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Universitäre Lehre ausschießlich im Homeoffice – ein „fauler“ Kompromiss

  • Autorenbild: anon
    anon
  • 20. Nov. 2022
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 2. Juni 2023

(DE) Angeregt durch die Analysen der Zustände im Vereinigten Königreich unter dem Titel „Das Versagen der politischen Elite im Umgang mit Covid“, berichtet eine deutsche Autorin über Entwicklungen, die sie in der Pandemie bewegten und noch bewegen.


Pandemie-Fatigue haben wir wohl alle. Auch wenn in Deutschland die Regierungsmitglieder keinen derartigen Dünkel wie im Vereinigten Königreich haben, so wurden aus anderen Gründen auch bei uns gravierende Fehler während der im Herbst 2021 heranrollenden vierten Welle gemacht.

Wahljahr in der Pandemie – kontraproduktiv für die Bekämpfung der Seuche

Man war im Sommer im Wahlkampfmodus und wollte keine Wählerstimmen verlieren, indem man härtere Maßnahmen bei steigender Inzidenz zur Sprache brachte. Dadurch wurde vieles verschleppt wie beispielsweise Booster-Impfungen, Kontaktbeschränkungen usw., was beim Eindämmen der Delta-Variante geholfen hätte. Die Interimsperiode nach der Wahl, in der die Regierung nur noch geschäftsführend im Amt war, führte dazu, dass keine Entscheidungen getroffen wurden, die eigentlich hätten getroffen werden müssen. Und nun, mit der FDP als Koalitionspartner, die sich in den letzten Jahren damit profiliert hat, Freiheitsrechte gegen Beschränkungen zu verteidigen, wird es schwierig, einen klaren Kurs zu fahren. Bisher, Anfang Januar 2022, hat uns Omikron noch nicht so stark heimgesucht wie andere Staaten, aber die Variante ist definitiv da und breitet sich aus. Es ist mit Infrastrukturausfällen durch hohe Krankenstände und Quarantäne zu rechnen. Außerdem erwarten Experten eine starke Belastung des Gesundheitssystems, das seit langem am Limit ist.


Die Vorgehensweise der alten und neuen Regierung war, ist und wird wohl auch in Zukunft nicht so effektiv und effizient sein, wie es die Situation erfordern würde, aber nach zwei Jahren Pandemie darf man ja doch wohl erwarten, dass Erfahrungswerte vorliegen, die bessere Strategien und Konzepte hervorbringen werden.

Querdenker – eine Bewegung ohne Ziel

Von Teilen der Bevölkerung kann man das aber offensichtlich nicht sagen. Daher finde ich derzeit nicht die Regierung am schlimmsten, sondern die „Querdenker“ in der Bevölkerung, die sich in ihren Social Media Blasen immer weiter in Verschwörungstheorien hineinsteigern und offenbar für rationale Argumente nicht mehr erreichbar sind.


Sie nutzen Sponti-Strategien wie Verabredungen zu „Spaziergängen“, statt Demonstrationen anzumelden, und treiben so ein Katz- und Maus-Spiel mit der Polizei. Und sie machen sich gemein mit Rechtsradikalen, die gezielt Desinformation verbreiten und die Lage ausnutzen, um Anhänger zu gewinnen und die Demokratie kaputt zu machen.


Bedenkenträger, die sich vor den ideologischen Karren der Rechten spannen lassen, wie auch Esoteriker und Anthroposophen, die eine Impfung aus irrwitzigen Gründen ablehnen, tragen dazu bei, dass wir ständig neuen Covid-Wellen ausgesetzt sind. Ob eine Impfpflicht im Frühling die Lösung ist, wage ich zu bezweifeln, denn sie wird Reaktanz hervorrufen, weitere gefälschte Impfpässe und andere Folgeerscheinungen. Vor allem sehe ich nicht, wie eine Impfpflicht effektiv durchgesetzt werden soll. Bußgelder werden gezahlt und wohl als eine Art Ablass angesehen werden. Es ist erschreckend, dass 30 Prozent der Bevölkerung offenbar meinen, sie wüssten aus unerfindlichen Gründen besser Bescheid als Virologen.

