Klosterschulbildung in den 60ern
- anon
- 20. Nov. 2022
- 20 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 1. Juni 2023
(DE) Es ist ein heißer Sommertag 2019 als eine Gruppe älterer Damen fröhlich lachend und ratschend durch ihr altes Schulhaus geführt wird, das sie ziemlich genau vor 50 Jahren für immer verlassen hatten. Die junge Nonne, die die Führung der sehr ehemaligen Ehemaligen übernommen hat, kann sich der ausgelassenen Stimmung nicht entziehen. Lacht mit über die Erinnerungen an Turnhallen- und Umkleide-Düfte, an verunglückte Koch- und Nähkünste sowie an spezielle Unterrichtsmethoden einzelner Schulschwestern dieser Zeit. Die Modernität der heutigen Schulräume ist beeindruckend und nicht einmal im Ansatz mit dem zu vergleichen, was die 44 Mädchen im Herbst 1965 an ihrem ersten Schultag in der Klosterschule, einer kaufmännischen Realschule nur für Mädchen, erwartete. Nonnen beherrschten das Bild des Lehrkörpers, die Ausstattung war zeitgemäß einfach sowie jeglicher Technologie abhold und riesige Klassengrößen, die jede heutige Lehrkraft in die Flucht schlagen würden, waren die Norm.
Erziehungsziel einer Klosterschule für Mädchen: "Hinter jedem großen Mann...
Es hätte auch andere Realschulen in der Stadt gegeben, aber eine solide Erziehung in einer von Nonnen geführten Schule mit kaufmännischen Fächern sowie besonders nützlichem Unterricht für angehende Hausfrauen wurde von vielen Eltern wertgeschätzt. Die Mutter einer Mitschülerin jedoch hatte im Vorfeld noch erfolglos versucht, ihre Tochter in einer Realschule mit Jungs einzuschreiben. Sie scheiterte am Widerstand der Familie und der Tochter. In einigen Familien war es schon in der vorangegangenen Generation üblich gewesen, die Töchter in die Mädchenrealschule der Nonnen zu schicken. Oft hatten sich auch Mädchencliquen in den 6. Klassen der Volksschulen zusammengetan und wechselten geschlossen an die Realschule. Wie das in diesem Alter so üblich ist, folgt man den Freundinnen und nicht irgendwelchen dubiosen Vorstellungen einer nebulösen Zukunft.
...steckt eine große Frau!"
Da saßen sie dann in ihren Bänken und wurden an ihre Rollen als Untergebene, sei es als Mitarbeiterin in einem Unternehmen oder als Ehefrau, Mutter und Hausfrau, herangeführt. Über allem schwebte das Mantra der Klassenleiterin Schwester Orlanda, dass hinter jedem großen Mann eine große Frau stecke. Selbst in den Köpfen der 66-jährigen Frauen, die sich zum 50-jährigen Klassentreffen verabredet haben, ist dieses „Naturgesetz“ noch als Erinnerung präsent.
Heute hat jede Schule ein Leitziel formuliert, das sie auf der Webseite darlegt. 1965 hätten die meisten die Frage danach gar nicht verstanden. An dieser Klosterschule wäre die Antwort jedoch einfach gewesen. Sinngemäß hätte die Schwester Oberin, denn jemand anderes hätte eh nichts zu sagen gehabt, wohl dargelegt, dass man die Mädchen in erster Linie zu christlichen Ehefrauen und Müttern erziehen wolle. In zweiter Linie solle die Frau den Mann durch ihre zurückhaltende, hilfreiche Unterstützung beeindrucken und in seinen Unternehmungen begleiten, egal ob im Betrieb den Chef oder Kollegen oder zu Hause den Ehemann. Die Frau möge sich dem Manne unterordnen und ihm dienen und damit zum Wohlergehen der Gesellschaft beitragen. Die „Größe der Frau“, die hinter dem großen Mann steckt, bestand nach Vorstellung dieser christlich traditionellen Pädagoginnen der Klosterschule in den 60ern eher in Gehorsam als in Selbstbewusstsein.
Selbstverständlich wurden diese Erziehungsziele, die eigentlich dem Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetz nicht so wirklich gerecht werden, im Großen wie im Kleinen umgesetzt.
Mädchen mit Widerspruchsgeist mussten gezähmt werden.
Zu diesen Mädchen gehörte Monika K.. Sie erinnert sich, bis heute erbost, an einige Anekdoten:
„Irgendwann entdeckte ich, dass man den Anfangsbuchstaben meines Familiennamens, nämlich das „K“, auch schwungvoll schreiben konnte. Bei einer Liste, in der ich meiner kreativen Ader bei der Unterschrift freien Lauf ließ, fiel mein abweichendes K unangenehm auf. Die Folge war, dass ich zwei Seiten „Karl“ mit konventionellem „K“ schreiben musste. Was sollte ich einsehen? Was sollte der Lerneffekt sein? Dass Abweichung von der Norm sanktioniert wird? Dass man sich nicht von anderen abheben darf? Dass Individualität im Gegensatz zu Anpassung kein Wert ist? Mir schwante früh, dass ich mit diesen Erziehungszielen Probleme bekommen würde!
Ein anderes Szenario verschärfte dieses beklemmende Gefühl noch.
