Bei uns wurde Radio gehört
- lisaluger
- 20. Nov. 2022
- 11 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 16. Juli 2023
(De/UK)
Radio und Fernsehen in den 50ern und 60ern
Als ich Kind war, in den 50ern, hatten wir keinen Fernseher. Bei uns wurde Radio gehört. Das Radio lief von früh morgens an den ganzen Tag. Wir liebten alle Arten von Musik, ob Schlager, bayerische Volksmusik , Operetten, oder klassische Musik. Die meisten Liedertexte kannten wir auswendig und sangen mit oder summten mit, falls die Textkenntnisse nicht ausreichten. Musik und Nachrichten, Sendungen für Frauen, Kinder und die ganze Familie strukturierten die Unterhaltung. Für die Männer gab`s Sport, vor allem Fußball. Wir freuten uns auf bestimmte Sendungen und wollten sie nicht verpassen.
Hörspiele statt Filme
Mit meiner Mutter lauschten wir jedenfalls gern Hörspielen. Samstags nahmen wir, meine Mutter und meine drei Geschwister, am Familienleben der „Familie Brandl“ teil, (eine der Lieblingssendungen unserer Mutter), in der Mutter Walburga Brandl, gesprochen von Liesl Karlstadt, die ganz alltäglichen Probleme einer deutschen Familie der 50er Jahre zu lösen versuchte. Die Vorbereitung der Tochter auf die Haushaltsprüfung, die Schulprobleme des Sohnes, finanzielle Entscheidungen und Ähnliches sorgten wöchentlich für dramatische Wendungen im familiären Geschehen.
Diese wöchentliche Serie im Frauenfunk erfreute sich großer Beliebtheit, weil „Mutter Brandl“ und ihre Familie mit denselben Alltagsproblemen konfrontiert waren wie die Hörerinnen und Hörer. Hinzu kam, dass Liesl Karlstadt eine bekannte Komikerin an der Seite Karl Valentins gewesen war. In dieser ihrer letzten Rolle wechselte sie von der Komikerin zu einer gutherzigen Frau mit frechem Mundwerk – eine humorvolle Identifikationsfigur, die dem Gemüt der Zuhörerinnen gut tat. Ihre Problemlösungsstrategien waren pragmatisch und dem Zeitgeist entsprechend. In zahlreichen Briefen wurde sie von Serienfans um Rat gebeten. Meine Mutter hat das natürlich nie gemacht.
Unser Freund der Pumuckl
Viel mehr als die Familie Brandl liebten wir Kinder die Abenteuer des Pumuckl (gesprochen von Hans Clarin), ein Kobold, der in der Werkstatt des Meisters Eder am Leimtopf hängen geblieben war und sich laut Koboldgesetz dem Schreinermeister zeigen und bei ihm leben musste. 1962 startete die Hörspielreihe nach dem Buch von Ellis Kraut im Bayerischen Rundfunk. Alle liebten diesen schrägen Kobold. Warum eigentlich? Er tat häufig, was verboten war. Er gehorchte Meister Eder nicht. Er leistete sich oft recht derbe Scherze und richtete manchmal Schaden an. Er trickste und forderte. Bescheidenheit war nicht sein Ding. Wir Kinder hätten großen Ärger bekommen, wenn wir auch nur einen Bruchteil seiner Charaktermerkmale gezeigt hätten. Seine Bestrafung war mild, seine Einsicht nur widerwillig. Es hat uns Kindern sicher gut getan, zu hören, wie dieser kleine Kobold sich über die üppigen Regeln und Verbote für Kinder der 50er und 60er Jahre hinwegsetzte, die gutes Benehmen und gehorchen einforderten. Wir hatten viel Spass mit ihm und haben ihn bewundert. Der Pumuckl hat uns ein bisschen vom Druck, allzu angepasst und brav sein zu müssen, befreit.