Unter der derzeit laufenden Impfkampagne sind die meisten Impfungen Auffrischungen, kaum Erstimpfungen. Das heißt also, dass kaum mehr Menschen vom Sinn der Impfung überzeugt werden konnten.


Auch in meinem weiteren Umkreis gibt es Leute, die sich nicht impfen lassen und Argumenten nicht zugänglich sind. Das spaltet Gruppen und treibt einen Keil in langjährige Freundschaften.

Schattenseiten des Homeoffice

Auf das Jahr 2021 sehe ich vor allem als ein extrem arbeitsreiches Jahr zurück. Ich habe das ganze Jahr im Homeoffice verbracht und unterrichte nun seit fast zwei Jahren online. Ich merke, wie die informellen sozialen Kontakte fehlen und Kollegialität erodiert. Die Arbeit hat sich extrem verdichtet und die Grenze zwischen Privatleben und Arbeit verschwimmt zu sehr.


Ich habe viel Zeit in Videokonferenzen verbracht, was durchaus auch Vorteile hat. Aber dadurch mutet man sich eher noch mehr Beteiligung an Workshops und Konferenzen zu, weil man ja nicht hinfahren muss. Und ich tu mich zu Hause viel schwerer am Abend ein Ende zu finden, einfach aufzuhören, wenn es an der Zeit ist, obwohl noch viel zu tun wäre.


Arbeiten zu Hause heißt auch, dass ich Mittagessen für Mann und Sohn koche. Das mache ich gerne, aber es zerreißt natürlich meinen Arbeitstag. Zwischendurch Geschirrspüler ein- und ausräumen, Wäsche waschen, aufräumen, Hausarbeit machen, die gleich wieder unsichtbar ist, all das lenkt ab. Im Büro kann ich mich viel besser fokussieren.


Mir fehlt auch die Bewegung, die täglichen 30 Minuten mit dem Fahrrad zur Arbeit, das unbewusste mentale Verarbeiten auf der Rückfahrt, die markierte Grenze zwischen Arbeit und Privatleben. Zuhause habe ich nicht einmal ein Arbeitszimmer, sondern ziehe mit dem Laptop vom Küchentisch immer wieder woanders hin, wo eben gerade etwas frei ist.

Wandel des Lehrbetriebs an der Uni?

Ich bin die einzige an meinem Institut, die im Wintersemester in Präsenz unterrichtet hat. Es war mir ein großes Anliegen, denn ich glaube, dass Studieren eine wesentliche Lebensphase in der Persönlichkeitsentwicklung und Sozialität darstellt.


Meine Kollegen sehen das offenbar nicht so. Etliche haben sich sehr gut im Online-Leben eingerichtet und sehen große Vorteile für die eigene Lebensqualität. Einige leben auf dem Land in großen Häusern mit Garten, andere Kollegen wohnen in anderen Städten. Pendeln gehört eigentlich zum allseits akzeptierten Los von Wissenschaftlern. Aber nun nicht mehr. Auch der Austausch von Informationen, Argumenten und Meinungen sowie Absprachen in Teambesprechungen, um die fehlende informelle Kommunikation aufzufangen, finden kaum statt. Die Vereinzelung hat offenbar für einige mehr positive als negative Seiten. Insgesamt wollen derzeit viele Lehrende nicht mehr vom Homeoffice an die Universität zurück, sprich in den Präsenzbetrieb. Es erscheint ihnen bequemer, online zu agieren und sie können sich einigen Aufgaben entziehen. Ich erhielt Gutachten- bzw. Empfehlungsanfragen von Studierenden, die mir mitteilten, ich sei die einzige Professorin, die Seminare synchron abhalte und zu der sie in Diskussionen und Vor- und Nachbesprechungen zu Referaten einen direkten Kontakt hätten. Andere Dozenten hätten sie nur in vorab aufgenommenen Videos erlebt. (Die Videos kann man ja auch mehrfach verwenden. Wie zeitsparend!)


