Der Wunsch, verbunden zu sein
- lisaluger
- 20. Nov. 2022
- 8 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 16. Juli 2023
(DE/UK) Letztes Jahr rief eine überängstliche Mutter in England ihren Sohn auf seinem Mobiltelefon an, um zu erfahren, wie die Prüfung gelaufen sei. Leider war die Prüfung noch nicht zu Ende und als das Handy des Jungen im Prüfungsraum klingelte, musste der Lehrer laut Vorschrift dem Schüler die Prüfungsarbeit abnehmen und der Junge fiel durch die Prüfung.
Alles hat zwei Seiten
Dies zeigt die beiden Seiten von Mobiltelefonen. Handys können ein wichtiges Instrument der Kommunikation zwischen Eltern und Kindern sein, zum Beispiel um ein Gefühl der Sicherheit zu herzustellen. Sie können aber auch zu einem Instrument der Kontrolle und Einmischung werden.
In ähnlicher Weise ist zwar die Nutzung des Internets eine großartige Hilfe beim Lernen, aber die Recherche will gelernt sein und auch das Wissen über verbotene Plagiate und das Urheberrecht sollte vorhanden sein.
Die Verwendung des Mobiltelefons in der Schule ist, im Gegensatz zum Internet, umstritten. Einerseits wäre es vielseitig auch im Unterricht einsetzbar, beispielsweise zur schnellen Recherche, andererseits kann es zum Störfaktor werden oder gar zum Instrument von Mobbing. Von Zeit zu Zeit wird daher in England ein Verbot von Mobiltelefonen in Schulen diskutiert. In Deutschland darf es in der Schule nicht benutzt werden, außer die Lehrkraft erlaubt dies ausdrücklich für eine bestimmte Aufgabenstellung.
Handy — neuer Körperteil Jugendlicher
Handys sind jedoch generell nicht mehr wegzudenken.
Eine aktuelle Studie von Childwise, die auf einer Umfrage unter 2167 Jugendlichen im Alter zwischen 5 und 16 Jahren über die Nutzung von Mobiltelefonen durch Jugendliche basiert, ergab, dass die meisten Kinder im Vereinigten Königreich bereits im Alter von 7 Jahren ein Mobiltelefon besitzen und dass die Schülerinnen und Schüler im Durchschnitt täglich 3 Stunden und 20 Minuten damit verbringen, Nachrichten zu verschicken, Spiele zu spielen und online zu surfen. Mehr als die Hälfte (57%) der in der Studie befragten Kinder gaben an, dass sie mit ihrem Handy neben sich im Bett schlafen würden, da sie es nicht ertragen könnten, von ihrem Telefon getrennt zu sein. Fast 2 von 5 (39%) gaben an, dass sie ohne ihr Telefon nicht leben könnten. 44% gaben an, dass sie sich unwohl fühlen würden, wenn sie irgendwo hingingen und sie keinen Empfang hätten, und 42% gaben zu, dass sie sich ständig Sorgen machen würden, dass unbemerkt der Akku leer sein könnte und sie somit nicht alles mitbekämen. – Welche Sorgen diese Teenager haben!
Ich habe mich lange Zeit gegen die Anschaffung eines Mobiltelefons gesträubt. Aber schließlich gab ich dem Zeitgeist nach und kaufte vor etwa 18 Jahren mein erstes kleines Pay-as-you-go-Telefon. Nur für Notfälle, falls mein Auto eine Panne haben sollte, oder um anzurufen, wenn ich spät dran war, oder um meinen Mann vom Supermarkt aus zu fragen, was wir noch brauchen würden. Ich fand jedoch bald heraus, wie nützlich Mobiltelefone sein können.
Seither hat sich das Leben und meine Einstellung zu Handys verändert. Ich habe mich sogar an mein Smartphone gewöhnt. Aber ich denke, dass ich nicht so abhängig von meinem Handy bin und sein werde, wie die jungen Leute in der oben genannten Studie. Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der Kommunikationsmedien noch äußerst spärlich gesät waren.