Spätere Generationen, die Fernsehkinder ab 1982, kennen den Kobold als rothaarigen, kunterbunt gekleideten winzigen Kobold mit Bäuchlein. Mein Bild von Pumuckl entsprach nicht im Geringsten der Computer generierten Version dieses rothaarigen Pumuckls der Fernsehserie. Ich stellte mir den Pumuckl als kleinen blonden Jungen mit kurzen Hosen und Hosenträgern vor – und interessanterweise in schwarz und weiß. Es ist schon erstaunlich, dass diese renitente Figur über Generationen hinweg auf Kinder einen großen Eindruck machte.
Spannung für die ganze Familie

Einmal im Monat am Sonntagabend versammelte sich die ganze Familie, um auf Radio Klagenfurt „Kommissar Leitner“ zu folgen, der in dem Kriminalquiz ‘Wer ist der Täter?’ Fälle löste. Dieser Ratekrimi war so aufgebaut dass während der Schildung des Tathergangs kleine Spuren gelegt wurden mit deren Hilfe aufmerksame Hörer den Täter ausfinding machen und ihre Lösung an den Radiosender schicken konnten. Die Spannung hielt an, bis zwei Wochen später die Auflösung bekannt gegeben wurde und die Gewinner unter den oft über 1000 Zuschriften einen Buchpreis bekamen – natürlich einen Krimi.
Und dann gab es auch noch die Abenteuergeschichten um den Chicagoer Taschendieb Dickie Dick Dickens. Worum es dabei ging, weiß ich nicht mehr – ich war zu klein – aber ich kann mich noch daran erinnern, dass ich den Namen Dickie Dick Dickens so faszinierend fand, dass ich ihn während der Sendung immer wieder vor mich hinplapperte – sehr zum Ärger meiner Geschwister, die aufmerksam zuhören wollten.
Wenn ich zurück denke, dann haben vielleicht diese frühen Krimihörspiele den Grundstein für meine anhaltende Leidenschaft für Kriminalfilme gelegt.
Beim Radio hoeren kann man gut nebenbei arbeiten

Das Schöne beim Radiohören ist, man kann gut nebenbei sonst etwas machen. Handarbeiten, Basteln, Lego bauen aber auch bügeln, flicken, Gemüse oder Obst schnippeln usw., eben Tätigkeiten, bei denen der Geist auf Nahrungssuche gehen kann. Jeder machte, was er wollte, vorausgesetzt es war geräuschlos, und trotzdem war die ganze Familie zusammen. Beim Fernsehen dagegen sind Augen und Ohren auf den Apparat gerichtet. Multi-tasking, wie man heute sagen würde, ist dadurch erschwert. Beim Stricken, zum Beispiel, fallen einem leicht die Maschen runter. – Aber wie gesagt, wir hatten keinen Fernsehapparat.
Erste Begegnung
Das erste Mal sah ich einen Fernseher 1958 (ich war 5 Jahre alt), als wir Kinder mit unseren Eltern zu den Nachbarn gingen, um die Weihe von Papst Johannes XXIII. am Fernseher mitzuverfolgen. Wir vier Geschwister, zusammen mit den sechs Nachbarskindern, saßen auf dem Fußboden, die Erwachsenen auf extra herangeschafften Stühlen in der kleinen Wohnküche der Nachbarn eng zusammengedrängt. Auf deren winzigem schwarz-weiß Fernsehapparat war hinter all dem ‘Schneegestöber’ kaum ein Bild zu erkennen und unser Nachbar musste permanent die Antenne drehen und wenden, um den Empfang zu verbessern.
Dies hat uns Kinder jedoch nicht davon abgehalten, fasziniert auf dieses Gerät zu starren. Als uns dann die Nachbarskinder nach der Papstweihe einluden zu bleiben, um Fury anzusehen, waren wir begeistert. Fury, das treue, aber wilde schwarze Pferd, und Lassie, die kluge Collie Hündin, und Flipper, der kinderfreundliche Delphin, waren mir und meinen Geschwistern bis dahin kein Begriff. Wir waren begeistert und hofften künftig noch öfter eingeladen zu werden. Manchmal trieben wir uns kurz vor der Sendezeit ‘unauffällig’ in der Nähe des Nachbarhauses rum und warteten auf eine Einladung. Und wirklich, von Zeit zu Zeit durften wir kommen.