Einige Wissenschaftsminister lassen schon verlauten, dass man aktuelle teure Bauvorhaben kleiner gestalten könne, da nun an der Uni nicht mehr jeder einen Arbeitsplatz bzw. ein Büro brauche, sondern man könne dies sehr flexibel gestalten, mit Slots, die man für kurze Präsenztage dann jeweils online buchen könnte, wenn man sich mal treffen oder vor Ort arbeiten wolle.


Ich glaube, selbst wenn die Pandemie einmal wirklich vorbei sein sollte oder wenigstens in eine endemische Phase eingetreten ist, wird es keine Rückkehr zum vorherigen Zustand geben. Jedenfalls nicht an den Universitäten. Viele haben sich im eigenen Zuhause eingerichtet. Gerade diejenigen, die lange Anfahrtswege haben, finden es angenehmer, sich diese Zeit und Mühe sparen zu können.


Andere wiederum, gerade schwächere Studierende und Doktoranden, werden depressiv, haben keine Struktur, trauen sich nicht, bei Klärungsbedarf andere anzusprechen. Aber das ist nur ein Problem von vielen. In meinem Seminar in diesem Semester beispielsweise war das wichtigste Thema Zeitmanagement und der Umgang mit Ablenkung, vor allem durch Mobiltelefon, Apps und Social Media. Dafür gibt es dann neue Apps, mit denen man bestimmte Funktionen eine Zeitlang ausschalten kann oder einen Baum pflanzen, wenn man längere Zeit ohne Videospiele durchgehalten hat und dergleichen mehr.


Ich denke, dass wir uns der Problematik, die sich durch Vereinzelung entwickelt, noch nicht einmal ansatzweise bewusst sind.

Lehre aus der Krise – wahrscheinlich keine!

Ich bin angesichts der Erfahrungen in der Covid-Krise überhaupt nicht zuversichtlich, was den Umgang mit noch größeren Herausforderungen wie die Bekämpfung der Klimakrise angeht oder die wachsende soziale Ungleichheit und die digitale Transformation.


Solidarität, Zusammenhalt, Gemeinsinn habe ich am Anfang der Pandemie sehr stark empfunden. Inzwischen überwiegt ganz klar der Egoismus. Ich sehe auch nicht, dass sich die Menschen meiner Generation einschränken werden, was Reisen, Auto-Mobilität und andere individuelle CO2-Fußabdrücke angeht. Ob es Jüngere tun werden, halte ich auch für fraglich. Und wenn doch, dann sicherlich auch nur ein kleiner Teil.


Unsere Tochter ist seit langem Vegetarierin, inzwischen Veganerin. In vielem sehr bewusst, aber nicht von einer politischen Theorie getragen. Von Kapitalismuskritik und Degrowth (Kritik am ständigen wirtschaftlichen Wachstumsimpetus) sehe ich bei den jungen Leuten wenig. Auch dass die Jugend und junge Erwachsene Hunger nach Welt-Erfahrung haben, kann ich wohl verstehen. Dennoch wäre Selbstbeschränkung, die sicherlich weh tut, notwendig.


Auch bei den Grünen in unserer neuen Regierung fehlt meiner Meinung nach ein nachhaltiges, konsequentes Konzept. Ich sehe nicht, dass tatsächlich eine echte Transformation hin zu einer Abkehr von Öl, Kohle, extraktiver Ökonomie und Konsumismus angestrebt wird.


Auch angesichts der vielen neuen Despoten und politischen Spannungen wird mir manchmal angst und bange beim Zustand der Welt. (JG)



Komfortabel im Home Office
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