück geradelt. Er ging tagtäglich in einem schön gestärkten, gebügelten Hemd und seiner Lieblingslederhose ins Büro, wie er es jahrzehntelang schon getan hatte. Damit war er zufrieden und fühlte sich stets angemessen gekleidet.

Die wirtschaftliche Entwicklung wirkte sich jedoch auch auf die gesellschaftlichen Normen aus, was man zu bestimmten Anlässen tragen und was man nicht tragen sollte. Mein Vater war sehr beleidigt, als sein Chef ihn eines Tages in sein Büro rief und ihn bat, in Zukunft im Büro nicht mehr seine Lederhose, sondern einen Anzug zu tragen. Diese Bitte war nicht der einzige Grund, aber bald darauf verließ mein Vater diese Firma, um in einem anderen Umfeld zu arbeiten.


Später, als mein Vater nicht mehr in seine Lederhose passte, schnitt meine Mutter diese geliebten Beinkleider in Stücke und machte Ledersohlen daraus, die sie auf gestrickte Socken nähte, um schöne warme Hausschuhe für uns alle zu machen. (LL)

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