In den letzten drei Jahrzehnten hat die Technologie diesbezüglich große Fortschritte gemacht. Kürzlich stellte ein Fernsehbericht zwei britische Teenager vor die Herausforderung, ein Telefon mit einer Drehscheibe benutzen zu müssen. Diese Art von Telefon war in den 80er Jahren schrittweise abgeschafft und durch ein Tastentelefon ersetzt worden. Die armen Teenager, die so an ihre Handys gewöhnt waren, hatten keine Ahnung, wie man dieses fremdartige Instrument bedienen könnte. Die technische Verwandtschaft zum Handy war einfach zu weit entfernt.
Telefonlose Zeiten
Als ich ein Teenager war, damals in den 60er Jahren, hatten wir zu Hause kein Telefon. Zu dieser Zeit gab es nur wenig Haushalte in unserer Nachbarschaft, die ein Telefon besaßen. Die Kommunikation war damals anders. Man schrieb Briefe, Postkarten oder besuchte sich. Im Notfall rief man einen Nachbarn mit Telefon an und bat ihn, so nett zu sein und beispielsweise die Eltern ans Telefon zu holen oder ihnen eine Nachricht zu überbringen. Man konnte auch ein Telegramm schicken. Aber Telegramme lösten meist Panik beim Empfänger aus, weil es sich überwiegend um plötzliche Todesfälle handelte, wenn ein Telegramm verschickt wurde. Selbst nachdem meine Eltern ein Telefon bekommen hatten, schickte mein Vater aus Gewohnheit immer noch ein Telegramm, wenn jemand gestorben war.
Sorge und Beruhigung, damals wie heute
Der Anlass für die Anschaffung eines Telefons in meiner Familie im Jahr 1969 war ich. Ich war mit meiner Vespa über Land gefahren und hatte mich zeitlich um über zwei Stunden verkalkuliert. Es wurde bereits dunkel und meine Eltern hatten keine Ahnung, wo ich war. Mir war schon klar, dass ich sie unbedingt benachrichtigen musste, um die sicherlich aufkommende Panik zu reduzieren. Aber wie? Ich fuhr eine Landstraße entlang! Schließlich fand ich in einem Dorf eine öffentliche Telefonzelle und zum Glück hatte ein Laden geöffnet, wo ich Münzen wechseln konnte. Ich rief unseren Nachbarn an, der meinen Eltern mitteilte, dass ich wohlauf und auf dem Heimweg sei und mich lediglich verspäten würde. Die Sorge war vorbei für diesen Tag, aber bald darauf kauften meine Eltern ein Telefon, für den Fall, dass tatsächlich einmal etwas passieren würde.
Nachdem meine Geschwister und ich von zu Hause weggezogen waren, wurde das Telefon zu einem Rettungsanker für meine Mutter, da sie mit all ihren Kindern regelmäßig Kontakt aufnehmen konnte. Sie wurde zum Zentrum der Kommunikation innerhalb der Familie. Wenn ein Familienmitglied etwas über Eltern, Brüder und Schwestern wissen wollte, rief man einfach die Mutter an. Sie war immer informiert. Sie wusste (fast) alles.
Auch ohne Handy Dauertelefonate
Als ich in den 90er Jahren in Berlin lebte und arbeitete und mit mehreren Personen eine Wohnung teilte, klingelte das einzige Telefon in der Wohnung ständig und zu 90% wurde nach mir gefragt. Nach einer Weile bestanden meine Mitbewohner darauf, dass ich mir mein eigenes Telefon und Fax anschaffen sollte, da sie es leid waren, meine Anrufe entgegenzunehmen. Sie weigerten sich, als meine Sekretärin zu fungieren. Naja, nachvollziehbar.
Ich hatte mich so sehr daran gewöhnt, mein eigenes Telefon und Faxgerät zu haben, so dass ich einen Schock erlitt, als ich wenig später, Mitte der 90er Jahre, nach London zog, um einen Masterstudiengang zu absolvieren. In dem Studentenwohnheim, in dem ich in diesem ersten Jahr wohnte, musste ich mir ein Telefon mit etwa 20 anderen teilen, meist Teenagern, die die ganze Zeit telefonierten. Meine beste Chance, ans Telefon zu kommen, war sonntagmorgens um 7 Uhr, wenn sich die Jugendlichen nach einer langen Nacht ausschliefen.
