Krankheit hat mein Leben verändert
- lisaluger
- 20. Nov. 2022
- 9 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 16. Juli 2023
(DE/UK) Es war der 26. April 1976, der Tag nach der Heirat meiner Freunde C. und H. Ich wachte mit einem entsetzlichen Schmerz im Bauch auf. Ich konnte kaum gehen oder stehen. An diesem Tag war ich auf keinen Fall fähig, zur Arbeit gehen. Stattdessen musste ich zum Arzt, um das abzuklären.
Mein Hausarzt hatte keine Ahnung, was mir solche schlimmen Schmerzen bereitete, und überwies mich an einen Spezialisten. Dies war der Beginn einer einwöchigen Odyssee. Ich wurde von Facharzt zu Facharzt, vom Internisten zum Nierenspezialisten geschickt, der mich mit Blick auf meinen harten und geschwollenen Bauch zum Gynäkologen überwies, weil er dachte, dass ich schwanger sei. Aber keiner hatte auch nur die leiseste Ahnung, was mit mir los war.
Allein mit Schmerzmitteln
Ausgerüstet mit vielen Schmerzmitteln wurde ich über das Wochenende nach Hause geschickt. Ein freundlicher Taxifahrer hatte Mitleid mit mir und half mir die Treppe zu meiner Wohnung hinauf. Alles, was ich wollte, war schlafen und dass die schrecklichen Schmerzen verschwinden. Wenn ich sterben musste, war das für mich auch in Ordnung, Hauptsache die Schmerzen verschwanden.
Von da an erinnere ich mich nicht mehr an viel. Meine Mutter sagte später, dass sie sich große Sorgen machte, da ich ihr am Telefon gesagt hatte, dass ich eine Woche lang nicht auf der Toilette gewesen sei und kein Wasser lassen konnte. Ich begann, dunkelbraunes Zeug zu erbrechen. Zum Glück beschloss mein lieber Freund und Nachbar, Achim, nach mir zu sehen, als er von einem Samstagabend mit seinen Freunden nach Hause kam. Er fand mich nicht ansprechbar vor und rief den Krankenwagen. Die Notärztin wusste auch nicht, was mir fehlte, erkannte aber zumindest, dass es sich um einen Notfall handelte, und brachte mich sofort ins Krankenhaus.
Ich war nicht beunruhigt, sondern eher erleichtert, dass endlich jemand die Initiative ergriffen und etwas unternommen hatte. Die freundlichen Ärzte im Schwabinger Krankenhaus in München erklärten mir, dass man auf dem Röntgenbild nicht viel erkennen konnte, und sie meinen Bauch öffnen müssten, um zu sehen, was los sei. Gerade als ich in den Operationssaal gerollt werden sollte, wurde ein junger Bursche hereingebracht. Sein Fall hatte Priorität, da er stark blutete. Die Krankenschwestern, die mit mir warteten, erzählten mir, dass er einen Motorradunfall gehabt hatte und seine Beine schwer verletzt waren. Möglicherweise würde man ihm beide Beine amputieren müssen. Wie schrecklich! Er tat mir so leid. Zwei Stunden später war ich an der Reihe und wurde um 4 Uhr morgens zur Operation gerollt.
Auflösung des Rätsels
Als ich aufwachte, war alles um mich herum weiß und ich hörte Glocken läuten. Einen Moment lang fragte ich mich, ob ich im Himmel sei, aber dann hörte ich laute Schreie neben mir. Es war der junge Mann in der Nachbarkabine, der ebenfalls aufgewacht war und gerade bemerkt hatte, dass seine Beine weg waren. Ich hatte so großes Mitleid mit ihm.
Ein Arzt steckte seinen Kopf in meine Kabine und teilte mir mit, dass ich sehr viel Glück gehabt hätte, denn wenn sie mich in der Nacht nicht operiert hätten, hätte ich nicht bis zum Morgen überlebt. Er erklärte mir, dass ich einen Darmtumor gehabt hätte, der eine Bauchfellvereiterung und eine Darmperforation verursacht habe. Die Operation habe sechs Stunden gedauert, weil sie einen Teil meines Darms entfernen und meine Eingeweide reinigen mussten. Sie hätten sich gegen einen künstlichen Darmausgang entschieden, da der Chefarzt, der noch in der Nacht geholt worden war, um meine Operation zu beaufsichtigen, es für eine junge Frau meines Alters unzumutbar fand, einen externen Darmbeutel zu tragen. Ich danke Ihnen, Herr Doktor! Vielen Dank!
