Busgeschichten 8: Mit dem Bus in Kolumbien unterwegs - Für 10 Dollar zu haben
- lisaluger
- 24. Nov. 2022
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 2. Juni 2023
April 1980. Region Popayan. Kolumbien.
Ich bin wieder einmal mit dem Bus unterwegs in Kolumbien, auf dem Weg von Popayan nach San Antonio. Dort sollte man, wie ich in meinem Reiseführer gelesen hatte, viele prähistorische Ausgrabungen besichtigen können. Mich faszinieren solche Einblicke in längst vergangene Zeiten. Daher war ich sehr gespannt, was mich dort erwarten würde.
Aber schon der Weg dorthin über holprige und kurvige Straßen durch die beeindruckende Andenlandschaft war ein Erlebnis.

Unser Bus war, wie in vielen ländlichen Gegenden Kolumbiens üblich, eine Chiva, das unbequemste, aber billigste Transportmittel. Eine Chiva ist ein lastwagen-ähnliches Gefährt mit Holzbrettern als Sitzbänken auf der Ladefläche. Unsere Chiva war voll besetzt. Auf jeder der fünf Sitzbänke saßen sechs bis sieben Menschen dicht gedrängt, samt Gepäck, Säcken voll Kartoffeln und Zwiebeln, sogar ein paar Hühnern und was sonst noch auf dem Markt ergattert worden war und nun nach Hause geschleppt wurde.
Es regnete heftig. Aber uns machte das nichts aus, denn wir saßen ja im Trockenen. Die Stimmung war gut. Meine Mitreisenden waren angeregt in Gespräche vertieft. So ein Markttag ist immer eine gute Gelegenheit, Bekannte zu treffen und den neuesten Tratsch zu auszutauschen.
Auch auf der vordersten Bank, wo inklusive Fahrer vier bis fünf Männer saßen, ging es geradezu ausgelassen zu. Sie lachten schallend und scherzten. Eine Flasche Aquadiente, das ist der örtliche Anisschnaps, kreiste in der gut gelaunten Runde. Von meinem Platz aus konnte ich nicht sehen, ob der Fahrer auch aus der Flasche trank, aber es hätte mich nicht gewundert. Angesichts der vielen Kurven und der ungeteerten und durch den Regen schlammigen Straße wurde es mir etwas mulmig. Aber der Fahrer steuerte seinen Bus sicher in und um die Kurven.
Und meine Mitreisenden waren alle gut drauf und und machten sich offensichtlich nicht die geringsten Sorgen. Es würde schon alles gut gehen. Schließlich hatte der Fahrer, wie die meisten Busfahrer in Lateinamerika, ein Kruzifix, ein Bild der Mutter Gottes und eines von Che Guevara vom Rückspiegel hängen. „Dios nos bendiga“, hieß es auf dem Schild am Armaturenbrett. Gott schütze uns - und wenn der nicht hilft, dann hilft bestimmt Che Guevara.

Nach einigen Stunden Busfahrt auf den harten Planken tat mir allmählich mein Allerwertester weh und ich war froh, als der Bus in einem kleinen Markt eine kurze Pause einlegte. Mit steifen Gliedern stieg ich aus dem Bus, um mir die Beine zu vertreten und mich zu dehnen und zu strecken.
Da kam ein kleiner alter Mann auf mich zugeeilt. Er war offensichtlich in heller Aufregung und schrie schon von weitem etwas, was ich nicht verstehen konnte. Dass er dabei mit einer 10-US-Dollar-Note hektisch winkte, machte das Verhalten noch rätselhafter.
Als er schließlich bei mir angelangt war und nach meinem Arm grapschte, um mich mit sich zu ziehen, war ich dann wirklich ratlos und geschockt gleichzeitig. Er war schmuddelig und stank erbärmlich nach Alkohol, aber seine Augen hingen an der jungen blonden Gringa, also an mir. Seine Hände zogen an mir und dabei hielt er mir immer wieder seinen Dollarschein aufmunternd vor die Nase. Keine Ahnung, was der Mann von mir wollte! Ich versuchte ihn abzuwehren, wie man eben jemanden abwehrt, der vielleicht einem Missverständnis erlegen ist und daher nichts für sein Verhalten kann.
Doch dann ging mir ein Licht auf. - Nein! Das darf doch nicht wahr sein! Absolut nicht! Ich schrie ihn laut an, mich los zu lassen, und wehrte mich mit Händen und Füßen. Rings um mich herum hatte sich eine Menschentraube gebildet, aber alle lachten nur. Ich fand das gar nicht witzig.
Das muss man sich mal vorstellen! Solche Avancen von so jemandem! Und dann noch für 10 Dollar! Und alle kriegten sich vor Lachen gar nicht mehr ein!
Die Situation wurde jedoch bald entschärft. Der Busfahrer mischte sich ein. Er bedeutete dem Mann, mich in Ruhe zu lassen und zu verschwinden. Der ging, aber nur widerwillig, schimpfte laut vor sich hin, seinen nutzlosen 10-Dollar-Schein wieder einsteckend. Das Gelächter dröhnte sicherlich nicht nur in meinen Ohren.
Der Busfahrer erklärte mir, der Mann habe zu viel Aquadiente getrunken und als eine wunderschöne Gringa dem Bus entstiegen sei, habe er seinen ganz persönlichen Glücksmoment kommen sehen. - Das sollte mich jetzt beruhigen?! Naja! Wenigstens fühlte ich mich wieder sicher.
Auch die anderen Fahrgäste begriffen allmählich, dass mir nicht zum Lachen zumute war. Sie kamen auf mich zu und ein paar Frauen trösteten mich und gaben mir von ihren leckeren gekochten Kartoffeln und Rüben etwas ab.
Tatsächlich lachten wir schließlich gemeinsam über das Szenario, wie der schmuddelige betrunkene alte Mann mit seinen amourösen Absichten kläglich an der verdutzten Gringa scheiterte.
Ich hätte jetzt trotzdem gern etwas von dem Anisschnaps gehabt, denn der Schock saß mir noch in den Knochen. Aber Schnaps war leider nicht im Angebot. Die Flasche war wahrscheinlich leer.
Bald danach stiegen wir wieder in unseren Bus und die Fahrt ging weiter. Einige Fahrgäste kicherten immer noch. Sie rückten näher - nun war ich ja eine von ihnen.
Ich aber grummelte insgeheim vor mich hin: 10 US-Dollar, was für eine Beleidigung!
(LL)
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