Ich war irgendwann zur Klassensprecherin ernannt worden und machte diesen Job eigentlich zur allgemeinen Zufriedenheit ganz ordentlich. Eines Tages kam es beim Völkerballspielen im Hof zu einer unterschiedlichen Einschätzung des Spielverlaufs zwischen mir und unserer Sportlehrerin, Frau Renner. Ich sollte das Spiel verlassen, weil ich getroffen worden sei. Ich hingegen wusste mit Sicherheit, dass dem nicht so war. Ich muckte erfolglos auf und trollte mich maulend ob dieser Ungerechtigkeit vom Platz.
Zwei Tage später holte mich Schwester Orlanda vor die Klasse und teilte mir mit, dass ich als Klassensprecherin abgesetzt sei, weil ich den Anordnungen von Frau Renner widersprochen hätte.
Widersprechen ein Verbrechen, mit dem Amtsenthebung einher geht!? Dieses Verständnis von Erziehung zum Gehorsam, zur Unterordnung, zur Hinnahme von Ungerechtigkeit ging mir völlig gegen den Strich.“
Disziplinierung durch Demütigung
„Und mit der Abstrafung ging auch immer eine gewisse Demütigung einher. Man wurde vor der ganzen Klasse bloßgestellt, gemaßregelt und bestraft. Eine Rechtfertigung, Verteidigung oder schlichte Meinungsäußerung wurde vor Publikum noch viel weniger geduldet.
So konnte ich auch nichts entgegnen, als ich einmal von unserer Klassenleiterin Schwester Orlanda nach vorne zitiert wurde. Sie zeigte mich der Klasse, weil ich ein ihrer Meinung nach viel zu kurzes Kleid trug. Dieses Kleid hatte mir mein Vater gekauft und es war mein erstes eigenes neues Kleid. Als Jüngste von drei Schwestern war ich, wie damals üblich, zum Auftragen der gebrauchten Kleider verurteilt. Leider machte ein Wachstumsschub schon bald aus meinem anständigen Kleid ein recht modern kurzes. Aber ich wollte es halt so gern noch tragen.
Für Belange dieser Art hatte man an unserer Klosterschule keinerlei Verständnis. Eitelkeit – eine Sünde! Aufreizende Kleidung – eine Todsünde! An den Pranger stellen – eine mittelalterliche Methode der Beschämung und Bestrafung – eine adäquate Erziehungsmethode! Niemand zog das in Zweifel!
Seltsam war auch die Disziplinierung durch die Schwester Oberin, die manches Mal an Samstagen nach Unterrichtsschluss um 12 Uhr stattfand. Wir strebten „flotten Schrittes“ und mit Sicherheit auch schnatternd und lachend über die Treppen laufend dem Ausgang zu. Schwester Oberin sah an einigen Samstagen die Notwendigkeit zur Intervention und ließ uns einige Zeit mucksmäuschenstill stramm stehen. Dass ich meinen Bus nach Lappersdorf deswegen versäumen würde, der erst am Spätnachmittag wieder fuhr, durfte ich selbstverständlich nicht vorbringen. Ich ging zu Fuß und der Samstag war somit gelaufen.“ (MK)
Sexualität im Keim ersticken
Alle, wirklich ausnahmslos alle Ehemaligen erinnern sich noch an die Kleidervorschriften in der Klosterschule. Es war zu keiner Jahreszeit erlaubt, Hosen zu tragen. Selbst diejenigen, die auch in der kälteren Jahreszeit mit dem Rad zur Schule fuhren oder in Eiseskälte längere Zeit auf den Bus oder den Zug warten mussten, durften nur in Röcken, die die Knie bedeckten, am Unterricht teilnehmen. Also schleppten die Mädchen Röcke mit in die Schule, um sich beim Radständer oder im Eingangsbereich zusätzlich mit einem Rock zu bekleiden. Natürlich wurden Miniröcke generell nicht (und nicht einmal über den Hosen) geduldet.
Aber selbstverständlich waren auch die Klosterschülerinnen Mädchen ihrer Zeit und krempelten sofort nach Verlassen des Schulgebäudes ihre Rockbünde mehrmals um, so dass wie von Zauberhand ein heißer Minirock entstand.
Ärmellose Blusen und Kleider, die ebenfalls verboten waren, konnte man leider nicht verwandeln, außer man trug in der Sommerhitze im Klassenzimmer eine Jacke. Es wurde den Mädchen erklärt, dass man dem Religionslehrer den Anblick von Achselhaaren beim Heben des Armes, um sich zu melden, nicht zumuten könne.
„Ich erinnere mich sogar, dass mir eine Schwester auf meine naive Frage, wieso das denn eine Zumutung sei, antwortete, die Achselhaare würden doch unappetitlich wie Würmer ausschauen. Manchmal denke ich, dass sich mittlerweile diese Sicht wohl in der Gesamtgesellschaft durchgesetzt hat. Das Entfernen der Körperhaare ist heute eine Frage des Gepflegtseins und kaum jemand erlaubt sich Wildwuchs außer auf dem Kopf. Ob das allerdings dazu geführt hätte, dass ärmellos kein Thema gewesen wäre, wage ich zu bezweifeln.“ (TA)
Natürlich ging es den Nonnen darum, aus den Mädchen so genannte anständige Frauen zu machen, die ihre Sexualität möglichst nicht entwickelten, keinesfalls zur Schau stellten und womöglich noch vor der Ehe auslebten und auch die Männer nicht verführten, was ja durchaus vorgekommen sein soll. Daher wurden geschminkte Gesichter, in denen sich schüchterne Einsätze von Make up, Lippenstift, Eyeliner und Wimperntusche abzeichneten, angeprangert und mussten vor der ganzen Klasse abgewaschen werden.