Vom Ausland aus in Kontakt bleiben
Mit der zunehmenden Nutzung von Internet, WhatsApp, E-Mail und Skype wurden die Kommunikationsmöglichkeiten im Laufe der letzten Jahrzehnte immer vielseitiger und bequemer. Viele meiner Freunde sind in ständigem Kontakt mit ihren erwachsenen Kindern, ob sie nun um die Ecke wohnen oder um die Welt reisen.
Als ich in den 80er Jahren in Lateinamerika herum reiste und arbeitete, war die Kommunikation mit Freunden und Familie in Deutschland ziemlich schwierig. Wenn ich Briefe von der Familie oder von Freunden erhalten wollte, musste ich meine Reise sorgfältig planen und sie wissen lassen, wann ich ungefähr in welchem Land und in welcher Stadt sein würde und wie lange. Bei meiner Ankunft ging ich dann zu einem vereinbarten Ort, entweder zur Deutschen Botschaft oder zur Hauptpost, um meine Briefe (poste restante) abzuholen.
Normalerweise dauerte es zwischen zwei und sechs Wochen bis Briefe ankamen, manchmal bis zu drei Monaten. Dann waren die Nachrichten natürlich bereits veraltet.
Telefonieren wäre natürlich besser gewesen, war aber viel zu teuer. Ich erinnere mich noch gut an die wenigen Male, als ich dem Drang nicht widerstehen konnte zu Hause anzurufen, um eine vertraute Stimme vom anderen Ende der Welt zu hören. Ich erinnere mich auch an den Schock, als ich die Rechnung präsentiert bekam. Bis zu 120 US-Dollar für 3 Minuten hatte mich dieses Vergnügen gekostet.
Als ich als Journalistin arbeitete und meine Artikel schnell an die Redaktion schicken wollte, musste ich anrufen und meinen Text vorlesen, in der Hoffnung, dass die Leitung in Ordnung war und die Person auf der anderen Seite in der Lage war, jedes Wort, das ich sagte, zu verstehen und abzutippen. Zum Glück musste diese Telefonrechnung nicht ich bezahlen.
Ab Ende der 80er Jahre begann ich, wann immer möglich, ein Faxgerät in einem zentralen Postamt zu benutzen. Aber 1988 kostete mich jede Fax-Seite von Chile nach Berlin US $ 9. Unnötig zu sagen, dass ich diese Möglichkeit nicht so oft nutzte.
Die Qual mit den öffentlichen Münzfernsprechern
Aus dem Ausland nach Hause zu telefonieren, war nicht nur kostspielig, sondern oft auch mühsam. Ich erinnere mich an die vielen Male, wenn ich mit einer Tasche voller Münzen zur Suche nach einem funktionierenden öffentlichen Fernsprecher aufbrach.

Meistens musste man Schlange stehen und warten, bis die Leute vor einem ihre Gespräche beendet hatten, nur um dann festzustellen, dass der gewünschte Gesprächspartner nicht zu Hause war oder die Leitung besetzt war und man sich wieder hinten anstellen musste. Wenn man es dann endlich geschafft hatte und mit dem gewünschten Gesprächspartner verbunden war, ratterten die Münzen durch den Apparat und man hatte gut zu tun, ständig nachzuladen, damit die Verbindung nicht abgebrochen wurde.
War man einmal aus der Leitung geworfen worden, ging alles von vorne los.
Was für ein Alptraum, wenn man einen wirklich dringenden Anruf tätigen wollte und keine leere Telefonzelle finden konnte oder wenn man sich in die Warteschlange einreihen und stundenlang warten musste, bis die Leute vor einem ihr (in meinen Augen triviales) Gespräch beendet hatten. Oder, wenn man ein privates Gespräch führen wollte, aber die Wartenden vor der Telefonzelle regen Anteil daran nahmen, weil man ja Wort für Wort alles verstand.