Gut, dass unsere Mutter übervorsichtig darum bemüht war, dass wir der Nachbarsfamilie nicht lästig wurden. Wir hätten jeden Nachmittag dort verbracht und keinen müden Gedanken daran verschwendet, dass wir die Gastfreundschaft vielleicht überstrapazieren könnten. Wieso auch!? Wir waren ja ganz still und brav und wären zum Essen heim gegangen! Was will man mehr!?
Endlich ein eigenes Gerät!
Jahre später, ich glaube es war 1964, gab mein Vater unserem Drängen nach und kaufte einen Fernsehapparat. Er war im Esszimmer untergebracht, dem Zimmer, in dem wir uns alle die meiste Zeit aufhielten, wo wir unsere Hausaufgaben machten, Bücher lasen und spielten, weil es vor allem im Winter in unseren Schlafräumen zu kalt war. Wenn abends ein Film auf dem Programm stand, wurde ich daher zufälligerweise mit meinen Hausaufgaben erst fertig, wenn auch der Film zu Ende war. Meine Eltern waren manchmal so fasziniert von einer Sendung, dass sie völlig vergaßen, dass ihre jüngste Tochter noch nicht im Bett, sondern mit Heft und Schulbuch vor sich ausgebreitet am Tisch saß und schrecklich viel für die Schule zu tun hatte. Das waren die Glücksfälle.
Meist jedoch schickte mich Mutter ins Bett. Schade! Während einer spannenden Episode der Krimiserie „77 Sunset Strip“, mit Kookie und Efrem Zimbalist, als es gerade aufregend zu werden versprach, fiel meiner Mutter auf, dass ich immer noch im Esszimmer herumlungerte. Sie schickte mich erbarmungslos ins Bett. Unwillig machte ich mich davon. Aber anstatt ins Bett zu gehen, schlich ich mich leise wieder zurück und lugte von der Küche durch einen Spalt in der Tür, um das Geschehen zu verfolgen. Und plötzlich griff die blutverschmierte Hand des Mörders unter dem Bett hervor und packte die nichts ahnende junge Frau am Bein. Ich schrie auf vor Entsetzen und verriet dadurch natürlich mein Versteck. Nur der Spannungsbogen der Episode hielt meine Mutter davon ab, sich Zeit für eine längere Strafpredigt zu nehmen.
Das Fernsehen hatte eine enorme Wirkung auf meine Fantasie und auch auf meine Träume. Noch Jahre später, immer bevor ich ins Bett ging, schaute ich erst mal unterm Bett nach, um sicherzustellen, dass sich kein Mörder darunter versteckt hatte. Heute habe ich ein Bett mit Schubladen für Stauraum darunter, so dass kein Platz mehr für den Mörder wäre. Dieses Schlafmöbel ist nicht nur praktisch, sondern auch irgendwie beruhigend.
Fernsehprogramm strukturiert den Alltag mit
Im Laufe der 60er Jahre entwickelte sich das Fernsehen zum wichtigsten Medium der Unterhaltung und Information. Fernsehen war durch Programme und Sendezeiten klar strukturiert und strukturierte damit auch den Alltag der Zuschauer.
Fernsehen war damals ein Familienerlebnis. Gemeinsam schauten wir uns Quizsendungen, Filme und TV-Serien an. Es gab jedoch keinen ungezügelten Fernsehkonsum. Im Gegensatz zu heute, wo Fernsehen rund um die Uhr möglich ist, war das Fernsehprogramm in den 60ern und 70ern begrenzt.

An Wochentagen begann das Programme gegen 17 Uhr und endete zwischen 23 Uhr und Mitternacht. Davor und danach gab`s nur schwarz-weißes Geflimmer oder eine Grafik als Testbild. Am Wochenende startete die Sendezeit früher und endete etwas später.
Eine Fernsehansagerin führte durch das Programm und stellte die jeweilige Sendung vor, damit man wusste, worauf man sich einließ. Samstagabends, nach der Ziehung der Lottozahlen und dem Wort zum Sonntag, wurde ein Spätfilm gezeigt, der nicht für Kinder und Jugendliche gedacht war.