Anspruch und Realität
Um Eitelkeiten vorzubeugen, gab es keine Spiegel in den Toiletten! Monika erinnert sich:
„Ich raste nach meiner Radlfahrt in die Schule immer ins Klo, um mich kurz zu kämmen, ohne Spiegel zwar, aber immerhin auch nicht unter den missbilligenden Blicken einer Nonne. Einmal traute ich meinen Augen nicht, da waren doch in den vorhandenen Spiegelhaltern tatsächlich Spiegel angebracht. Schwester Orlanda teilte uns mit, dass an diesem Tag Schwestern vom Orden aus den USA zu Besuch wären, deshalb…..
Am nächsten Tag waren die Spiegel wieder weg! Diese Scheinheiligkeit hat mich damals sehr wütend gemacht. Und auch die Ungerechtigkeit einer Mitschülerin gegenüber, die das Jugendmagazin „Bravo“ gekauft hatte, über dem wir in der Mittagspause alle gebrütet hatten. Dieses „Vergehen“ war mit Sicherheit nur der Anlass für ihre Entlassung, denn unsere Mitschülerin trat ungewöhnlich selbstbewusst auf und war aufmüpfig und unbeeindruckt von Moralpredigten und Sanktionen, was wir anderen natürlich bewunderten und dennoch war ich geschockt und empfand diese Maßnahme als ungerecht.“ (MK)
Auch in anderer Hinsicht wurden die Nonnen den eigenen Ansprüchen ganz offensichtlich in keiner Weise gerecht. Es gab Neid und Missgunst untereinander, was für Kinder und Jugendliche deutlich zu spüren war.
„Weil es in meiner Familie viel Streit gab, überlegte ich eine Weile, ob ich nicht ins Internat meiner Schule eintreten sollte. Als ich jedoch eines Tages beobachtete, dass eine Schulschwester ihrer Mitschwester, die offensichtlich als Putzfrau auf der Treppe ihren Dienst tat, mit dem Fuß zu verstehen gab, sie möge Platz machen, war dieser Gedanke vom Tisch. Wo blieben da Gleichheit, christliche Nächstenliebe und Demut statt Hochmut?“ (TA)
Man muss sagen, dass die Nonnen zwar ihre christlichen Moralvorstellungen massiv durchsetzten und auch im Unterricht einfließen ließen, aber ihr Blick auf die Schülerinnen als potenzielle Novizinnen nicht spürbar oder aufdringlich war.
Marianne erinnert sich noch an ein abschließendes Gespräch mit der Klassenleiterin Schwester Orlanda, die resigniert beim Abschied zu ihr sagte: „Bei dir hab ich ja gemeint, dich bring ich ins Kloster. Aber du bist zu Geld bezogen. Naja, ich wurde tatsächlich Bankerin!“ (MS)
Kaufmännisches für Mädchen
Da es sich um eine kaufmännische Realschule handelte, waren zentrale Fächer kaufmännisches Rechnen, Buchführung, Maschineschreiben und Stenografie. Der Unterricht war sachlich und anspruchsvoll und durchaus praxisnah. Hier gab es keine ideologischen oder religiösen Verwerfungen, sondern logisches Denken, Schnelligkeit und Geschicklichkeit. In den 70er Jahren waren diese Kenntnisse und Fähigkeiten gut zu gebrauchen, da es noch keine Computer und Buchhaltungsprogramme gab. Wer das 10-Finger-System an der Schreibmaschine perfekt beherrschte, war dann später auch auf der Computer-Tastatur schnell. Und wer eine Kalkulation aufstellen konnte, von Konten und Bilanzen wusste, konnte in seinem eigenen Haushalt, im kleinen Unternehmen oder auch im Computerprogramm großer Firmen den Ein- und Überblick behalten. Diese Ausbildung machte tatsächlich Sinn, auch wenn man nicht Sekretärin werden wollte.
Lisa erinnert sich:
„Mir machte kaufmännisches Rechnen und Buchführung Spaß, es hatte jene Logik in sich, die ich verstehen und anwenden konnte. Bis heute zahlen sich diese Kenntnisse aus, da ich als selbständige Beraterin kalkulieren, abrechnen und meine Steuererklärung machen muss. Ich bin immer noch gut im Kopfrechnen und es ist von Vorteil, meine Finanzen professionell im Blick zu haben. Auch Stenographie fand ich nützlich. Ich konnte bei Vorträgen, in Versammlungen und Meetings immer schnell protokollieren, was gesagt wurde. Diese Aufgabe wurde mir daher auch gerne zugeschoben. Der Nachteil war, dass ich dadurch leider kaum Gelegenheit hatte, selbst etwas beizutragen, weil ich zu sehr damit beschäftigt war, die Diskussionsbeiträge festzuhalten. Während des Studiums und später in Arbeitsgruppen, wenn hauptsächlich klassische Abiturienten am Tisch saßen, die weder gut Schreibmaschine schreiben noch Stenografie konnten, hätte man mich manches Mal gern auf dieses Abstellgleis geschoben.