Ich war fasziniert, das alles zu hören, aber es dauerte eine Weile, bis ich die Ungeheuerlichkeit dieser Ereignisse vollständig begriff. In den nächsten Tagen wurde ich von vielen verschiedenen Ärzten und Professoren befragt und untersucht. Es schien, als habe nie jemand ein derartiges Krankheitsbild bei einer 22-Jährigen gesehen. Es war allgemein als Alterskrankheit bekannt, was erklärt, warum keiner meiner Ärzte die Symptome zu deuten gewusst hatte.
Genesung bedeutet tiefer zu gehen
Ich brauchte eine Weile, um mich zu erholen, nicht nur physisch, sondern auch psychisch. Zuerst weigerte ich mich zu essen, da ich befürchtete, dass die Krankheit und die Schmerzen durch das Essen wieder von vorne beginnen würde. Ich wurde von den wunderbar fürsorglichen Intensivkrankenschwestern bestochen, damit ich etwas aß. Sie versprachen, mir ein kleines Glas bayrisches Bier zu geben, sobald mein Darm wieder arbeiten würde. Da ich durstig war und genug davon hatte, lauwarmes Wasser zu trinken, ging ich auf ihr Angebot ein.
Es dauerte eine Weile, bis ich merkte, dass ich nicht gesund werden und das Krankenhaus verlassen wollte, da das hieß, dass ich zu meiner Arbeit als Sekretärin zurückkehren musste. Ich war in diesem Job gelangweilt und sehr unglücklich. Schließlich kam mir in den Sinn, dass ich gerade dem Tod von der Schippe gesprungen war und eine zweite Chance für das Leben erhalten hatte und dass ich mit diesem neuen Leben etwas Sinnvolles anfangen musste.
Aber ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte oder was ich vom Leben wollte. Es gab keinen ernsthaften Freund in meinem Leben und ich war sowieso (noch) nicht daran interessiert, eine Familie zu gründen und Kinder zu haben.
Wie alles begann
Ich hatte die Schule als 15-Jährige verlassen, nachdem ich meine Mittlere Reife gemacht hatte. Wie viele meiner Freundinnen aus der Volksschule hatte ich eine Realschule für Mädchen besucht, die von katholischen Nonnen geleitet wurde und über vier Jahre zur Mittleren Reife führte. Ziel der Schule war es, uns Mädchen eine gute Allgemeinbildung zu vermitteln und uns darauf vorzubereiten, einen Haushalt zu führen und unseren zukünftigen Ehemann zu unterstützen. Wir lernten Kochen und Handarbeiten wie Stricken, Häkeln, Nähen und Sticken. In Physik brachte man uns die Funktionsweise der Thermoskanne und der Kochplatte bei. Aber wir lernten auch Buchführung, Stenographie und Schreibmaschinenschreiben. Diese Fertigkeiten wurden als sinnvoll erachtet, um vor der Ehe etwas Geld zu verdienen oder um sich vielleicht im Geschäft des Ehemannes nützlich zu machen oder um das Familieneinkommen aufzubessern oder als Zeitvertreib, sobald die Kinder erwachsen waren.
Nur wenige von uns 15- und 16-Jährigen wussten, was sie nach der Schule wirklich machen wollten. Einige wenige wollten mit Kindern arbeiten (Kindergärtnerin) oder sich um kranke Menschen kümmern (Krankenschwester). Bei den Wenigen, deren Väter ein Unternehmen hatten, war der Eintritt ins Berufsleben durch eine Tätigkeit im Familienbetrieb vorherbestimmt. Aber die große Mehrheit von uns anderen hatte keine Ahnung, was aus ihnen werden sollte.
Eine freundliche, aber im Grunde nutzlose Frau vom Arbeitsamt, die von unserer Schule eingeladen worden war, um uns zu beraten, begeisterte nicht gerade mit herausragenden Vorschlägen. Sie schlug vor, dass wir angesichts der Fertigkeiten, die wir in dieser Schule gelernt hatten, als Verwaltungsangestellte in einem Büro arbeiten und so unsere Stenografie- und Schreibfähigkeiten in der Praxis anwenden sollten. Die seltenen Male, die ich meinen Vater in seinem Büro besucht hatte, wo er als Buchhalter arbeitete, war ich von all den Büroutensilien auf seinem Schreibtisch beeindruckt. Neben den Lochern, Heftern und Aktenordnern fand ich es besonders faszinierend, ein Telefon zu benutzen, etwas, das wir zu dieser Zeit zu Hause nicht hatten. Auf der Grundlage dieser Indikatoren wurde irgendwie die Entscheidung getroffen, dass ich als Sekretärin in einem Büro arbeiten sollte. Bald darauf schloss ich mich acht anderen Klassenkameradinnen an und gemeinsam begannen wir, in einer örtlichen Bank zu arbeiten.