Für jeden Geschmack etwas

Kinder- und Familiensendungen, wie zum Beispiel ‘Die kleinen Strolche’, oder Serien mit Tieren als Titelhelden wie ‘Flipper’, ‘Fury’ oder ‘Lassie’, Abenteuerfilme wie ‘Die Schatzinsel’ und Kinderfilme wie Erich Kästner‘s ‘Das Doppelte Lottchen’, um nur wenige zu nennen, liefen am Sonntag nachmittag. Sonntag spätnachmittag, gegen 17.45 Uhr, war Bonanza-Zeit. Den mitreißenden Titelsong könnte ich heute noch mitsingen. Die Abenteuer von Ben Cartwright und seinen Söhnen, Adam, Hoss und little Joe formten u. a. unser Bild von der Kultur der USA und von den rauhen, aber ehrenhaften und gutherzigen Männern Amerikas. Im Vergleich dazu waren die deutschen Filme eher kleinbürgerlich und konservativ.
Das Fernsehprogamm versuchte für jeden Geschmack etwas anzubieten und strahlte eine Mischung aus Informationen, Reportagen, Shows und Spielfilmen und Serien aus. Nach der Tagesschau, die jeden Tag von 20 Uhr bis 20:15 Uhr über die Nachrichten des Tages informierte, startete das Unterhaltungsprogramm ähnlich wie heute. Spielfilme waren jedoch oft älter, aus den 40er und 50er Jahren. Möglichst harmlose Geschichten, am liebsten Humoriges. Filme wie Heinz-Rühmann’s ‚Die Drei von der Tankstelle‘ beispielsweise hatte einen großen Unterhaltungswert. Schauspieler wie Heinz Rühmann oder Heinz Erhards Typ des treuherzigen Kleinbürgers mit harmlosem Humor, vom deutschen Publikum geliebt, waren so anders als die forschen Kerle in den amerikanischen Western oder Krimis. Die braven Familienväter und ihre Angehörigen verkörperten ein moralisches gesellschaftliches Bild von Anstand, Freundschaft und familiärem Zusammenhalt, brachten mit stillem Humor ihre Zuschauer zum Schmunzeln. Sie waren Antihelden, ihre Filme hatten einen gewissen Wohlfühlcharakter, genau das, was deutsche Familien nach dem Krieg brauchten. Etwas gänzlich Unpolitisches fürs Gemüt. Es wurde jedoch nicht die Lebenswirklichkeit der durchschnittlichen deutschen Nachkriegsfamilie abgebildet, sondern ein harmonisiertes Bild geschaffen.
Als Kind konnte man glauben, dass es in der Nachbarschaft eben solche idealen Familien gab. Bloß die eigene war halt zufälligerweise problematischer. Im Gegensatz dazu waren Filme wie „Lassie“, und „Flipper“ und wie sie alle hießen, amerikanische Serien, die nicht das Leben in Deutschland abbildeten, aber auf uns eine ungeheure Faszination ausübten. Diese Welt war weitaus exotischer und die Charaktere nicht in der Nachbarschaft zu finden. Was für ein Abenteuer!
Unerreichbare Idole für Mädchen
Zu den bei unserer Familie beliebtesten TV-Serien gehörte die Science-Fiction-Serie „Raumpatrouille“ mit Dietmar Schönherr als dem aufmüpfigen Kommander MacLane des superschnellen Raumschiffs Orion, in ständigem Clintsch mit der Sicherheitsoffizierin Tamara, gespielt von Eva Pflug. Diese futuristische Serie war ihrer Zeit weit voraus.

Neben den Computer Ungetümen, die heute eher an alte Staubsauger und Haartrocknerhauben erinnern und den faszinierenden Bildtelefonen stach ein weiterer Aspekt hervor, der sich prägend auf Zuschauer wie mich auswirkte. Frauen wie Tamara oder Helga waren wie ihre männlichen Kollegen Ingenieure, Leutnants und Sicherheitsbeamte, und begegneten den Männern auf Augenhöhe. Sie wären daher fast zu Vorbildern für uns Mädchen der 60er Jahre geworden. Aber der Zeitgeist verwehrte uns noch diesen Anspruch an unsere Zukunft.