Mit dem Maschinenschreiben hatte ich aber im Unterricht so meine Probleme. Zwar hatten meine Finger bald den Trick raus, von der Basisstation (links asdf und rechts jklö) aus mit 10 Fingern zu operieren und ich wurde auch flink, weil ich auf der alten Mercedes Schreibmaschine meines Vaters fleißig übte, aber unsere Lehrerin entwickelte sich für mich zum Problem. Diese junge Novizin, die sich auf mich, aus welchen Gründen auch immer, eingeschossen hatte, machte mich nervös. Jedes Mal, wenn wir einen Test schrieben und 10 Minuten lang schnell und korrekt einen Text abtippen mussten, stand sie hinter mir und sah mir auf die Finger. Folglich vertippte ich mich ständig und man muss wissen, dass man Fehler auf Papier getippt nicht einfach löschen konnte, was allerdings sowieso die Geschwindigkeit beeinträchtigt hätte. Mein Versagen wiederum bestätigte bei ihr den Verdacht, dass ich zu ungeschickt sei und sie tadelte mich dafür. Beim nächsten Mal stand sie dann prompt wieder neben oder hinter mir, schaute mir besorgten Blickes auf die Finger und löste den gleichen Mechanismus aus. Ich kriegte es nicht hin. Trotzdem ist mein schnelles 10-Finger-System beim Tippen mein ganzes Leben lang sehr nützlich gewesen. Als Studentin verdiente ich mir sogar meinen Lebensunterhalt damit, indem ich flink, korrekt und zuverlässig Diplom- und Doktorarbeiten für andere tippte.“ (LL)
Handarbeit – eine unterschätzte Kunst
„Erinnerst du dich noch, was für ein grauenhaftes Babyjäckchen du gehäkelt hast? Der Bizeps war gigantisch und sonst passte auch nichts zusammen“, fragt meine Freundin Luise immer wieder mal, wenn wir über unsere Schulzeit sprechen. Heute noch schütten wir uns aus vor lachen über unsere selbst genähten Nachthemden mit den überproportional riesigen oder hautengen Ärmelchen, die den Gebrauch dieser Bekleidung schier unmöglich machten. Ein Jahr später habe ich nochmals einen Versuch gewagt. Ich häkelte mir einen lila Bikini. Das Ergebnis war sensationell und trug regelmäßig zur allgemeinen Erheiterung meines Freundeskreises bei. Wenn ich nämlich dem Wasser entstieg wie Venus dem Meerschaum hingen die mit Wasser vollgesogenen Bikiniteile an mir runter und im Zweifelsfall konnte ich das vorher knapp sitzende Bikinihöschen fast bis zu den Schlüsselbeinen hochziehen. Aber ich habe es versucht, meine Handarbeitskenntnisse anzuwenden. Allerdings musste ich meine Talentfreiheit schließlich akzeptieren.“ (TA)
Für Helga war Handarbeit eines der Lieblingsfächer und sie sagt heute, dass es ihr ein Leben lang genützt habe, nähen und stricken usw. gelernt zu haben. Allerdings heißt das nicht, dass alles gelungen sei, was sie so im Rahmen des Handarbeitunterrichts fabriziert habe:

„An die Baby-Ausstattung (bestehend aus Jäckchen, Mützchen, Schühchen) erinnere ich mich noch genau… Mein Babyjäckchen war weiß, im Büschelmuster gehäkelt mit zartgrünem Rand und Bommelchen. Das Mützchen stellte sich später im wahren Leben als zu groß heraus, das Jäckchen hätte ich nur ans Kind gebracht, indem ich ihm die Ärmchen gebrochen hätte, da die Ärmel zu eng waren. Nicht mal einer Puppe konnte ich das Teil anziehen. Aber das Taufkleid (weißer Satin mit selbst bestickter Tüllspitze) haben meine beiden Jungs zur Taufe getragen und vor 3 Jahren habe ich es für 15€ über ebay an eine begeisterte junge Mutter verkauft!“ (HG)
Der Lehrplan dieser Jahre sah vor, dass alle Mädchen wissen mussten, wie man stickt, strickt, häkelt und näht sowie Strümpfe und Wäsche stopft. Das war keine Frage. Diese Fertigkeiten waren in der Tat nicht mehr ganz zeitgemäß, denn die Kleidung wurde immer billiger und minderwertiger. Stickereien kamen aus der Mode und gehäkelte Topflappen erfreuten sich bei Müttern und Großmüttern auch nicht mehr so großer Beliebtheit wie früher.
Lisa erinnert sich:
„Wir haben Socken gestrickt, wie es meine Mutter früher getan hatte, und Babyjäckchen gehäkelt. Die waren entweder rosa oder hellblau. Ich habe schon damals gegen Kennzeichnung des Geschlechts rebelliert und deshalb gelbe Wolle mitgebracht. Die hässlichen bestickten Tischdecken und Paradekissen habe ich nie benutzt. Nachdem sie Jahrzehnte lang unbenutzt auf unserem Speicher gelegen hatten, hat sich schließlich meine Mutter erbarmt und sie in Gebrauch genommen. Auch den knielangen Rock aus altmodischem Grätenmusterstoff habe ich nie getragen.“ (LL)
Monika weiß jedoch noch von einem besonderen Anlass:
„Erst kürzlich hab ich daran gedacht, als wir im Eisstadion bei der feierlichen Eröffnung einer Veranstaltung mitwirken durften. Wir hatten alle in der Handarbeitsstunde ein weißes kurzes Faltenröckchen genäht und dann im Eisstadion nach einer Choreografie getanzt. Ich kann mich nur erinnern, dass ich so aufgeregt war und bei den paar Schritten, die wir eingeübt hatten, trotzdem gepatzt habe.“ (MK)
„Und ich bin vor lauter Aufregung krank geworden und konnte bzw. brauchte bei dem Auftritt erst gar nicht mitzumachen. Faltenröcken hin, Faltenröcken her!“ (LB)
Wahrscheinlich fällt heute das Urteil über die Nützlichkeit des Faches Handarbeit anders aus als damals bei den jungen Mädchen der 60er. Wer trug schon selbst gestrickte Socken? Wo wurden noch Socken gestopft, wenn die dünnen Synthetiksöckchen doch eh billig waren. Feine Nylonstrümpfe waren eher gefragt. Selbst genähte Kleidung war nicht angesagt, sondern Klamotten von der Stange. Das war modern und schick. Und wer sich gegen Ende der Schulzeit der Hippiebewegung verbunden fühlte, trug sowieso abgewetzte Klamotten und Schlabberlook.