Als sich die Realität des Büroalltags abzeichnete, langweilte mich die tägliche Routine schnell. Ich war desillusioniert und dachte, es müsse mehr im Leben geben als das, was andere Leute mir zum Tippen und Ablegen gaben. In der Hoffnung durch einen Orts- und Jobwechsel einen interessanteren Arbeitsplatz zu bekommen und ein interessanteres Leben führen zu können, zog ich nach München, um dort bei einer Immobilienfirma als Sekretärin zu arbeiten. Nach drei Jahren war klar, dass meine Hoffnungen sich nicht erfüllt hatten. Mein Körper schlug Alarm. Ich war krank geworden und wusste instinktiv, dass ein radikaler Neuanfang gemacht werden musste.
Suche nach dem richtigen Weg
Ich hatte immer noch keine Ahnung, was ich vom Leben wollte, was meine Eignung und Neigung sein sollte. Unbeeindruckt von früheren Ratschlägen der Arbeitsämter dachte ich, dass es hilfreich wäre, jemanden zu konsultieren, der sich mit der Prüfung intellektueller und beruflicher Fähigkeiten auskennt.
Nach dem Krankenhausaufenthalt nahm ich Kontakt zu einem auf Intelligenztests spezialisierten Psychiatrieprofessor auf, dessen Telefonnummer ich in den Gelben Seiten gefunden hatte. Ich hoffte, dass er etwas Licht in meine Talente und Qualitäten bringen könnte, um mir bei der Entscheidung für einen neuen Berufsweg zu helfen. Vielleicht hätte ich es sogar drauf, an einer Universität zu studieren? Wer weiß das schon?
Das Ergebnis der zahlreichen Tests zeigte, dass ich mit einer mittelmäßigen Intelligenz gesegnet wäre und ein Talent für die Betreuung von Kindern hätte. Eine mögliche Karriere als Tagesmutter in einem Kindergarten war die Empfehlung des Professors. Sein väterlicher Rat war: „Träumen Sie nicht davon, an eine Universität zu gehen, weil ein Studium nicht Ihren intellektuellen Fähigkeiten entspricht“.
Was? Wie bitte? Mir war schon klar gewesen, dass ich weder ein Genie noch eine intellektuelle Überfliegerin war, aber seine Perlen der Weisheit hinsichtlich meiner Berufung schockierten mich ziemlich. Zumindest hatte ich eine Reihe von Karriereoptionen erwartet, aus denen ich wählen konnte, basierend auf der Wissenschaft psychologischer Tests, und nicht ein Urteil, das nur auf seinen männlichen Werten darüber beruhte, was ein junges Mädchen wie ich mit seinem Leben anfangen sollte.
Vertrau dir selbst!
Frustriert rief ich meinen Bruder an, der in Berlin Psychologie studierte, und bat um Rat. Seine Antwort war: „Ich sehe keinen Grund, warum du nicht an die Universität gehen solltest. Ich dachte nur immer, dass du kein Interesse an einem Studium hast.“
Von da an ging alles sehr schnell. Ein Freund erzählte mir von einem interessanten Schulprojekt in Berlin für erwachsene Schülerinnen und Schüler, das zum Abitur führen sollte. Diese alternative Schule war insofern etwas Besonderes, da Schüler und Lehrer die Schule gemeinsam betrieben. Die Schülerinnen und Schüler wurden als Gleichberechtigte respektiert und Schülerschaft und Lehrkräfte entschieden gemeinsam, welchen Stoff sie in welchen Fächern im jeweiligen Schuljahr lernen wollten. Das war genau das Richtige für mich und ich beschloss, es auszuprobieren.
Es gab nur eine kleine Hürde zu überwinden: Mein Vater war strikt gegen meine Idee, meinen Job aufzugeben und wieder zur Schule zu gehen. Aufgewachsen mit dem traditionellen Rollenbild von Mann und Frau, glaubte er nicht, dass es das war, was Mädchen tun sollten. Er wollte das Beste für mich und seiner Meinung nach war es das Beste für eine Frau, einen Mann zu haben, der sich um sie kümmert, und Kinder zu haben, die dem Leben einen Sinn geben würden. Leider war dies nicht das, was ich wollte. Aber er war nicht bereit, für mein Schulgeld und mein neues Leben als Studentin beizusteuern. Hinzu kam, dass ich selbst auch mit der beängstigenden Vorstellung fertig werden musste, dass ich, entgegen meiner jahrelangen Gewohnheit, kein regelmäßiges Monatsgehalt mehr haben würde.