Meine Familie liebte Kriminalserien wie zum Beispiel ‘Kobra übernehmen Sie’ und ‘der Kommissar’. Mich hat vor allem die intelligente und schlagkräftige Agentin Emma Peel (von Diana Rigg gespielt) der englischen TV Serie ‘Mit Schirm, Charme und Melone’ fasziniert. Sie wurde zum Idol für mich und lange Zeit wollte ich wie sie Agentin werden. Leider wurden jedoch zu dieser Zeit bei der deutschen Polizei Frauen nur als Politessen eingestellt, die Strafzettel für Falschparker austeilten, und das war nichts für mich. Die Vorliebe für Krimis hat sich bei mir jedoch bis heute gehalten.
Gesprächsstoff im Alltagsleben
Eine Zeit lang bibberten wir und die ganze Nachbarschaft, eigentlich ganz Deutschland jede Woche mit „Dr. Kimble auf der Flucht“ und hofften, dass er nicht von Polizeiinspektor Gerard geschnappt werden würde, sondern endlich doch den einarmigen Mörder seiner Frau finden und seine Unschuld beweisen konnte.
Fernsehunterhaltung war in der damaligen Zeit der wenigen Sender und weniger Sendungen ein Alltagsthema, ein Erlebnis, das man mit vielen anderen der Gesellschaft teilte. Fast alle hatten denselben Krimi gesehen und daher war er Gesprächsstoff am nächsten Tag.
Als die dreiteilige Francis-Durbridge-Krimi-Serie ‘Melissa’ ausgestrahlt wurde, waren die Straßen meiner Heimatstadt menschenleer. Nahezu jeder saß vor der Glotze und wollte sich die Fortsetzung nicht entgehen lassen. Mediatheken gab es schließlich nicht. Wenn man eine Sendung verpasst hatte, dann war`s das. Keine Chance, bis es vielleicht in 10 Jahren eine Wiederausstrahlung gab.
Mit der Einführung des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) 1963 gab es mehr Auswahl an Sendungen, zusätzlich zu den Regionalsendungen und den österreichischen Sendern. Das brachte aber auch die Qual der Wahl mit sich. Da die meisten Haushalte zu der Zeit, wenn überhaupt, nur einen Fernsehapparat besaßen, gab es oft Streitigkeiten, welches Programm angeschaut werden sollte und wer in der Familie diesbezüglich das Sagen hatte. Heute gibt es dieses Problem weniger, weil die meisten Familien über eine Auswahl von Geräten verfügen, beispielsweise Ipod, Ipad, tablet, computer und, nicht mehr an die Antenne gebunden, in allen Räumen Empfang haben. Die Frage des Zeitpunkts hat sich durch die Möglichkeit des Aufnehmens und Speicherns einer aktuellen Sendung oder durch Mediatheken sowieso erledigt.
Konfliktstoff damals…
Aber zu Beginn der Zeit, als der Fernseher seinen zentralen Platz im Familienleben einnahm, war das ein häufiger Konfliktstoff.
Bei uns herrschte meist Einigkeit, wenn es um unsere Vorliebe für Krimis ging. Aber wir hatten zusätzlich zu unseren Meinungen eine Weile noch eine weitere, leider schwer wiegende Ansicht zu berücksichtigen.
Unser Nachbar hatte keinen eigenen Fernsehapparat. Unter dem Vorwand mit meinem Vater Schach spielen zu wollen, erschien er jeden Abend pünktlich gegen 19.30 Uhr. Während die beiden tatsächlich spielten, schauten wir Kinder mit unserer Mutter fern und freuten uns auf eine bestimmte Sendung nach der Tagesschau. Also schalteten wir um und prompt kam der Einwand des Nachbarn: “Wir könnten doch vielleicht lieber das und das…. anschauen”. Wir fluchten innerlich – aber der Gast ist König. Und so wurde die Sendung angeschaut, die der Nachbar bevorzugte. Grrrh! Das zog sich mehrere Monate so hin, bis die Frau des Nachbarn es leid war, jeden Abend auf ihren Gatten verzichten zu müssen, und uns von ihm erlöste, indem sie selbst einen Fernsehapparat kaufte. Gut gemacht, Frau Nachbarin!