Heute hingegen legt man viel Geld für Hand gestrickte Ware hin. Ein maßgeschneidertes Kleid kann sich kaum jemand leisten und daher selig, wer die Kunst des Nähens nicht nur in seiner Jugend gelernt, sondern weiterentwickelt hat und zur eigenen Schneiderin avanciert ist.

Was wohl ein ganzes Erwachsenenleben hindurch sogar bei den untalentierten Schülerinnen hängen geblieben sein dürfte, ist, dass die meisten Mädchen von damals wenigsten Hosen und Röcke kürzen, Vorhänge und Kissen nähen konnten und sich im Zweifelsfall zu helfen wussten, wenn ein Reißverschluss kaputt ging oder ein Lieblingspullover ein Loch hatte. Manche waren sogar fähig, Puppenkleidchen für die Kinder zu häkeln, zu stricken oder zu nähen oder auch für den Fasching das Prinzessinnenkleid für die Tochter oder den Vampirumhang für den Sohn.
Das ist schon was.

Als 2020 handgenähte Masken vor Corona-Viren schützen sollten, machten sich sogar einige spontan daran, ganze Kollektionen herzustellen. Gelernt ist eben gelernt!!
Kochen – wirklich von Nutzen
In der 10. Klasse wurden die Mädchen in der Schulküche im Keller unterrichtet und zwar theoretisch und praktisch. Das Schulgeld von 20 DM monatlich wurde erhöht, um die Kosten für die Zutaten zu decken.

Wenn man bedenkt, dass heute in Deutschland gerade in ärmeren Haushalten teuerere und minderwertige Fertigprodukte auf den Tisch kommen, weil viele der Erwachsenen nicht mehr fähig sind, aus frischen Produkten eine Mahlzeit herzustellen, dann weiß man die Intention der damaligen Kochlehrkraft erst richtig zu schätzen. Keine ihrer Schülerinnen stand jemals hilflos vor frischem Gemüse oder Obst, einem fast leerem Kühlschrank oder altem Brot.
Es ging der Schulschwester für Kochen nicht nur darum, Grundkenntnisse des Kochens zu vermitteln, sondern dazu zu befähigen, aus zufälligen Resten eine Mahlzeit zaubern zu können. Man spürte, dass die Erfahrung des Lebensmittelmangels in der Kriegs- und Nachkriegszeit selbst Ende der 60er Jahre noch sehr präsent war. Und die Menschen misstrauten dem Wirtschaftswunder, hielten es für eine vorübergehende Erscheinung und wollten für Rückschläge gewappnet sein, indem nichts weggeworfen werden sollte und man angehende junge Frauen befähigte, aus allem etwas zu machen.
Und im Zweifelsfall gab`s das Rezeptheft mit Einträgen zu allen möglichen, meist einfachen und damit auch preisgünstigen Gerichten.
Hier einige Ausschnitte aus unserer Rezeptsammlung:



Monika erinnert sich:
„Noch heute könnte ich „Äpfel im Schlafrock“ nach meinen damaligen Aufzeichnungen machen. Allerdings erinnere ich mich nicht mehr, wie die Ananastorte schmeckte, die wir bei der Abschlussprüfung machen mussten. Ich glaube, so etwas Luxuriöses wurde ausschließlich den Schwestern vorgesetzt.“ (MK)
Helga weiß noch von selbstgenähten Kopftüchern zu berichten, die aus hygienischen Gründen getragen werden mussten und sie kann sich noch an den scheußlichen Geschmack eines Nescafé-Caramel-Puddings erinnern, der heimlich im Abfluss landete. Aber das während der Schulzeit selbst geschriebene Kochbüchlein zieht sie noch heute zu Rate. (HG)
Auch Lisa sind einige Speisen wie Rahmschnitzel, Liptauer und Selleriesuppe besonders in Erinnerung geblieben. „Aber ich muss gestehen, dass ich am meisten von den Kochtipps zur Resteverwertung profitiert habe. Ich öffne den Kühlschrank, finde darin karge Reste von irgendwas und habe sofort eine Idee, wie ich ein wohlschmeckendes Essen zubereiten könnte. Kochen hat mir immer schon Spaß gemacht und ich bin gut darin.
Allerdings erinnere ich mich noch an das Grießschnitten-Fiasko in der Schule. Aus irgendeinem Grund konnten die wenigsten diese pampigen Dinger hinunterwürgen. Aber es war unsere Pflicht, das Selbstgekochte auch aufzuessen. Unsere Lehrerin achtete streng darauf. Also dankten wir der Vorsehung, die dafür gesorgt hatte, dass wir an unseren Schürzen Taschen hatten. In die wanderten die vermaledeiten Grießschnitten, bis wir sie auf der Toilette entsorgen konnten. Leider waren die so pappig, dass sie in dieser Menge das Abflusssystem des alten Schulhauses überforderten. Wir hatten einige Zeit verstopfte Klos und fürchteten immer, dass das Corpus Delicti, also unsere Grießschnitten, auftauchen und uns als Verschwenderinnen entlarven würden. Aber dieser Kelch ging an uns vorüber.