Maximale Freiheit und Flexibilität
Heutzutage ist es mit den sozialen Medien so einfach, Fotos oder Videos zu versenden, sofort zu antworten oder durch Anklicken eines Smileys zu signalisieren, wie man sich fühlt, lange und kostenlose Telefongespräche mit der ganzen Welt zu führen – eine gute Verbindung vorausgesetzt. Ich nehme die neuen Kommunicationsmittel voll und ganz an. Ich genieße meine regelmäßigen langen Skype-Anrufe mit Freunden aus verschiedenen Ländern und von diversen Kontinenten, in denen wir über Politik schimpfen und die globalen Probleme lösen.
Ich finde es daher ziemlich irritierend, wenn ich mit Menschen kommunizieren will, die der digitalen Kommunikation abhold sind, und ich mich hinsetzen und einen Brief schreiben, eine Briefmarke kaufen und den Brief wie früher in einen Briefkasten werfen muss. Obwohl?! Es fühlt sich irgendwie nostalgisch an, das zu tun.
Andererseits mag ich es nicht, Leute aus heiterem Himmel anzurufen, denn ich fürchte, ich unterbreche sie bei dem, was sie gerade tun. Es fühlt sich an, als würde ich jemanden besuchen, ohne es vorher vereinbart zu haben. Ich bin mir bewusst, dass die Verabredung zum Telefonieren dem Gespräch die Spontanität nimmt. Ich bevorzuge trotzdem das Versenden von zeitunabhängigen SMS, E-Mails oder WhatsApp Nachrichten. Auf diese Weise haben die Empfänger die Freiheit und die Möglichkeit, meine Nachricht zu einem für sie passenden Zeitpunkt zu lesen und darauf zu antworten. Das gleiche gilt natürlich für mich auch.
Mir gefällt die Bequemlichkeit meines Smartphones und ich benutze es nicht nur für die Kommunikation. Es dient mir auch als Foto- oder Videokamera und ich kann über die Suche im Internet sofort die Antwort auf jede Frage finden. Hilfreiche Apps sagen mir, wie lange ich auf einen Bus warten muss oder zeigen mir den Weg, den ich nehmen sollte. Ich kann online Waren bestellen und private Nachrichten wie auch Zeitungsartikel lesen usw..
Ich habe mein Smartphone nachts nicht wie die ängstlichen Teenager neben meinem Bett, sondern im Wohnzimmer zum Aufladen. Aber auch ich bin irritiert, wenn ich mich in Gegenden aufhalte, in denen kein oder kein gutes Signal vorhanden ist. Und ich achte darauf, dass ich mein Ladegerät immer bei mir habe, nur für den Fall, dass der Akku leer ist.
Ich will nicht immer erreichbar sein und manchmal schalte ich mein Smartphone aus. Ich möchte ganz sicher keine Telefongespräche in einer öffentlichen Toilette führen. Ebenso möchte ich nicht den privaten Gesprächen anderer Leute in öffentlichen Verkehrsmitteln lauschen müssen und ich fühle mich ziemlich genervt, wenn ich gezwungen bin, den Gesprächen anderer Leute zuzuhören. Ich möchte gerne glauben, dass ich die Kontrolle über meine Smartphone-Nutzung habe und, wenn es sein muss, wie in alten Zeiten, ohne es leben könnte. Das Leben ohne mein Telefon wäre sicherlich ruhiger und weniger stressig, da der Druck, gerade jetzt alles wissen zu müssen, wegfallen würde. Aber ich würde seine Vielseitigkeit und seine Bequemlichkeit, mit anderen verbunden zu sein, vermissen.
Während der beunruhigenden Zeiten der Covid-Kontaktsperren (zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels), als Reisen in andere Länder oder Besuche bei Freunden nicht möglich waren, erwiesen sich die modernen elektronischen Medien als Lebensretter. Sie ermöglichten es uns, der Isolation durch Abriegelung zu entkommen, indem wir mit Freunden und Angehörigen in Kontakt bleiben konnten. Stell Dir vor, wir hätten weder unsere Mobiltelefone noch das Internet, sondern würden in einer Zeit ohne Telefone leben. Oder stell Dir vor, wie es ohne Strom und Elektrizität gewesen wäre. Schrecklich! (LL)
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