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Busgeschichten 1 – Rettende Fürze

  • lisaluger
  • 20. Nov. 2022
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 10. Juni 2023

Busfahrt von Riobamba nach Cuenca, Ecuador, Mai 1980


Ich saß schon seit einer Stunde im Bus auf der sechsstündigen Fahrt von Riobamba nach Cuenca über die ecuadorianischen Anden und beobachtete fasziniert die Dämmerung am Horizont. Als wir um 4 Uhr morgens losgefahren waren, lag noch undurchdringliche Dunkelheit über dem Land. Aber nun konnte ich langsam die Umrisse der grandiosen Landschaft erkennen.

Die meisten Passagiere waren kurz nach der Abfahrt eingeschlafen und schnarchten mehr oder weniger laut vor sich hin. Es war Montagmorgen und daher befanden sich auch einige uniformierte Soldaten im Bus. Sie waren auf dem Rückweg in die Kasernen, nachdem sie das Wochenende bei ihren Familien, Freunden und Freundinnen verbracht hatten. Vermutlich hatten sie in den letzten beiden Tagen wenig Schlaf bekommen, denn ihr Schlaf war tief und fest.


Auch auf dem Sitz vor mir schlief ein junger Soldat völlig tiefenentspannt. Aber was auch immer ihm seine Mutter gekocht hatte, die Nachwirkungen waren zu hören und zu riechen. Er furzte im Schlaf ständig vor sich hin.

Der Gestank bildete eine sich ausdehnende Aura um den jungen Mann und schloss mich, die ich unmittelbar hinter ihm saß, mit ein. Es wurde immer unerträglicher. Da ich am Gang saß, konnte ich auch kein Fenster öffnen, um den üblen Geruch mit frischer Luft zu neutralisieren. Also ergab ich mich meinem Schicksal und kramte mein Fläschchen Chinaöl aus der Tasche, das ich als erfahrene Reisende für genau solche Fälle immer bei mir habe. Es half wirklich die Situation geruchsmäßig zu entschärfen, aber der Duft des Öls hielt mich auch wach.


Eigentlich war ich dankbar dafür, dass ich nicht auch dem Schlaf anheimfiel. Die Andenlandschaft, die sich vor meinen Augen ausbreitete, war spektakulär. Die Straße führte über Berge und durch Täler, oft an tiefen Abgründen vorbei. Im Dämmerlicht konnte ich den Vulkan Chimborazo mit seinem schneebedeckten Gipfel erkennen. Es war überwältigend und ich fühlte mich beglückt, das erleben zu dürfen. Ich beobachtete fasziniert den Busfahrer, wie er den Bus geschickt an steilen Abhängen entlang und um Kurven manövrierte.



Mit dem Bus durch die wunderschöne Andenlandschaft in Ecuador
Mit dem Bus durch die wunderschöne Andenlandschaft in Ecuador

Doch dann stutzte ich. Im Rückspiegel konnte ich von meinem Platz aus die Augen des Fahrers beobachten. Fast schien es so, als ob ihm von Zeit zu Zeit die Augenlider schwer wurden. Nein! Das konnte doch nicht sein! Aber ich sah ganz deutlich, dass er krampfhaft versuchte, die Augen offen zu halten, was ihm in immer kürzeren Abständen nicht mehr gelang.

Ich konnte nicht glauben, was gerade geschah. Das Leben der 50 Passagiere im Bus hing von diesem Fahrer ab, denn die Strecke durch das Gebirge war extrem gefährlich. Im Zwielicht erkannte ich, dass wir uns langsam auf eine sehr enge Kurve zubewegten, die die volle Aufmerksamkeit des Fahrers erfordern würde. Und offensichtlich fielen ausgerechnet dem ständig die Augen zu.


Ich war die einzig wirklich Wache in diesem Bus und wusste nicht, was ich jetzt tun sollte!

Ich könnte laut schreien?! Ich könnte aufspringen und klatschen?! Damit würde ich nicht nur den Busfahrer aufscheuchen, sondern auch alle anderen friedlich schlummernden Fahrgäste. Würde ich mich zum Narren machen? Die verrückte Gringa! Typisch, hysterisch und übertrieben ängstlich! Sie kennt sich nicht aus und mischt sich trotzdem überall ein!

Wenn allerdings ein Einheimischer die Gefahr auch sehen würde? Ihm würde man mit Respekt begegnen. Panisch sah ich mich um. Aber ich war tatsächlich die einzige, die die nahende Katastrophe erkannte.


Es ist merkwürdig, um nicht zu sagen völlig verrückt, dass einen in einer so lebensgefährlichen Situation Gedanken plagen, ob man sich wohl blamieren würde, wenn man einen Rettungsversuch unternähme. Aber genau so habe ich gedacht und gefühlt, während sich der Bus mit einem fast schlafenden Fahrer auf die Kurve zubewegte.


Endlich überwand ich meine Schockstarre, sprang auf, klatschte einige Male so fest in die Hände wie ich nur konnte und setzte mich sofort wieder hin, als wäre nichts geschehen.

Ein paar Passagiere schauten kurz auf, schliefen aber sofort wieder ein.

Nicht so der Fahrer! Er riss das Steuer noch rechtzeitig herum und nahm die Kurve ohne Probleme. Er war nun hellwach und ich schlotterte am ganzen Körper.

Im Spiegel suchte er meine Augen und ich konnte seine Erleichterung und Dankbarkeit darin sehen. Wir verstanden uns! (LL)

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