Ich rechnete und erkundigte mich. Ich fand heraus, dass ich als erwachsene Studentin auf dem zweiten Bildungsweg Anspruch auf einen Studienkredit hatte, unabhängig vom Einkommen meiner Eltern. Mit diesem Kredit und etwas Arbeit neben dem Studium sollte ich in der Lage sein, das Schulgeld, die Miete und meine Lebenshaltungskosten zu bezahlen. Diese Strategie und die Befürwortung meines Vorhabens durch meine Geschwister überzeugten meinen Vater, mich das tun zu lassen, was ich tun wollte. Darüber hinaus ging er als Geste des guten Willens mit mir zum Einkaufen einer elektrische Schreibmaschine, die mir helfen sollte, Arbeit zu bekommen, z.B. das Abtippen von Dissertationen gegen Honorar. Natürlich musste ich die Schreibmaschine selbst bezahlen.
Start in ein neues Leben
Schließlich zog ich, ausgerüstet mit meiner neuen elektrischen Schreibmaschine, nach Berlin und schaute nie zurück. Ich war begeistert von der Schule, von Berlin und von meinem neuen Leben. Es gab so viel zu tun, so viel zu lernen. Ich hatte so viel nachzuholen und der Tag hatte nicht genug Stunden. Ich fühlte mich frei, alles zu tun und zu schaffen, und ich hatte so viel Energie. Ich engagierte mich in der Verwaltung der Schule, wurde Aktivistin in der Frauen-, Umwelt- und Friedensbewegung und engagierte mich in der Dritten Welt.
Übrigens erwiesen sich meine Tippfähigkeiten und meine kleine Olivetti Schreibmaschine als sehr nützlich. Sie verschafften mir viele Jahre lang ein Einkommen, nicht nur für mein Studentenleben in Berlin, sondern auch zur Finanzierung meiner Reisen, Projektarbeiten und Studien in verschiedenen lateinamerikanischen Ländern.
Die erlebte Erfahrung der alternativen Erziehung für Erwachsene, zusammen mit meiner Krankengeschichte, hat mich inspiriert. Beide Erlebnisse waren entscheidende Einflüsse und beides, Bildung und Gesundheit, waren in gewisser Weise eine Konstante während meiner gesamten beruflichen Laufbahn. Ich ging an die Universität, um Erwachsenenbildung zu studieren, und ich engagierte mich in Projekten der alternativen Bildung (Friedenserziehung, Umwelterziehung, Gleichberechtigung der Frau usw.). Ich arbeitete an Alphabetisierungskampagnen und an Projekten zur Gesundheitserziehung in Nicaragua. Zurück in Berlin wechselte ich in den Bereich der Gesundheitserziehung (Frauengesundheit und Gesundheitsförderung im weiteren Sinne) und der öffentlichen Gesundheitsfürsorge.
Meine Magisterarbeit in London beschäftigte sich mit dem Thema der Verbesserung der Gesundheitsversorgung für Migranten in Deutschland. Meine Doktorarbeit befasste sich mit der Entwicklung und Erprobung von Fortbildung zur Verbesserung der kulturellen Kompetenz von Mitarbeitern in Gesundheits- und Sozialdiensten, die mit Klientinnen und Klienten mit unterschiedlichen kulturellen und sozialen Hintergründen arbeiten.
Ich führte auch Forschungsarbeiten durch, in denen ich die Bereitstellung von Gesundheitsdiensten für Menschen mit HIV, Drogen- und Alkoholproblemen oder psychischen Gesundheitsproblemen sowie für Menschen, die häusliche Gewalt erlebt hatten, analysierte. Ich identifizierte Lücken und gab Empfehlungen zur Verbesserung der Gesundheitssysteme.
Nach jahrelanger Ausbildung von Krankenschwestern und Sozialarbeitern an einer Universität richtete ich ein Recovery College für Menschen ein, die unter Drogen- und Alkoholabhängigkeit und psychischen Gesundheitsproblemen gelitten hatten, und half ihnen so, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren und einen Arbeitsplatz zu finden.
Krankheit hat mein Leben veraendert. Diese Erfahrung half mir dabei meinen Studenten Mut und Zuversicht zu geben.
Feedback an Experten
Meine Botschaft an den Professor in München, der es für ausgeschlossen hielt, dass ich ein Studium absolvieren könnte:
Ich habe das Gegenteil bewiesen. Es steckte mehr, aber vor allem Anderes in mir, als die Arbeit als Kindergärtnerin in einem Kindergarten. Nicht, dass etwas Falsches oder Minderwertiges daran wäre, Kindergärtnerin zu sein, ganz im Gegenteil. Aber es war definitiv nichts für mich. Ich wollte etwas Anderes, ich wollte meinen Sinn im Leben finden, ich wollte eigene Träume entwickeln und ihnen folgen, ich wollte frei sein in der Wahl meiner Ziele, und ich wollte durch meine Arbeit anderen Menschen helfen, ihr Potential zu erreichen. Und all das habe ich erreicht, trotz oder vielleicht wegen einiger Stolpersteine wie Krankheit, unzutreffender Analysen und stereotyper männlicher Ansichten über Frauen. (LL)

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