Ein anderer Kelch, besser gesagt eine Flasche Wein, ging nicht an uns vorüber, sondern fiel meiner Vierer-Koch-Gruppe in die Hände. Für die Soße einer Nachspeise war etwas Wein benötigt worden und so gab es eine Flasche Wein in unserem Sichtfeld. Ein glücklicher Zufall führte dazu, dass wir beim Aufräumen allein in der Küche waren und uns ein paar Schluck Wein genehmigen konnten. Selig und fröhlich kichernd nahmen wir völlig tiefenentspannt an den folgenden Unterrichtsstunden teil. Keiner hat’s gemerkt!“ (LL)
Luise hingegen war von den ordnenden Regeln sehr beeindruckt und versuchte daheim ihre Mutter zur strikten Unterscheidung von Geschirrtüchern für Gläser, Essgeschirr und Töpfe zu bekehren. Mutti winkte jedoch souverän ab. (LB)
„Meine Erinnerungen an die Kochstunden sind ganz andere. War Handarbeiten schon nicht meine Gabe, so konnte ich auch beim Kochen keinen Blumentopf gewinnen. Weder das eine noch das andere waren mein Ding! Eines Tages drückte mir die Schwester während des Kochunterrichts einen Schraubenzieher in die Hand und bat mich, die Schrauben am Hängeschränkchen festzuziehen, dann kamen Tisch und Stühle. Ich war selig. Hier war ich an der richtigen Stelle. Ich habe sicher auch kochen gelernt, wie meine Familie bestätigen kann. Musste ich ja auch! Aber ich erinnere mich voller Stolz nur an meine Handwerkerleistung während des Kochunterrichts in der Schule.“ (TA)
Naturwissenschaften und Schwester Adele
Wir alle saßen in unserem in Stufen aufsteigenden Physiksaal und erwarteten Schwester Adele, unsere 80-jährige, kleine zierliche Physiklehrerin. Oft erschien sie mit einem schwarzen Tuch oder einem Teil ihres Schleiers tief ins Gesicht gezogen. „Kinderchen, macht das Licht aus oder wahlweise die Vorhänge zu! Ich habe solche Kopfschmerzen!“, war die Erklärung für ihr Auftreten. Seufzend stellte sie sich ihrer Aufgabe und begann den Unterricht mit der Ankündigung, dass man nun wieder schauen wolle, wie der Liebe Gott das alles so schön eingerichtet habe. Manchmal übermannte sie auch das Elend ihres Lehrerinnenschicksals und sie haderte: „Kinderchen, was soll ich euch mit der schweren Physik belasten! Ihr heiratet ja sowieso und bekommt Kinder!“
In Sachen Motivation war sie offensichtlich nicht wirklich hilfreich. Monika erinnert sich:
„Einmal hatte sie einen Transformator aufgebaut, der eine Glühbirne zum Leuchten brachte. Eine Schülerin nach der anderen wurde nach vorn gerufen und sollte die Funktionsweise der Hexenmaschine erklären. Keine konnte es. Der Rest der Klasse und ich wurden immer kleiner in unseren Bänken. Aber es taten sich keine Mauselöcher auf, in die man hätte flüchten können. Es kam wie es kommen musste, mein Name wurde aufgerufen. Zögerlich ging ich nach vorne, blickte das Gerät ratlos an und gab wieder, was ich mit meinen eigenen Augen sah: „Ja, also da ist der Stecker und vorne brennt die Glühbirne.“ Schwester Adele schaute mich gedankenverloren an, schüttelte dann den Kopf und verkündete gefasst: „Setz dich! Du bist so blöd wie die anderen.“ Dieser Satz hat sich mir bis heute eingeprägt und daher nicke ich auch zustimmend, wenn mein Mann, seines Zeichens Maschinenbauingenieur, abwinkt und sagt: „Du mit deiner Niedermünsterphysik!“ (MK)
Aber immerhin, sie brachte uns die Gesetze der Physik anwendungsbezogen nah. Wir lernten, wie eine Thermoskanne funktioniert und eine Kochplatte. Es gibt moderne methodisch-didaktische Ansätze, die so ein Vorgehen befürworten würden. Vielleicht war Schwester Adele in mancher Hinsicht ihrer Zeit voraus?
Auf jeden Fall meinte sie es gut mit uns Mädchen. Wenn wir eine Physikschulaufgabe schreiben mussten, kündigte sie immer an, wenn sie beabsichtigte, durch die Reihen zu gehen. Dass es dann in den Bänken krachte, weil wir unsere Physikbücher schlagartig unter die Bänke schoben, hat sie geflissentlich überhört.
Und sie hatte noch einige lebenspraktische Unterrichtsinhalte für die so schwierigen Physikstunden parat. Wir sollten eine Tischgesellschaft in Erstaunen versetzen können, indem wir fähig und willens waren, eine Banane mit Messer und Gabel zu essen.
Selbst für unser zukünftiges glückliches Eheleben konnte sie etwas beisteuern. Wir hätten eine gewisse Chance, unsere Ehemänner zu halten, wenn wir unsere Nachthemden bügelten, offenbarte sie uns. Wusste sie, dass die Nachthemden, die wir im Handarbeitsunterricht genäht hatten, so rau waren, dass man damit sogar den anspruchslosesten Ehegatten in die Flucht schlagen konnte?