Das Problem mit der Auswahl der Sendungen löste sich jedoch auf, als wir Kinder älter wurden, andere Interessen und einen eigenen Geschmack entwickelten und unsere Abende nicht mehr mit unseren Eltern vor dem Fernseher, sondern mit Freunden verbringen wollten. Wir entdeckten das Kino und vor allem neue Filme, die unserer Zeit und den Herausforderungen unserer Generation entsprachen.
… und heute
Heutzutage haben wir eine Vielfalt von Medien zur Verfügung und das rund um die Uhr. Fernsehen konkurriert mit sozialen Medien und Streaming Anbietern. Nachrichten können zu jeder Zeit online von diversen Anbietern abgefragt werden und sind nicht mehr nur das Vorrecht der Öffentlich Rechtlichen Fernsehanstalten. Fernsehen als Quelle der Information und Unterhaltung wird immer weniger wichtig und seine Struktur hat sich verändert. Sendungen können zu jeder Tages- und Nachtzeit von der Mediathek abgerufen werden. Um alle Episoden einer Serie anzusehen, muss man nicht mehr bis zur nächsten Woche warten, sondern, wer will, kann über die Mediathek oder Netflix alle Folgen hintereinander am Stück ansehen. Da Folgen so aufgebaut sind und immer schon waren, dass man auf die nächste gespannt ist, haben Serien ein gewisses Suchtpotential. Man kann nicht ausschalten, muss weiter schauen und wenn’s die ganze Nacht dauert.
Davids und meine Rituale
Mein Mann und ich sind uns dieser Gefahr durchaus bewusst. Wir haben uns daher selbst Regeln gesetzt, wo früher durch Programmgestaltung, Alltagsleben mit Arbeit und sonstige Aktivitäten und Ablenkungen Schranken gesetzt waren.
Dave’s und meine Fernsehgewohnheiten haben sich durch den Covid Lockdown, wenn es nicht möglich ist ins Kino oder ins Theater zu gehen oder Freunde zu besuchen, sondern man zu Hause bleiben muss, folgendermaßen eingespielt.
Der Fernseher wird prinzipiell erst zum Abendessen eingeschaltet, damit wir gemeinsam Nachrichten anschauen können. Danach gibts einen Film oder eine Dokumentation, entweder aus der Mediathek der BBC oder von einer Streaming Plattform. BBC deshalb, weil alle anderen Sender bei uns mit Werbung überladen sind und wir dadurch nicht nur genervt sind, sondern auch leicht den Faden verlieren bzw. der kunstvoll angelegte Spannungsbogen bis zur Unkenntlichkeit abflacht.
Manchmal ist es für uns zwei nicht einfach, sich auf einen Film zu einigen, da wir unterschiedliche Geschmäcker haben. Am besten ist es, wenn wir eine Serie gefunden haben, die uns beide gleichermaßen interessiert. Dann gibt es einige Tage keinen Streit um die Auswahl. Der Konsumdruck und das Suchtpotential sind für uns weniger ein Thema, da meine bessere Hälfte spätestens nach zwei Episoden einschläft und ich mir die Serie nicht alleine reinziehen will. Ich schau mir dann einen der Filme an, die eher nicht auf seiner Linie sind oder deutsch-sprachige DVDs, die ich von Freunden oder der Familie zum Geburtstag bekomme.
Aber es gibt auch einen Trick, wie ich die Serie noch etwas länger anschauen kann, wenn mich die Sucht doch packt. Ich schau noch eine Folge mehr am Abend und David, der viel früher als ich aufsteht, schaut dieselbe Folge am Morgen, trotz selbst verordneter morgendlicher Fernsehabstinenz. Und siehe da, am Abend sitzen wir friedlich vereint vor dem Fernseher und sind auf dem gleichen Wissensstand bezüglich der Handlung. Es kann also weiter gehen. (LL)
Comments