Naja, Schwester Adele hatte ihre Momente und wahrscheinlich hat sie niemals erfahren, dass Männer keinen gesteigerten Wert auf gebügelte Nachthemden legen und Mädchen, auch wenn sie heiraten und Kinder kriegen, die schwierige Physik doch verstehen wollen. Sie war mit dieser Einschätzung in den 60er Jahren jedoch nicht allein.
„Trotz meiner mangelhaften Vorbildung habe ich es gewagt, in einem mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasium die Übergangsklasse zu besuchen, um in die Oberstufe zu gelangen und Abitur machen zu können. Bezeichnenderweise gab es an der ganzen Schule zu diesem Zeitpunkt insgesamt 5 Mädchen, wovon zwei eben diese Übergangsklasse besuchten. Das Ausmaß meiner Unkenntnis war gigantisch und ich litt Höllenqualen. Aber ich habe es geschafft und wechselte dann an das neue wirtschaftswissenschaftliche Gymnasium. Hier gab es zwar auch richtigen Physik-, Chemie- und Mathematikunterricht, aber auch kaufmännische Fächer. Das war meine Chance, denn ich habe mir in den Naturwissenschaften niemals wirklich etwas zugetraut. Schwester Adele sitzt tief!“ (TA)
Es hat noch viele Jahre gedauert und ist bis heute, über 50 Jahre später, im deutschen Schulsystem ein besonderes Anliegen und nicht selbstverständliche Normalität, Mädchen für die Naturwissenschaften zu begeistern. Offensichtlich gibt es äußere und innere Hürden, die nur langsam abgebaut werden können.
Englisch – Sprachfertigkeit und Sprachlosigkeit
„Englisch war mein Lieblingsfach und unsere Englischlehrerin, Schwester Germana, war eine wunderbare, fast weltliche Lehrkraft“, erinnert sich Helga.

„Sie erzählte viel von ihren Reisen, die sie gemacht hatte und das interessierte mich brennend. Ich wollte auch reisen und meine Englischkenntnisse erweitern und anwenden. Allerdings dauerte es noch einige Jahrzehnte, bis ich mir diesen Traum wirklich erfüllte. Weil ich mich in meinem Sekretärinnenjob langweilte, besuchte ich im Cambridge Institut in München neben der Arbeit Englisch-Kurse und machte mein First Certificate. Regelmäßig besuchte ich Malta, um bei strahlendem Sonnenschein meine praktischen Sprachkenntnisse in Englisch zu verfeinern und schließlich konnte ich dort sogar bei der Botschaft eine Stelle bekommen. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.“ (HG)
Luise hat die Englisch-Stunden anders in Erinnerung:
„Ich hingegen habe bis heute Hemmungen Englisch zu sprechen, denn mich hat Schwester Germana niemals aufgerufen. Ich habe immer Vokabeln gelernt und war bestens vorbereitet, meldete mich aber nie vor lauter Angst, einen Fehler zu machen. Also war ich nach der Stunde stets froh, wieder davongekommen zu sein. Renate und Helga waren für unsere Lehrerin die Gesprächspartnerinnen. Sie trauten sich reden und wurden entsprechend gefördert. Dass ich im Englisch-Unterricht nicht gefordert wurde, hat mir gezeigt, dass sogar meine Lehrerin mir in diesem Fach sprachlich nichts zutraute. Ich hatte keine Chance auf ein noch so kleines Erfolgserlebnis, das mich vielleicht aus meiner Schüchternheit und Unsicherheit heraus geholt hätte. Das ist eigentlich schade, denn mein Mann und ich sind immer viel gereist und ich habe ihm meist die „Sprich-du-mit-den-Leuten-Englisch-Karte“ zuschieben müssen.“ (LB)
Auch Monika war froh, dass Schwester Germana selten ausgefragt hat. „Ich habe daher das Risiko auf eine schlechte Note in Englisch für recht niedrig gehalten und vorsichtshalber keine Vokabeln gelernt. Allerdings mussten wir dann als erster Jahrgang in Englisch eine mündliche Abschlussprüfung ablegen und noch Jahre danach hatte ich deswegen Alpträume, denn ich hatte ja definitiv nichts gelernt. Mein Vortrag „outer Hebrides“ war jedoch dennoch ein Erfolg und meine Note übertraf meine tatsächlichen Sprachkenntnisse um einiges.“ (MK)
Über die methodisch-didaktischen Fähigkeiten von Schwester Germana kann man sich also streiten. Fest steht, dass es für die klösterlichen Lehrerinnen durchaus darum ging, anwendbares Wissen zu vermitteln. Aber wenn es keinen lebenspraktischen Bezug zu unseren zukünftigen Rollen als vorübergehende dienstbare Bürokraft, Ehefrau, Hausfrau und Mutter hatte, dann versuchte niemand dieses Wissen zu erden und zu vertiefen. Es gehörte zur Allgemeinbildung, mit der man in Gesellschaft nicht unangenehm auffiel oder bestenfalls jemanden beeindrucken konnte. Aber niemand erwartete ernsthaft, dass es in einem eigenen Berufsleben beim Erklimmen einer Karriereleiter zur Anwendung kommen könnte. Mancher Lehrstoff blieb im luftleeren Raum hängen.
Während heute Schüleraustausch mit dem Ausland gepflegt wird und jedem klar ist, dass man Englisch sprechen können muss, weil man beruflich und privat nun mal in der Welt herumreist, war das damals noch keine Selbstverständlichkeit. Klar, die Liedtexte der Hitparade waren Englisch, aber im Alltag und in den Zukunftsvisionen von Realschülerinnen einer mittleren Großstadt spielten Fremdsprachen noch keine große Rolle.
Erziehung in der Zeitenwende
Es waren halt die 60er und wie heute jeder weiß, änderten sich die Zeiten. Die Nachkriegszeit, von der Verdrängung von Schuld und Kriegstrauma sowie Wiederaufbau geprägt, war in den 50ern vom stetig wachsenden Konsumrausch der Wirtschaftswunderjahre abgelöst worden. Die Gesellschaft glaubte dennoch an die alten Werte wie Fleiß, Gehorsam, Pflichterfüllung und Anerkennung der institutionellen Autoritäten, denen Menschen- und Bürgerrechte im Selbstverständnis der Bevölkerung im Grunde untergeordnet waren.
Besonders deutlich wird das an den Rechten der Frauen. Mit einiger Mühe einer Kassler Juristin war die Gleichberechtigung der Frauen 1949 in den Grundrechten des Grundgesetzes gelandet. Dennoch wurde erst 1977 das Gesetz aufgehoben, in dem der Ehemann zustimmen musste, wenn seine Frau berufstätig sein wollte. Sie durfte das nur, wenn dies mit „ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar“ war. Und das beurteilte natürlich der Ehemann. Auch für das Eröffnen eines Kontos benötigte die Gattin die Unterschrift des Gatten.
Es war also keineswegs eine abwegige, aus der Zeit gefallene Erziehung, die die Schulschwestern ihren Schülerinnen damals angedeihen ließen. Sie spiegelte auch die Vorstellungen vieler Väter und Mütter wider.
Gleichzeitig waren die 60er auch eine Aufbruchszeit voller Widersprüche.
Einerseits protestierten die Studenten in den Hörsälen und auf den Straßen, forderten die schonungslose Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit, prangerten die Gefahren durch die Notstandsgesetze an, setzten den engstirnigen Moralvorstellungen sexuelle Freiheits- und Selbstbestimmungsrechte entgegen. Andererseits überließen sie doch ihren weiblichen Kommilitoninnen die Kleinarbeit zur Unterstützung der revolutionären „Helden“ und setzten sie oftmals sexuell unter Druck mit der Feststellung, ‚Du bist wohl frigide!‘, und indem sie die Definition von „Spießertum“ allein für sich beanspruchten. Der Spruch, „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment!“, sagt alles. Auch die Generationen rund um die legendären 68er waren Kinder ihrer Zeit. Aber dies ist ein ausführliches Thema für weitere Artikel.
Von alledem bekamen wir in unserer Schule wenig mit. In unserer Mädchenschule blieb jedenfalls die Überzeugung bestehen: Mädchen sollten Wissen und Können erringen, um dienen zu können. Aber die Frage ist, wem dienen! Für die Nonnen war das natürlich der Ehemann. Die meisten von uns Mädchen, die aus den 60ern hervorgingen, folgten dieser Blickrichtung früher oder später nicht mehr. Das Modell des Ehemanns als Orientierungspunkt und alleiniger Identifikationsfigur hatte langsam ausgedient.
Aber wir waren nun Mal geschult darin, aufgaben- und lösungsorientiert zu denken und zu handeln. Und daran ist wiederum nichts falsch! Während die Jungs als zukünftige Macher in den Wettbewerb um Anerkennung und Profilierung geschickt wurden, scherten sich die Mädchen und später die erwachsenen Frauen nicht um ihr Profil, sondern richteten ihr Augenmerk auf die Erfüllung von Aufgaben und Lösung von Problemen. Und es hat sie aufgrund ihrer Sozialisation leider nicht gewundert, dass überwiegend die Herren mit Lorbeeren bedacht wurden und Karriere machten. Man war ja bestimmungsgemäß die „starke Frau“ hinter dem „starken Mann“.
„Ich war immer eine gute Nummer 2“, sagt Lisa von sich und ich, Tanja, kann das nur unterstreichen. Erlangte diese Generation von Frauen deswegen so selten eine Spitzenposition? Sind deswegen immer noch so wenig Frauen in Führungspositionen? Wären mehr Frauen Führungskräfte, wenn bei der Auswahl nicht die Fähigkeit sich zu profilieren, sondern der Wille und die Fähigkeit einer Aufgabe zu dienen, ausschlaggebend wären? Glaubten die Frauen unserer Generation selbst nicht an den Wert ihrer Fähigkeiten, indem sie davon ausgingen, dass weibliche Führungskräfte männlich bzw. unweiblich sein müssten und der Preis für ihre Karriere Schaden für die Familie bedeuten müsse?
Wir, die Mädchen der 60er, mussten uns vom alten Rollenbild der Frau, von der Pflicht zu Gehorsam und Autoritätshörigkeit, von Sexualitätsfeindlichkeit und engstirnigen Moralvorstellungen befreien. Es war nicht leicht, als Mädchen der 60er seinen Weg als Frau durch die 70er, 80er, 90er, 2000er Jahre zu finden. So viel Ballast galt es abzuwerfen, den man als solchen gar nicht sofort erkannte. Vorbilder, Rollenkonzepte und Visionen drangen erst langsam ins Bewusstsein und so blieb unserer Generation nichts anderes übrig, als sich in lebenslangen Selbstversuchen zu ergehen.
Aber an diesem Punkt beginnen die Einzelschicksale, die individuellen Lösungen, Irrungen und Wirrungen, die spannenden Geschichten der Klassenkameradinnen von damals. (TA)
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